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Verstaatlichung oder Mitbestimmung?

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Während in Österreich die Sozialisierung wichtiger industrieller Betriebe auf dem Wege der Verstaatlichung erfolgt, erklären die stärksten und sozial erfolgreichsten Gewerkschaften der Welt, daß es nicht ihre Aufgabe sei, das bestehende Wirtschaftssystem zu beseitigen oder selbst die Führung der Wirtschaft zu übernehmen. Die imponierende Wirtschaftskraft der USA beruhe doch nicht zuletzt auf dem gemeinsamen Bild, das Arbeiter und Unternehmer von ihrer Wirtschaft haben.

Auch im Deutschen Reich wird an dem Prinzip der freien Wirtschaft und der freien Unternehmerinitiative festgehalten. Der deutsche Bundestag hat im Monat Juli einen Gesetzentwurf verabschiedet, dem eine große prinzipielle Bedeutung zukommt. Es handelt sich um das Betriebsverfassungsgesetz, welches das Verhältnis zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern gedeihlich weiter entwickeln soll. Das Betriebsverfassungsgesetz wurde vom Plenum des Bundestages mit 195 gegen 140 Stimmen verabschiedet. Für das Gesetz stimmten die Parteien der Regierungskoalition, dagegen die Sozialdemokraten und die Kommunisten.

Nach zweijähriger Beratung, die von teilweise dramatischen Auseinandersetzungen begleitet war, ist es trotz der Störungsversuche von gewerkschaftlicher Seite gelungen, dem vielumstrittenen Fragenkomplex einer zeitgemäßen Betriebsverfassung eine gesetzliche Form zu geben, die eine soziale Entspannung und eine Besserung des innerbetrieblichen Klimas erhoffen läßt. Das Gesetz räumt'den Arbeitnehmern in sozialen, personellen und wirtschaftlichen Angelegenheiten Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte ein, wie sie in diesem Ausmaß, wenn von der Verstaatlichung industrieller Betriebe in Österreich abgesehen wird, bisher in keinem anderen Lande praktiziert worden sind.

Um eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Betriebsrat und Unternehmer zu fördern und eine gegenseitige Unterrichtung in wirtschaftlichen Angelegenheiten sicherzustellen, wird in allen Unternehmen mit mehr als 100 ständigen Arbeitnehmern ein Wirtschaftsausschuß gebildet. Der Wirtschaftsausschuß hat Anspruch auf Kenntnis aller wirtschaftlichen Angelegenheiten des Unternehmens an Hand der Unterlagen, soweit dadurch nicht die Betriebsund Geschäftsgeheimnisse des Unter-: nehmens gefährdet werden. Der Wirtschaftsausschuß wird von Betriebsangehörigen gestellt, die je, zur Hälfte vom Betriebsrat und vom Unternehmer bestinynt werden.

Bei Gesellschaften mit beschränkter Haftung, die mehr als 500 Arbeiter beschäftigen, muß nach dem Gesetz nunmehr ein Aufsichtsrat gebildet werden. Er hat zu einem Drittel aus Vertretern der Arbeitnehmer zu bestehen. Hier hatte die Opposition die Hälfte der Sitze und damit eine völlige Veränderung des Charakters der Unternehmen verlangt. Diese Forderung ging praktisch noch über das hinaus, was in dem Sondergesetz für die Unternehmen von Kohle und Eisen vom Mai 1951 bestimmt wurde und für diesen Bereich in Kraft bleibt: dort haben die Gewerkschaften ein unmittelbares Benennungsrecht für drei von fünf Arbeitnehmervertretern, die zusammen mit fünf Vertretern der Anteilseignerseite und dem elften Mann den Arbeiterrat bilden. Auch die Sonderbestimmung über den Arbeitsdirektor hat das BVG nicht aufgenommen. Eine Einbeziehung des öffentlichen Dienstes in das BVG ist gleichfalls nicht erfolgt. Hier bleiben nach dem Schlußabschnitt die für diesen Bereich geltenden Bestimmungen bis zum Erlaß eines besonderen Gesetzes in Kraft.

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