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Der neuenig von Rom

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Jeder Zeitgenosse hat sich einmal mit dem tragischen Schicksal des einzigen Sohns Napoleons beschäftigt, der als König von Rom seine Karriere begann und sich als Herzog von Reichstadt in Erinnerungen an seinen Vater verzehrte.

Seit einigen Tagen besitzt Frankreich — wie es der Pariser „Figaro“ spöttisch darstellt — wieder einen ,,König von Rom“. Ein recht wohlbeleibter Herr, dem ständig eine Zigarette im Mundwinkel hängt, stellt sich der freudig überraschten Bevölkerung als Nachfolger des bonapartistischen de Gaulle vor. Er heißt Georges Pompidou, Exminister-präsident der V. Republik und derzeit einfacher Abgeordneter eines bäuerlichen Landkreises im Gebiete des Cantals. Anläßlich eines halb offiziellen, halb privaten Ausfluges nach Rom verkündete Pompidou, daß er als Kandidat für das höchste Amt auftrete, das die V. Republik vergibt.Diese Erklärung löste in Paris zahlreiche Spekulationen aus und beleuchtet schlagartig das derzeitige innenpolitische Klima sowie die Zustände innerhalb der Mehrheitsparteien.

Es darf atomsicher angenommen werden, daß die Verfassung der V. Re-publik von der Nation vollinhaltlich akzeptiert wurde. Das Volk wünscht einfach keine Rückkehr zu der Un-stabilität eines Kammerregimes, in dem obskure Abgeordnete nach Laune und Intrige in zermürbenden Nachtsitzungen amtierende Regierungen stürzen. Die 1958 ausgearbeitete und später revidierte Verfassung billigt dem Staatspräsidenten weitgehende Vollmachten zu. Er bestimmt die großen Linien der Politik, setzt die Regierung seines Vertrauens ein und kann sich über die Einsprüche der gesetzgebenden Versiammttun-gen leicht hinwegsetzen. Im Artikel 16 werden dem Staatsoberhaupt zusätzlich fast diktatorische Befugnisse in Notzeiten eingeräumt. Dieser Paragraph diente in der Geschichte der V. Republik mehrfach dazu, um die Opposition lahmzulegen und gewisse Maßnahmen autoritärer Natur zu sanktionieren. Die jeweiligen Regierungen hatten eine festurnschriebene Aufgab* übernommen. Sie machten die Politik des Staatschefs der Nation verständlich und verminderten die ple-biszitäre Form des Regimes. Mit der Bestellung des einstigen Kabinettchefs de Gaulles, Georges Pompidou, trat ein neues Element in der französischen Innenpolitik auf. Der beinahe unbekannte Gymnasiallehrer und spätere Generaldirektor der Bank Rothschild verstand es, sein Amt geschickt aufzuwerten. Ein eher obskurer Funktionär des Gaullismus entwickelte sich zum Staatsmann und zeigte in seiner Haltung und in der Ausarbeitung eines politischen Konzepts beinahe geniale Züge. Er wurde der eigentliche Chef der gaullistischen Partei, ahne mit diesem Titel ausgezeichnet zu sein. Darüber hinaus verstand er es, die heterogenen Kräfte des Gaullismus zu sammeln und sie im Sinne de Gaulles der Staatserhaltung einzuordnen.

Nach vielen persönlichen Triumphen nahmen die politischen Kommentatoren an, daß Pompidou seine Stellung verstärken werde und al* möglicher Nachfolger de Gaulles die erprobten Einrichtungen der Republik im Geiste des Gründers festige. Die öffentliche Meinung war überrascht, als der bisherige Außenminister Couve de Murville mit der Regierungsbildung beauftragt wurde. Wie alle historisch einsamen Persönlichkeiten, die aus sich, hsraus-da* Geschicke der Zeit formen, liebt Staatschef de Gaulle in seiner Umgebung keine zu starken Männer. Gewisse taktische Gegensätze trennen die beiden Politiker, die nach Herkunft und Charakter diametrale Naturen sind.

Der neue Ministerpräsident Couve de Murville, der im Stil eines britischen Landedelmannes regiert, konnte die Gunst der Masse nicht gewinnen, und Pompidou wurde nach wie vor als der eigentliche Sprecher der Gauldi-sten im Parlament angesehen, obwohl er es vermied, sich in den Diskussionen zu exponieren oder durch zu scharfe Formulierungen zu glänzen.

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