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Vor 150 Jahren wurde Józef Teodor Konrad Korzeniowski geboren, besser bekannt als Joseph Conrad.

Zwei Jahre hatte Sir Henry Morton Stanley nach dem verschollenen Missionar und Entdeckungsreisenden David Livingstone gesucht. Die Bewunderung für seine in britischem Understatement gehaltenen ersten Worte an den Vermissten war grenzenlos: "Dr. Livingstone, I presume", "Dr. Livingstone, nehme ich an?"

Als der polnische Kapitän Józef Teodor Konrad Korzeniowski (1857-1924) im Jahr 1890 ein Schiff auf dem Kongo befehligte, war der britische Afrikaforscher Stanley bereits weltbekannt. 1902 erschien der Kurzroman "The Heart of Darkness" des ehemaligen polnischen Kapitäns, der sich als britischer Staatsbürger und englisch schreibender Autor Joseph Conrad nannte. In dem Buch meldet ein schwarzer Boy im Ton schneidender Verachtung den Tod eines brutalen weißen Elfenbeinjägers: "Mistah Kurtz - he dead." Das war Conrads ironisch-sarkastische Antwort auf Stanley und den britischen Kolonialismus.

Er schwadronierte nicht wie sein großer britischer Erzähler-Kollege Rudyard Kipling von der "Bürde des weißen Mannes", die Wilden nach westlichem Muster zu zivilisieren. Conrad legte seine Deutung des Kolonialismus dem Erzähler Marlow in "Das Herz der Finsternis" in den Mund: "Die Eroberung der Welt, die im Wesentlichen darauf hinausläuft, dass man sie denen fortnimmt, die eine andere Hautfarbe oder etwas plattere Nase als wir haben, ist, genau besehen, nichts Erfreuliches."

Jubiläumsfeiern zum 150. Geburtstag eines der Größten der klassischen modernen Literatur werden von der UNESCO gefördert: Ausstellungen, Lesungen, Konferenzen, ein Festival mit Verfilmungen seiner Romane. Gedacht wird seiner in seiner Heimat Polen, seiner Wahlheimat Großbritannien, in den USA, in Australien, Frankreich.

Nur im deutschsprachigen Raum, so behauptet Renate Wiggershaus, die soeben ein Buch mit dem Titel "Joseph Conrad. Leben und Werk in Texten und Bildern" herausgebracht hat, sei er noch immer ein Geheimtipp. 1942 verboten ihn die Nazis: Als gebürtiger Pole, naturalisierter Engländer und scharfer Kritiker von Ausbeutung und Unterdrückung war Conrad ein dreifacher Feind.

Existenzielle Situationen

Seine (deutsche) Einordnung als Verfasser von Seeabenteuergeschichten ist eine absurde Verkennung des welterfahrenen Romanciers. Conrad war als Seemann auf allen Kontinenten, doch nützte er die Kenntnis fremder Länder nicht zur Ausschweifung in exotische Welten, sondern zur Schilderung existenzieller Situationen. Seine Protagonisten scheitern, und halten doch, mit der Gewissheit des eigenen Untergangs vor Augen, bis zuletzt stand. Sein großes Vorbild: Don Quijote.

Conrad kam nicht aus einer lebenden, vielmehr aus einer überlebenden Nation, deren Identität auf ihrer Sprache, Literatur, Kunst und Geschichte beruhte. Einen polnischen Staat gab es seit den drei Teilungen Polens nicht. Für die Freiheit Polens kämpfte der Vater Joseph Conrads; der Adelige wurde wegen subversiver Aktivitäten von der russischen Polizei verhaftet und in den Norden Russlands verbannt, ebenso die Mutter. Sie stirbt, da ist Joseph Conrad vier Jahre alt. Mit elf folgt er dem Sarg des Vaters, hinter sich Tausende, die dem Patrioten die letzte Ehre geben. Mit 16 ist Conrad bereits in Marseille, will zur See, verspielt sein Geld, schießt sich in die Brust - und überlebt. Von der französischen wechselt er zur britischen Handelsmarine; Englisch lernt er auf einem britischen Kohledampfer von den Matrosen und betritt mit 21 Jahren zum ersten Mal britischen Boden.

