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Legenden um Benedek

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Der Feldherr wird nach seinen Waffenerfolgen gewürdigt, obzwar der Ruhm allein die Leistungen des Feldherrn keineswegs bestimmt. Selbst der größte Heerführer bedarf des Glückes, denn „der Krieg ist das Gebiet der Ungewißheit“, weil ein Teil jener Dinge, auf die das Handeln im Kriege gebaut wird, im Nebel einer mehr oder weniger großen Ungewißheit liegt. Nur ein scharfer Verstand vermag diesen Nebel zu durchdringen, um die im Kriege stets möglichen Zufälle glücklich zu meistern. Man spricht daher auch von glücklichen und unglücklichen Feldherrn. So sehr ersterer gepriesen wird, so schwer ist der Sturz, den letzterer zu erwarten hat.

Benedek hat diese Höhen und Tiefen in reichstem Maße ausgekostet. Die erste Phase seines tatenreichen Lebens, das mit dem Beginn seiner militärischen Laufbahn einsetzte, führte ihn bis zur Spitze der militärischen Hierarchie. Als Träger höchster Orden genoß er das volle Vertrauen des Kaisers. In diesem Zeitabschnitt hat Benedek alles, auch die schwierigsten Aufgaben gelöst. Er erfreute eich sowohl der Achtung in der Armee als auch in der Oeffentlichkeit und nicht zuletzt einer betonten Würdigung durch die damalige Presse, die den Kaiser bewog, der Volksstimmung Rechnung zu tragen und den Sieger von S. Martino und Sol-ferino an die Spitze der großen Nordarmee zu stellen.

Doch ein ganz anderer Benedek trat in die zweite Phase seines Lebens. Der im Rahmen einer Armee tatkräftige, hervorragende Unterführer enttäuschte mehrfach auf höchstem Kommandoposten, denn er glaubte zu wenig an sich und schreckte zurück vor der Gesamtverantwortung; an Stelle gewohnter Entschlossenheit traten Schwanken und Zaudern, ein Mangel an Energie in der Heerführung.

Es wäre aber ganz unrichtig, in Benedek nur einen alten Haudegen zu sehen, der sich mit dem Schwert in der Hand tollkühn in jedes Wagnis stürzte. Er besaß einen sehr scharfen Blick und ein gesundes Urteil in allen militärischen Fragen und hatte die glückliche Veranlagung zu raschem und zutreffendem taktischen Entschluß. Er war zweifellos begnadet, allerdings nur in gewissen Grenzen, die er sich in fatalistischer Ueberzeugung sogar selbst setzen zu müssen glaubte.

Der angedeutete Wandel Benedeks war für die breite Oeffentlichkeit begreiflicherweise nicht faßbar und daher der geeignete Boden zu Legenden, die in Schriften, in Pamphleten, in Werken und selbst noch in jüngster Zeit in Presseartikeln sowie im Rundfunk ihren Niederschlag fanden, womit die leider heute noch bestehende Volksmeinung immer wieder genährt wird. Alle Anklagen gipfelten im Wunsche, den General von Benedek, den gefeierten Helden in drei Feldzügen, als ein Opfer seiner vielfachen Antipoden hinzustellen.

So schön und edel die Triebfeder dieser Stellungnahmen sein mag, so treffen sie doch nur sehr bedingt zu und belasten zu unrecht andere. Historiker von höchstem Rang — zuletzt auch der ausgezeichnete Eduard Heller — haben sich bemüht, die Wahrheit zu ergründen, Schuld und Unschuld genau zu wägen und damit laienhafte Pauschalverdächtigungen zurückzuweisen.

Kaum zehn Tage nach der Schlacht bei König-grätz, als die Ereignisse am Kriegsschauplatz noch gar nicht überblickt werden konnten, brachte bereits die „Augsburger Allgemeine Zeitung“ die Wiener Nachricht: „Benedek wird schon verteidigt. Man flüstert.., daß die hocharistokratischen Generale ... widerwillig den Befehl des bürgerlichen Armeekommandanten ertragen.“ Diese Anklagen fanden alsbald Steigerungen und gipfelten im Werke des Journalisten Wilhelm Alter1, der einer von Friedjung geforderten kommissionellen Quellenprüfung den Freitod vorzog und sich damit selbst als Fälscher richtete. Auch Dr. Karl Graf Lonyays ansonst bemerkenswerte Schlüsse2 hielten nicht überall stand und blieben daher nicht unbeantwortet3.

Der Ausgangspunkt der Anklagen wider die feudalen Generale ist im Kampf um die Vormacht des liberalen Bürgertums zu erblicken, der nicht immer fair geführt wurde, den Adel, die Kirche und die sogenannte Kamarilla befehdete und als Gegenpol zur Haute Noblesse, den bürgerlichen — der er gar nicht war — und protestantischen Benedek, als Symbol der Tüchtigkeit und Ueberlegenheit heraushob. Und als das Idol versagte, galt es Schuldige dort zu finden, wo man sie wünschte.

Der Kommandant des 1. Korps, General Graf Clam-Gallas, wurde schwerster Verfehlungen geziehen, andere Generale ähnlicher Handlungen beschuldigt. Das Volksurteil über Clam wurde durch Benedek selbst aufgehoben, und es wurde bestätigt, daß ihm das Zeugnis persönlicher Tapferkeit gebühre. Die anderen Generale, die Lcnyay „Hofgenerale“, Höflinge und ähnlich nannte, kennzeichnet der Historiker Emil von Woinovich, gewiß ein maßgebender Gewährsmann, als „tapfere Korpsführer vom Schlage Benedeks“.

