6619017-1955_50_42.jpg
Digital In Arbeit

Conrad im Spiegel der Mit- und Nachwelt

Werbung
Werbung
Werbung

Unter den deutschen Urteilen über den Feldherrn der Donaumonarchie finden sich neben so manchen mißgünstigen mehrere, die Conrad — besonders aus der zeitlich distanzierten und daher ausgeglicheneren Nachkriegbetrachtung — sehr gerecht wurden.

Vorangestellt sei das Urteil des Generals v. C r a m o n, der Conrad unter allen deutschen Generalen am nächsten stand: „Er wäre schon der Mann gewesen, um eine große Aufgabe auf seine Schultern zu nehmen. Warum blieb er im Hintergrund? Weil er nicht die Gabe und nicht den Trieb besaß, sich in den Vordergrund zu schieben ... Conrad erhob sich zweifellos um Haupteslänge über die anderen, er sah die Dinge klarer, folgerichtiger in ihren Zusammenhängen ... die Deutsche Oberste Heeresleitung zog aus dem Gedankenreichtum Conrads und aus seiner tiefgründigen Kenntnis der Verhältnisse im Osten, auf dem Balkan und in Italien Nutzen nur in der Zeit unmittelbarer Zusammenarbeit — das war zu bedauern...“ Sehr ausführlich schilderte v. C r a m o n den Feldmarschall im Jahre 1930: „Führerbegabung: eine gedankenreiche, nach weitgesteckten Zielen greifende Anlage, eine große Wendigkeit bei der Wahl neuer Mittel gegenüber neuen Situationen, eine ruhige, vom unmittelbaren Eindruck der Frontkämpfe sich bewußt zurückhaltende Leitung, ein starkes Festhalten am Grundgedanken durch alle Wechselfälle hindurch. Innerlich gepackt von dem Ziel, dem er zustrebte, und in dem Bewußtsein, persönlich als Führer jedem Schachzug des Feindes gegenüber zu einem wirksamen Gegenzug befähigt zu sein, in dem freudigen Stolz, einmal alle Kräfte zu einer großen Operation frei entfalten zu können, übersah Conrad eines: daß die Kräfte der Truppe sich im Gegensatz zur Elastizität des einzelnen mit jedem Kampftage mehr und mehr verbrauchen mußten und schließlich vor Aufgaben standen, die jenseits der Grenzen des Möglichen lagen ... eröffnete ihm die Entwicklung der großen Lage im Osten und der Einsatz immer zahlreicherer deutscher Divisionen gegen Rußland die Möglichkeit, für das Zusammengehen wirksame Wege finden zu helfen. Er hat dies getan ... Conrad war es, der mir gegenüber zur Weitergabe an die Oberste Heeresleitung als erster auf Gorlice hinwies. Daß die Offensive dann zwar am gleichen Ort, aber mit wesentlich gesteigertem Kräfteeinsatz und dementsprechend erhöhter Auswirkungsmöglichkeit zur Ausführung kam, kann hieran nichts ändern. Deutschland war der Gebende, der über die Höhe des Einsatzes zu entscheiden hatte, die Anregung kam von Conrad... Oesterreich schlug Gorlice und die anschließende Offensive mit Italien im Rücken, das ihm den Krieg erklärt hatte und mit einem völlig unverbrauchten, monatelang für diesen Zweck vorbereiteten Heere zunächst wirklich nur eine Handvoll österreichisch-ungarischer Kräfte über den Haufen zu rennen brauchte, um sich den Weg in das Herz der Donaumonarchie zu öffnen. Conrad hat in jenen Tagen ein ungewöhnliches Maß jener Feldherrnruhe bewiesen, die, um an einer Stelle ganze Arbeit zu machen, Halbheiten ablehnte ... daß Conrad vor die Frage gestellt wurde, den gemeinsamen Operationen von sich aus die Richtung zu geben und aus seiner der deutschen fraglos überlegenen Kenntnis der Eigenart der Feinde an diesen Fronten Wege zu weisen, die nicht nur rein soldatischen Erwägungen entsprangen, sondern mit weitem Blick alle Faktoren umfaßten. Wenn man heute auf den geschichtlichen Ablauf der Ereignisse zurückschaut,' ist es sehr bedauerlich, daß er bei zwei wichtigen Entscheidungen nicht durchdrang: da eine Mal mit dem Vorschlag, bei Saloniki reinen Tisch zu machen, das andere Mal