20 Jahre fuhr er zur See, meist auf Segelschiffen, auf denen Kühe mitgeführt wurden, um frische Milch für die Kinder zu liefern und Schlachtvieh für den Fleischkonsum. 1894 ging er, gicht- und fieberkrank, endgültig an Land, heiratete und wurde auf der Hochzeitsreise bei der Fahrt über den britischen Kanal nach Frankreich seekrank.

"Niemals ist der Rubikon so blindlings, so ohne Anrufung der Götter, so ohne Furcht vor den Menschen überschritten worden", berichtete Joseph Conrad über seine naiven Schreibanfänge. Lebenslängliches Ringen um den adäquaten Ausdruck folgte. In ungeheuren Kraftakten beschwor er seine Erinnerung, hatte er doch nur von einer einzigen Reise Aufzeichnungen, der Kongofahrt.

13 Romane, 28 Kurzgeschichten, zwei Bände Erinnerungen rang er sich ab, jahrelang auf Vorschüsse angewiesen und mit Frau und zwei Kindern an der Armutsgrenze lebend. Der amerikanische Romancier Henry James setzte sich für Zuwendungen an Conrad ein: "Als Pole geboren und vom Zufall auf die See geführt, hat er sich einen englischen Stil erarbeitet, der mehr als korrekt ist, der Qualität und Erfindungsgabe besitzt. Sein Fall erscheint mir einzigartig und besonders der Anerkennung würdig."

Moderne Literatur

Conrad wurde zu einem Revolutionär der Erzählkunst, einem frühen Vertreter der Moderne. Er wagte das Aufbrechen der Chronologie, ineinander verschachtelte Rückblenden, Standpunktwechsel. Modern auch seine Themen, etwa Terrorismus. Im Roman "The Secret Agent" wird auf die Sternwarte von Greenwich ein Attentat verübt. Charakterliches Versagen im entscheidenden Augenblick in seinem Roman "Lord Jim": In Polen folgt dieses Buch in seiner Wirkung gleich auf die Bibel, zeigt sich Conrad doch als Verfechter einer Individualethik; die Kommunisten als Anhänger der "Partei-Ethik" hassten Conrad.

Das größte seiner Themen aber ist die Finsternis der inneren Natur des Menschen. "Das Herz der Finsternis" muss man mindestens zweimal lesen. Beim ersten Lesen schlägt die Geschichte des geheimnisumwitterten, gewalttätigen Mr. Kurtz in Bann, der sich in dem von europäischen Staaten gewaltsam angeeigneten und zerteilten Kongogebiet sein eigenes Imperium errichtet hat und unerlöst verreckt, mit den nur mehr gehauchten Worten "The horror!", "Das Grauen!" auf den Lippen.

Erst beim zweiten Lesen erschließt sich die Tragweite dieses Abstiegs in das Herz der Finsternis, das nicht der Kongo ist, sondern der Abgrund in jedem, ob schwarz oder weiß, denn bei Conrad sind die Eingeborenen nicht die besseren Menschen. Der Pessimist forderte dennoch Menschlichkeit, Liebe, Treue.

BUCHTIPPS:

Joseph Conrad. Leben und Werk in Texten und Bildern

Von Renate Wiggershaus

Insel tb 3296, Frankfurt 2007

244 Seiten, brosch., € 10,-

Joseph Conrad: Fahrt ins Geheimnis. Eine Biographie

Von Elmar Schenkel

S. Fischer Verlag, Frankfurt, 2007

367 Seiten, geb., € 24,90

Herz der Finsternis

Von Joseph Conrad, aus dem Englischen von Fritz Güttinger

Manesse, Zürich 2007

158 Seiten, geb., € 12,90

Jugend. Herz der Finsternis. Das Ende vom Lied

Erzählungen von Joseph Conrad

Aus dem Engl. von Manfred Allié

S. Fischer Verlag, Frankfurt 2007

376 Seiten, geb., € 20,50

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