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Das Klischee bleibt

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Demoskopen, die die Vorstellungswelt österreichischer Wähler in allen Facetten durchleuchtet haben, bestätigen die simple Wahrheit, daß einmal geprägte Vorurteile Generationen überdauern. Augenfällig wird die Langlebigkeit und Widerstandskraft von Vorurteilen bei Durchleuchtung der Vorstellungen, die sich der „typische Wähler“ von den Verflechtungen zwischen Kirche und Politik macht. Die Verflechtung von Kirche und Staat war für den Österreicher durch Jahrhunderte ein feststehender Begriff. Schließlich war es der Staat gewesen, der in der Gegenreformation die Kirche gerettet hatte. Die Kirche hatte dies niemals vergessen.

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Demoskopen, die die Vorstellungswelt österreichischer Wähler in allen Facetten durchleuchtet haben, bestätigen die simple Wahrheit, daß einmal geprägte Vorurteile Generationen überdauern. Augenfällig wird die Langlebigkeit und Widerstandskraft von Vorurteilen bei Durchleuchtung der Vorstellungen, die sich der „typische Wähler“ von den Verflechtungen zwischen Kirche und Politik macht. Die Verflechtung von Kirche und Staat war für den Österreicher durch Jahrhunderte ein feststehender Begriff. Schließlich war es der Staat gewesen, der in der Gegenreformation die Kirche gerettet hatte. Die Kirche hatte dies niemals vergessen.

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Erinnerungen an die Erste Republik, wo von der Kanzel herab der Sozialismus verurteilt wurde und der Kampfruf der Austromarxisten „Nieder mit der Kirche“ lautete, sind Quelle dieser Perpetuierungen. Immer noch nimmt sich der „typische ÖVP-Wähler“ bei den „anderen“ Wählern in der Vorstellung als „Frömmler“ aus, als einer, der nur so tut, als ob er ein guter Christ sei, in Wirklichkeit aber ein Heuchler ist. Meinungsforschungen sagen, daß nach gängiger Vorstellung der ÖVP-Wähler als sonntägiger Kirchengeher anzusehen und die ÖVP eine Partei ist, die — könnte sie, wie sie wollte — klerikale Kreise „noch mehr stärken würde, als sie es ohnehin tut“. Außerdem könne man der Volkspartei in ihrem Bestreben, „alles für die Kirche zu tun“, zutrauen, die momentan nicht sehr rigorosen Kirchenbestimmungen zu verschärfen. Man sieht also, daß Primitivklischees allen Formen des Dialoges und der Öffnung widerstehen. Es dominiert — wenn auch nicht in so extremer Form wie einst — die Polarisierung in „Klerikale“ und solche, die dies entschieden ablehnen.

Dies alles, obwohl die Entflechtung der Kirche von der Tagespolitik als ein kontinuierlicher Akt Seit dem Ende des zweiten Weltkrieges abläuft. So wurde am 17. April 1947 eine Weisung des Wiener Oberhirten herausgegeben, wonach „gemäß Can. 138 des .Codex juris canonici' kein Priester ein öffentliches Amt ohne Ordinariatserlaubnis übernehmen“ darf. „Es ist mein ausdrücklicher Auftrag, daß die Priester sich von der Übernahme öffentlicher Ämter fernhalten, in politische Angelegenheiten sich nicht einmengen und keinerlei Empfehlungen für weltliche Stellen geben.“ Aber auch von ehemals gegnerischer Seite wurden Antipathien abgebaut und oft Irrationales beseitigt. Die Sozialistische Partei erklärte in ihrem Programm aus dem Jahre 1958, daß „die Sozialisten das Bekenntnis zu einem religiösen Glau-

ben wie zu einer nichtreligiösen Weltanschauung als innerste persönliche Entscheidung jedes einzelnen achten“. Nach langwierigen innerparteilichen Auseinandersetzungen und nach heißen Kämpfen um Dogmen rang man sich zu einer neuen Linie durch: „Jeder religiöse Mensch kann gleichzeitig Sozialist sein“, hieß es im Schlußsatz des Parteiprogram-mes.

Im Gedächtnis verwurzelt

Auf dem Salzburger Katholikentag drückte die Kirche ganz klar ihre Forderung nach Herauslösung aus dem tagespolitischen Geschehen aus. „Wir rufen“, so der damalige Präsident der Katholischen Aktion, „den demokratischen Parteien Österreichs zu: Stellt die Kirche außer Streit!“

Die Entflechtungen der Partei von der Kirche sind nicht mit der Aufgabe christlicher Ideale gleichzusetzen. Und so konnte man im „Klagen-furter Manifest der ÖVP“ lesen: „Ohne sich an eine Konfession zu binden, läßt sich die ÖVP vom christlichen, familienhaften Menschen-und Gesellschaftsbild mit seinen zeitlos gültigen Werten der Wahrheit, Gerechtigkeit, Liebe und Freiheit leiten.“

Durch Konzil und Enzyklika bestärkt, sind die Parteien längst von quasi-religiösen Weltanschauungsgemeinschaften zu realen Institutionen des Sozial- und Leistungsstaates moderner Prägung geworden. Sie sind damit dem weltanschaulichen Pluralismus weitgehend geöffnet; dennoch leben Reste von einst über die gegenseitige Durchdringung von Politik und Kirche unverhältnismäßig stark im Gedächtnis des österreichischen Wählers weiter. Und auch der schon völlig „weltanschauungsfreie“ Wahlkampf 1966 hat keine Änderung gebracht, will man den Meinungsforschern glauben.

Nun, 1970, ist anzunehmen, daß weder ÖVP noch SPÖ religiöse Motive in den Wahlkampf tragen werden.

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