mit der Anregung, schon 1916 gemeinsam gegen Italien zu gehen ...“ Ferner lesen wir: „Conrad sah richtig, daß man auch Bulgarien an eigenen Zielen interessieren müsse, sonst erlösche sein Interesse für die Mittelmächte . .., er sah richtig, daß nach den Erfolgen gegen Rußland-Serbien-Montenegro, Italien zu bekriegen sei, denn dort könne nach einer Niederlage leicht die Begeisterung zusammenbrechen, auch Oesterreich-Ungarn würde durch einen solchen Sieg innerlich gefestigt werden was 1917

bei Karfreit unter ungleich schwierigeren Gesamtverhältnissen Großes begann, ohne daß es dieser Gesamtverhältnisse wegen bis zum Ende durchgeführt werden konnte, wäre 1916 ganz gewiß gelungen... Conrads Ideenreichtum und norddeutsche Gründlichkeit in Vorbereitung und Durchführung hätte die verbündeten Heere wirklich Schulter an Schulter zu großartigen Erfolgen führen können! ...“

Generalfeldmarschall von Mackensen hält nachstehende Erinnerungen an Conrad fest, an den „geistvollen Mann ... von Verstand und Herz, der seiner Stellung gewachsen war ... Von meinem Aufenthalt in Teschen (17. September 1915) bewahre ich die angenehmsten Erinnerungen. Die Besprechung mit GO. von Conrad war so inhaltsvoll, daß meinerseits keine Lücke in der Kenntnis der Kriegslage blieb, in die ich hineinkomme. Daneben hatte ich wieder einen tiefen Eindruck von dem wertvollen Menschen, der die Geschicke des österreichisch-ungarischen Heeres auf dem Herzen und im Kopf trägt.“ An Pastor schrieb der Generalfeldmarschall 1916, Conrad sei eine der bedeutendsten und verehrungswürdigsten Persönlichkeiten der Gegenwart. General der Infanterie von Kühl empfand nach dem Kriege warme Anerkennung: „Feldmarschall von Conrad war zweifellos einer der bedeutendsten Generale des Weltkrieges, großzügig, strategisch hochbegabt, genial in seinen Entwürfen ... Der Ruhm eines bedeutenden Strategen, der, wie alle wahrhaft großen Kriegsmänner, von unzerstörbarem Angriffsgeist beseelt war, wird ihm in der Kriegsgeschichte verbleiben.“ General von Francois stellt fest, „daß Conrad an strategischer Begabung und Feldherrnkühnheit keinen der deutschen Heeresleiter nachstand.“ General Max Hoffmann widmete sein Kriegsbuch Conrad als „Dem einzigen Feldherrn!“ Hoff mann hielt Conrad für eine der größten und genialsten Erscheinungen im Weltkriege. „ .. . für einen der größten Strategen, und ich bin überzeugt, daß, wenn er den Apparat des deutschen Heeres zur Verfügung gehabt hätte, er die glänzendsten Erfolge hätte erringen können...“ Hoff mann rühmt das „große Können und die eminenten Führungseigenschaften“ und fügt noch bei: „Gut waren die Ideen des österreichisch-ungarischen Generalstabschefs — wenigstens soweit sie mir bekannt geworden sind —alle, was man von den Ideen unserer OHL. nicht durchwegs behaupten kann. Das Unglück des genialen Mannes bestand darin, daß das Instrument, seine Ideen in die Tat umzusetzen, ihm fehlte.“ Bei Arminius ist noch zu lesen: „Conrad war ein Adler, der hoch über dem Ganzen schwebend, immer neue Gelegenheiten erspähte, des Gegners Schwäche zu treffen. Er hatte überdies einen scharfen Blick für politische Fragen und war vielleicht der an strategischen Gedanken reichste Feldherr des Großen Krieges..., die Probleme des Mehrfrontenkrieges... löste er reibungslos ..., daß er unter den wohl widrigsten Umständen, die ein Feldherr im Großen Kriege zu bestehen hatte, so große Taten vollbrachte, das alles zusammen läßt ihn mit Foch und Hin-denburg-Ludendorff, der Doppelperson, unter den drei größten des Krieges in einer Reihe stehen . .. Alles in allem zeigte Conrad als e i n-z i g e r der großen Führer ein außerordentlich feines politisches Verständnis und einen ebenso guten politischen Weitblick und Voraussicht.“