Auch Freiherr von Ditfurth, der die Operationen und die Schlacht von Königgrätz mit besonderer Auszeichnung mitmachte und sich in einem hochbeachteten Werk' mit der angeblichen Disziplinlosigkeit hoher Generale — so u. a. des Erzherzogs Leopold bei Skalitz — befaßte, anerkennt ihre militärischen Tugenden in warmen Worten und spricht die Schuld am bekrittelten Verhalten der Generale den oft nicht ganz glücklichen Dispositionen des Armeekommandos zi Dem Gerede, daß sich gewisse höhere Führer nur widerwillig unter den Befehl Benedeks stellten, sei entgegengehalten, daß sich Erzherzog Albrecht, in dessen Kommandobereich Benedek 1849 noch als Regimentskommandant gedient hatte, bereiterklärte, unter ihm ein Korpskommando zu übernehmen, als Benedek das Kommando der italienischen Armee 1860 — neben der Funktion als Chef des Generalstabes — anvertraut wurde. Auch der Hinweis auf eine „Kamarilla“ wäre ähnlich abzutun, denn es ist wahrlich schade, hierüber Worte und Raum zu verlieren.

In seinen Entschlüssen war Benedek keineswegs eingeengt; man kann im Gegenteil sagen, daß kaum jemals einem Feldherrn des kaiserlichen Staates eine größere Freiheit eingeräumt wurde. Benedek fehlte aber der Genius des wahren Feldherrn, den ihm weniger die militärischen Kreise, als vielmehr die öffentliche Meinung zuschrieb. So versäumte er den noch am 28. Juni möglichen wuchtigen Schlag gegen die Armee des preußischen Kronprinzen und damit eine Chance, dem Feldzug wenigstens eine vorübergehend günstigere Wendung zu geben. Er ließ sich auch in der Folge das Gesetz des Handelns zu viel vom Feinde vorschreiben.

Dem inneren Halt und der Brauchbarkeit nach war die kaiserliche Armee vorzüglich, und es blieb bald kein Geheimnis, daß die Artillerie und Kavallerie dem Gegner sogar überlegen gewesen sind, wogegen die brave Infanterie schlecht bewaffnet ins Feld zog, weil die schon eingeleitet gewesene Neubewaffnung von der Volksvertretung verweigert worden war. Graf Beck sagte, die verheerende feindliche Waffenwirkung hat

„unsere tapferen Truppen unfähig gemacht, mit

Erfolg“ zu kämpfen.

Erzherzog Albrecht entledigte sich 'seiner schier unlösbaren Aufgabe bei Custozza sowie Tegetthoff bei Lissa — in der ersten Panzerschiffschlacht der Kriegsgeschichte — durch hoch überlegene operative und taktische Entschlüsse, wodurch der weit stärkere Gegner strategisch ausgeschaltet wurde.

Leider ist die Armee auch vor 1866 höchst stiefmütterlich behandelt worden, was man so gerne verschweigt. Wir wollen hier nicht weit zurückgreifen, es genüge der Vermerk, daß man trotz der außenpolitisch zunehmend bedrohlichen Lage das Wehrbudget von 1860 bis 1865 um fast 50 Prozent kürzte, mit Schlagworten trotz aller Warnungen und Proteste militärischerseits, die Oeffentlichkeit umnebelte und solcherart die früher so vorbildliche Armee der modern bewaffneten und reichlich gerüsteten preußischen Armee gegenüber schwerstens benachteiligte und gegen Liebermacht in einen Zweifrontenkrieg schickte. Dann wurden natürlich Schuldige gesucht, aber nicht dort, wo sie leicht zu finden waren. Tatsächlich mußte sich Benedek „mit dem vom Parlament in sechs Jahren zur Miliz gemachten Heer der bestausgerüsteten Armee ihrer Zeit stellen5“. Schlichting meinte, der Feldzug wäre — wegen der verschiedenen Bewaffnung — auch dann nicht anders ausgegangen, wenn Moltke und Benedek ihre Rollen getauscht hätten.

Kriegsvorbereitung und Kriegsausgang sind untrennbar verbunden; „sucht die Ursache der Katastrophe in den Irrtümern des Staates“, sucht sie nicht allein in der Armee, die den Krieg führt, aber nicht anbahnt. Benedek fügte sich in die Untersuchung und schwieg — trotz Aufforderung, frei auszusagen —, die österreichische Regierung sprach sich aber nach der „Wiener Zeitung“ vom 8. Dezember 1866 u. a. dahin aus: „Nun müsse in Zukunft für ausreichende Rüstung gesorgt werden, um nicht eine neue Niederlage heraufzubeschwören, was einer zwar nicht gewollten, doch vollständigen Rechtfertigung Benedeks gleichkam5.“

Benedek mag 1866 als Feldherr versagt haben. Er war der ideale, glänzende Zweite bei S. Martino und hätte unter besseren politischen und Rüstungsumständen bei Königgrätz vielleicht auch der Erste werden können.

1 FZM Benedek und der Feldzug der k. k. Nordarmee 1366, Wien 1912. 3 Ich will Rechenschaft ablegen, Leipzig-Wien 1937.

3 Benedek und Benedek-Legenden, Eduard Heller, Mil.-Wiss. Mit. 1937, 4. bis 6. Heft.

4 Benedek und die Taten und Schicksale der k. k. Nordarmee 1866, Wien 1911, Verlag von L.W.Seidel und Sohn.

5 Regele, Staatspolitische Geschichtsschreibung — erläutert an Königgrätz 1866.

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