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Zwischen 5. und 6. Republik

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Am 13. Mali um Mitternacht lief die Frist ab, um als Kandidat für das höchste Amt der Republik vom Staatsrat bestätigt zu werden. An diesem Tag registrierten die Kronjuristen sechs Kandidaturen, die sich nun in den kommenden Wochen mit allen Mitteln der Technik, der Meinungsforschung und klug geplanter Werbefeldzüge die Gunst der Wähler sichern wollen.

Der Expremierminister Pompidou hatte sofort seine Bereitschaft bekanntgegeben, das politische Erbe de Gaulles anzutreten. Pompidou war einsichtig genug, um den negativen Ausgang des Referendums richtig zu deuten. Die Staatsbürger wollten weniger von Frankreich und mehr von den Franzosen hören.

Pompidou dagegen versetzte die Akzente und versucht der UDR das Image einer konstruktiven konservativen Partei zu verleihen. Die Linksgaullisten unter Capitant zeigten sich von der Kandidatur Pompidou wenig erbaut. Sie dachten zeitweise daran, ihren eigenen Chef in den Vordergrund zu rücken. Aber Pompidou ist die einzige Persönlichkeit, die genügend Prestige besitzt, um auch zweifelnde Wähler für sich zu gewinnen.

Seit Jahren hatte die linke Opposition die Möglichkeit aufgezeichnet, den Gaullismus durch ein originelles politisches Konzept zu ersetzen. Dem Minister der IV. Republik, Mitterrand, war es tatsächlich gelungen, 1965 als einziger Kandidat der Linken zu fungieren und die nichtkom-mundstiischen Parteien und Gruppen dieser Tendenz zu einigen. Aber die Schlüsselflgur der sozialistischen Partei SFIO blieb nach wie vor der Generalsekretär Guy MoUet. Die Beziehungen zwischen beiden Männern waren mehr als kühl. Die Bindungen zwischen Sozialisten und Kommunisten lösten sich durch die Ereignisse in der Tschechoslowakei auf. Der als Antikommunist bekannte Bürgermeister von Marseille, Gaston Defferre, überrumpelte praktisch seine Partei mit einer persönlichen Aktion und erkürte sich selbst zum Kandidaten der SFIO. Die kommunistische Partei hatte bereits aus dem Scheitern der Verhandlungen bestimmte Konsequenzen gezogen und stellte ihr bewährtes „Schlachtroß“ Duclos als Kandidaten auf. Die Extreme Linke, aus Maoisten und Trotzkisten bestehend, hatte ebenfalls mit nur einer Kandidatur der Linken gerechnet. Nachdem diese Illusion zerstoben war, erkannten die Trotzkisten, daß ihnen die einmalige Möglichkeit geboten wird, durch das Fernsehen ihre Ideen der Nation vorzustellen. Sie ernannten daher den 27jährigen Krivine, Generalsekretär der trotz-kistiscben Liga zum Kandidaten.

Die Zentrumsparteien, eigentliche Sieger des Referendums, vermochten sich zu keiner einheitlichen Linie aufzuraffen. Der Chef der Parlamentsfraktion „Fortschritt und moderne Demokratie“ und der letzte Generalsekretär des MRD, Fontanet, schlössen sich der Analyse Giscard d'Estaings an, nach der Pompidou bereit wäre, eine liberale und europäische Politik einzuleiten. Die Mehrheit der Mittelparteien blickte jedoch auf Alain Poher, der mit Würde, Gelassenheit und echter Autorität die Lücke füllte, die durch den Abgang de Gaulles gerissen wurde.

So wird es zu einem Duell zwischen Pompidou und Poher kommen. Selbst ein gewiegter Kenner der Innenpolitik muß seine Voraussagen mit größter Reserve treffen. Nachdem die Mittel- und Linksparteien annehmen, daß Poher die Kammer auflösen wird — die absolute Mehrheit der GauMisten entspricht sicherlich nicht mehr der Physiognomie der Nation — kann der interimistische Staatepräsident mit diesem Wählerreservoir rechnen. Auch die Gewerkschaften stehen der Person Pohers sympathischer gegenüber. Frankreich wird ein Bekenntnis zur 5. oder 6. Republik abzulegen haben.

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