Wilhelm Schüssler widmete Conrad den Nachruf: „Und dennoch wird man diesem Manne, der in gewissem Sinne die letzte hohe Blüte des Oesterreichertums darstellt.... Größe und weltgeschichtliche Bedeutung nicht absprechen ... Conrad ist ganz das Produkt seiner Heimat und ihrer stolzen und großen Geschichte. . Diese mächtige Vergangenheit und ihre Werte in die Gegenwart und Zukunft hinüberzuretten, war der titanische und unvergeßliche Versuch dieses letzten wahrhaften General-Stabschefs der ruhmreichen k. u. k. Armee.“

Nicht unvergessen sollen noch die Eindrücke sein, die der letzte Hausarzt Conrads, Dr. Hermann H a u g, in Mergentheim von seinem Patienten gewonnen hat: „... er ließ an dem, was er einmal für richtig erkannt hatte, nichts mehr ändern und deuteln. Nichts war ihm verhaßter als Unwahrheit und Unklarheit ... es war ein Verhängnis, daß dieser österreichische Moltke keinen Bismarck als Mitspieler fand ... eine tiefe Tragik ist es, daß ihm der eigentliche Lorbeer des Feldherrn versagt blieb, auch in den Fällen, in denen er ihm als genialen Strategen unter allen Umständen gebührt ... es war e i n Verhängnis, daß er in Falkenhayn einen Mitspieler hatte, der ihm nicht kongenial war ... hatte er eine Liebenswürdigkeit, wie sie eben nur ein ganz Ueberlegener haben kann, eine Ritterlichkeit und Zuvorkommenheit, wie sie nur ganz selten sind. Sein Wissen war fabelhaft, sein Urteil umfassend scharf und klar ... er war nicht der typische General, kein Haudegen wie Blücher, er war viel eher Moltke, ganz geistesdurchdiungene Beherrschung . . . Sein geniales Voraussehen als Politiker ist heute unbestritten. Möge ihm auch als Soldat die Gerechtigkeit widerfahren, die ihm gebührt, als dem Manne der ganz großen und weitausschauenden Gesichtspunkte, der auf weite Sicht zu ergreifenden Operationen. Als Mensch wird er von allen denen, welche ihn kennenlernen durften, auf die höchste Stufe gestellt werden.“

Marschall L y a u t e y hat seinem Vetter Jean de Bourgoing nach dem Kriege 1914/18 gesagt, er halte Conrad für die markanteste militärische Persönlichkeit der Mittelmächte. General G o u r a u d weilte zufällig bei Conrads Tod in Wien, und befragt, wie er über den österreichischen Marschall denke, gab er an die Presse die Erklärung, „daß in militärischen Kreisen der Entente immer mehr die Ueber-zeugung durchdringe, der Feldmarschall Conrad sei nicht nur der genialste Kopf im Lager der Mittelmächte, sondern im Weltkrieg überhaupt gewesen. Wenn er mit seinen Ideen nicht durchdringen konnte, so lag der Grund darin, daß sich vor (keinem einzigen Oberbefehlshaber des Riesenkrieges eine solche Hydra von unbesiegbaren Schwierigkeiten türmte wie vor seinem tief durchdachten Wollen.“ Unter englischen Urteilen verdient jenes von Lloyd George Hervorhebung: „Der große österreichische Führer Conrad von Hötzendorf war ein Stratege von bedeutenden Geistesfähigkeiten. Ich habe kompetente militärische Urteile gehört und gelesen, die ihn für den größten Strategen (the greatest Strategist) des Krieges halten.“ Als sehr maßgebend müssen weiter die russischen Beurteilungen gelten, denn die russischen Feldherren haben sich unmittelbar mit Conrad messen müssen und können daher aus berufenster Erfahrung aussagen. General R u s s-kij schreibt: „Ein strategisches Meisterwerk war die in genialer Weise erdachte und mit Virtuosität durchgeführte Schlacht bei Lima-nowa, die uns zwang, ein weiteres Operieren gegen Krakau aufzugeben und unseren Karpatenübergang verhinderte. Die Schlacht bei Limanowa war der erste entscheidende Rückschlag, den die Armeen des Großfürsten in

