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CONRAD VON HÖTZENDORF

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Vor vierzig Jahren, am 25. August 1925, starb in Bad Mergentheim in Deutschland Feldmarschall Franz Graf Conrad von Hötzendorf im 73. Lebensjahr. Er war zweimal k. u. k. Generalstabschef — von 1906 bis 1911 und von 1912 bis 1917 — und galt als militärisches Genie, unter dessen Führung die österreichisch-ungarische Armee bestens betreut schien.

Es soll hier jedoch keine militärische Würdigung Conrad von Hötzendorfs unternommen werden, dazu sind Historiker und Militärschriftsteller berufen. Ich will lediglich von meinen Begegnungen mit dem einst sehr populären österreichischen Generalstabschef Conrad — wie er im Volke kurz geheißen wurde — aus Anlaß der vierzigsten Wiederkehr seines Todestages erzählen. Das erstemal traf ich ihn im Jahre 1922 in Innsbruck, wo er, wie so viele andere hohe Offiziere der alten Armee, im Ruhestande lebte. Ich sah ihn im Innsbrucker Villenviertel Saggen und erkannte ihn sogleich: sein kühngeschnittenes Antlitz mit dem martialischen Schnurrbart war von Photos und Zeitungsbildern aus der Kriegszeit wohlbekannt. Er ging allein im Regen, und ich wollte ihm meinen Schirm anbieten. Vielleicht könnte ich so mit dem einstigen österreichischen Generalstabschef ins Gespräch kommen. Es war schon immer mein Bestreben gewesen, mit hochgestellten Persönlichkeiten Kontakt zu finden, um ihre Ansichten über Welt und Leben kennenzulernen. Es gelang mir auch hier, wiewohl Conrad von Hötzendorf als alter Militärmann lächelnd meine Schirm-Hilfe ablehnte. Und bald waren wir bei den so ernsten Themen Krieg und Frieden angelangt.

Ich sprach von meinem älteren Bruder, der als blutjunger Oberleutnant, ausgezeichnet mit der Goldenen Tapferkeitsmedaille für Offiziere, nach jahrelangem Kampfe für sein geliebtes Vaterland fiel. Und ich weiß noch ganz genau, wie Conrad von Hötzendorf klar zu erkennen gab, daß wir Menschen allüberall alles daran setzen müssen, den Frieden zu erhalten, und daß keine Anstrengungen gescheut werden dürfen, dieses hohe Ziel zu erreichen. Aber er meinte auch, daß es trotz allen Bemühungen doch immer Kriege geben werde, da der Kampf- und Behauptungswille zutiefst in der menschlichen Natur verankert sei. Und von Hötzendorf illustrierte dies an einem kleinen Beispiel:

„Stellen Sie sich vor“, sagte er lebhaft zu mir, „Sie stünden auf der Spitze des Stephansturmes in Wien und sähen tief hinab auf das Gewimmel der Menschen am Stephansplatz. Einer stößt unwillkürlich den andern und ein jeder sucht seinen Weg zu finden und sich zu behaupten. Genauso ist es im großen mit den Völkern. Immer wird es Reibungen, Kämpfe und Kriege geben, doch müssen wir alles unternehmen“, wiederholte er, „trotz allem den Frieden erhalten zu helfen. Das ist unsere unbedingte Pflicht.“ Ich war als gläubiger Pazifist tief von seinen Worten beeindruckt und mußte mir eingestehen, daß von Hötzendorf kein Fürsprecher des Krieges sein wollte, der gegebenenfalls als alter „Haudegen“ wieder einmal losschlagen möchte, so er den Behaup-tungs- und Kampfwillen als naturgegeben und im menschlichen Wesen verankert bezeichnet.

Ich war damals ein junger Mensch von 25 Jahren, dem des Feldmarschalls Worte eher die eines Philosophen denn eines Militärs zu sein schienen.

Ein, zwei Jahre später sah ich Conrad von Hötzendorf in Wien wieder. Ich kam gerade von einem Sonntagsausflug zurück und fuhr in der vollgesteckten Straßenbahn durch Döbling zum Gürtel. Da bemerkte ich die kleine Gestalt Conrads, der eingezwängt in der Menge der Fahrgäste stand. Ich sprang von meinem Sitz auf und bot ihm meinen Platz an. Doch wieder schlug er meine Einladung lächelnd ab. Und als er mich ansah, fragte er sogleich, ob wir uns nicht schon einmal in Innsbruck getroffen hätten, was ich natürlich bejahen mußte. Es war bekannt, daß der alte Feldmarschall über ein ganz ausgezeichnetes Personengedächtnis verfügte, wie es auch kein Geheimnis war, daß er ein tief philosophisch veranlagter Mensch war, der nicht nur Feldzugspläne entwerfen konnte, sondern auch den Wurzeln des Lebens nachspürte. Und da mußte ich mich wieder seiner Worte erinnern, die er in Innsbruck zu mir gesprochen hatte und die ich bis heute nicht vergessen habe. Später habe ich auch erfahren, daß Conrad von Hötzendorf sich auch als Naturforscher besonders im Karstgebiet betätigt hatte.

Das nächste- und letztemal sah ich den Feldmarschall nur mehr aufgebahrt im Militärkasino am Schwarzenbergplatz. Das war vor 40 Jahren, als seine sterbliche Hülle von Bad Mergentheim nach Wien gebracht worden war. Nun ruht er schon lange aus von Kampf und Krieg am Hietzinger Friedhof. Von Kampf und Krieg, die — nach seinen eigenen Worten — in der menschlichen Natur und im Völkerleben tief verankert sind und die wir doch mit aller Kraft bekämpfen müssen, um den Frieden, den ewigen Frieden, schon bei Lebzeiten und nicht erst im Grabe zu finden.

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