Galizien erlebten. Die Lage der Oesterreicher war zur Zeit der großen Karpatenkämpfe keine beneidenswerte gewesen. Wir in Rußland glaubten damals fest an die totale Vernichtung der österreichisch-ungarischen Armee; um so überraschender war für uns der Ausgang der Schlacht bei Limanowa, denn der schneidige Angriff der Oesterreicher kam für uns ganz überraschend und traf uns an der gefährlichsten Stelle der ganzen Front.“ In seinem weitverbreiteten Werk „Das Hirn der Armee“ rühmte der hochangesehene russische Chef des Generalstabes, Boris Schaposchnikow, an Conrad die sachliche Gründlichkeit aller seiner Arbeiten, seinen hohen geistigen Schwung, die beharrliche Entschlußkraft und seine einzigartige Fähigkeit, die Zusammenhänge zwischen Staat-Volk-Politik-Landesverteidigung zu erfassen. Sergej Dobrorolskij sagt noch über Conrads Memoiren: „Sein Werk mag gleichgestellt werden den Kriegslehren des alten Moltkes und es zählt zu den ausgezeichneten Hauptwerken der kriegswissenschaftlichen Literatur.“

Als sich der Feldmarschall nach dem Kriege nach Innsbruck zurückzog, war er oft Gegenstand aufrichtiger Bewunderung nicht nur von Seiten vieler Reichsdeutscher, sondern auch von Seiten des ehemaligen Gegners im Süden. Der Kommandant der italienischen Besatzungstruppen, Generalleutnant de Sani, erließ an seine Untergebenen den Befehl, es sei „selbstverständliche Soldatenpflicht“, den österreichischen Feldherrn zu grüßen.

Zur Ergänzung seien noch zwei ungarische Urteile wiedergegeben. G a s p a r nennt Conrad „den vornehmen, einfachen Soldaten, der es nicht duldet, daß man der Weltgeschichte vorgreift und die Persönlichkeit, von deren individuellen Können das Los von Millionen abhängt, vor der Oeffentlichkeit beleuchtet“, und Stefan Z s i r o s sieht Conrad vom rein madjarischen Standpunkte aus: „Der wirkliche Marschall Conrad: er kannte keine Nationalitäten. Für ihn gibt es keine Deutschen und keine Ungarn. Er kannte nur Truppen, ob k. u. k., k. k. oder k. u. war ihm ganz einerlei. Er war Großösterreicher, der wahrhafte schwarzgelbe General. Besser so, als ein Reklamenationalist. Er war .habsburgisch-international. Nur von diesen Grundsätzen erwartete er den Sieg.“

Cyrill Falls nennt als die größten Feldherren des Krieges 1914/18: Haig-Rawlinson, Joffre-Foch, Falkenhayn-Ludendorff, Conrad und Brussilow. Daß es auch eine andere Reihung geben kann, zeigt das Urteil eines als vollkommen unparteilich zu nehmenden Kritikers aus Uebersee, J. C. G u e r r e r o s, dem das Schlußwort erteilt sei: „Für die Mitwelt hat freilich der Erfolg die gewichtigste Beweiskraft. Der Erfolg hat aber schließlich Foch an die erste Stelle gebracht und Conrad an die letzte, so daß die Reihenfolge entsteht: Foch, Ludendorff, Conrad. — Die Nachwelt aber wird kritischer sein. Sie wird aus Lehre und Praxis die Grundregeln von bleibendem Wert herauszuziehen wissen, auch wenn sie durch die Mißgunst der Umstände in diesem Weltkriege nicht zum Erfolge führten. Dann wird wohl Conrad es sein, der aus dem Schatten, in den ein unverdientes Geschick ihn zurückgedrängt hat, hervorgeholt wird, um an erster Stelle genannt zu werden: Conrad, Ludendorff, Foch wird es dann heißen müssen. Denn über den Augenblickserfolg erhaben sind bei Conrad die unbestechliche Klarheit seines politischen Gefühls, die Logik seiner Entschließungen, die klassische Einfachheit seiner strategischen Lösungen. Das sind die Eigenschaften, die der Feldherr der Zukunft aufweisen muß.“

Aus „Feldmarscliall Conrad, Auftrag und Erfüllung“, Verlag Herold, Wien.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung