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Gulasch statt Kanonen

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Leonid Breschnew, der neue Zar aus dem Osten, hat mit seiner Bonner Visite Dinge auf dem europäischen Kontinent in Schwung gebracht, die in vergangenen Zeiten möglicherweise nur durch Kriege bewegt worden wären. Dabei sind die Weisen, und dies nicht nur am Rhein, in ihren Deutungsversuchen mehr als uneins. Nach außen hin gab sich der Kreml-Herr vornehmlich und unbestreitbar jedenfalls als der Abgesandte einer Wirtschaftsmacht, die an Kooperation mit neuen Partnern interessiert ist.

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Leonid Breschnew, der neue Zar aus dem Osten, hat mit seiner Bonner Visite Dinge auf dem europäischen Kontinent in Schwung gebracht, die in vergangenen Zeiten möglicherweise nur durch Kriege bewegt worden wären. Dabei sind die Weisen, und dies nicht nur am Rhein, in ihren Deutungsversuchen mehr als uneins. Nach außen hin gab sich der Kreml-Herr vornehmlich und unbestreitbar jedenfalls als der Abgesandte einer Wirtschaftsmacht, die an Kooperation mit neuen Partnern interessiert ist.

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Schon einmal trommelte ein Neuerer der Sowjetpolitik mit Schlagworten, die einen „Gulaschkommunismus“ versprachen und baute, ganz nebenbei, der Welt (bald) größte Seemacht auf. Hat Breschnew etwa das Ziehen von Kanonenrohren satt?

Zweifelsohne nähert sich die Sowjetunion auf allen Gebieten der Palette militärischer Machtanwendung dem totalen Patt mit dem Rivalen USA. Diese Anstrengung hat dem Koloß Rußland Kräfte über Gebühr gekostet. Er ist in seiner industriellen Struktur nach wie vor durch seine Schlagseite zur Schwerindustrie gehandikapt. Die Krise in der Landwirtschaft hat sogar die Sowjetunion importabhängig gemacht. Die Dämme gegen den steigenden Konsumgüterwunsch der Bevölkerung, vorerst westlich des Urals, werden nicht mehr lange halten. Vor dem Druck der Autowelle mußten die Planwirt-schaftler in Moskau schon zum Teil kapitulieren.

Fördert nun die Erkenntnis, daß die machtpolitische Position, die mit so viel Konsumverzicht aufgebaut wurde, wirtschaftlich in Gefahr geraten könnte, die Chancen auf ein realistisches Kooperationsangebot? Wie steht es mit der Gefahr, der Osten könnte versuchen, mit seinem Handelsgeschäft den Westen in neue Abhängigkeit zu stürzen?

Es ist zu befürchten, daß man auf

beiden Seiten der Zahlengiganto-manie, die mit Statistiken betrieben wird, erlegen ist. Die Planer dm Kreml überschätzen zweifelsohne die Attraktivität, die der Handel mit ihnen hat. Und offenbar hat die alte Schwäche der Russen, gebannt auf die Kraft der Preußen zu starren, nun auch die neue Technokratengeneration dm Kreml erfaßt. Will Breschnew nämlich wirklich das „Superding“ realisieren, von dem er spricht, wird er, (und er hat es ja bereits in seinem Programm), mit Amerika verhandeln müssen.

Wie Zahlen täuschen können, zeigt der Anteil der Vereinigten Staaten am Welthandel. Mit 14/o im Jahre 1970 liegt er nur knapp über dem der Staatshandelsländer, China eingeschlossen. Diese Zahl kommt aber erst im Vergleich zum Bruttonatio-nalprodukt der USA zum Tragen und ergibt die Tatsache, daß es nach wie vor zum größten Teil im eigenen Land verdient wird.

Die Exportabhängigkeit der Westeuropäer hingegen macht diese daher erst für den Osten interessant. Nicht zur Abschwächung der Wertziffern bei der Bonn-Visite Breschnews, doch zur Gewichtung muß ergänzt werden, daß der Handelsverkehr der Westdeutschen mit Österreich bislang den mit dem Riesenreich Sowjetunion um das Achtfache schlägt!

Zog Breschnew also aus, um den Westen an- oder auszupumpen? Kann die Rechnung: „know-how“ gegen Rohstoffreserven eine ausgewogene Handelsbasis bieten? Was bedeutet der Wunsch, diese Kontakte nur langfristig abzuschließen? Geht die Uhr im Kreml nach wie vor auf Zeitgewinn?

Der deutsche Industrieführer Otto Wolff von Amerongen, noch mehr als Krupp-Exchef Beitz ein Synonym der industriellen Öffnung Deutschlands nach dem Osten, macht sich dazu seinen eigenen Reim: für ihn bedeuten die auf 50 Jahre ausgelegten Kooperationsverträge, daß die Sowjets offenbar dem kapitalistischen System im Westen größere Uberlebenschancen zubilligen als viele dort agierende Ideologen linken Zuschnitts.

Die sich progressiv entwickelnde Energieverknappung der westlichen Industriewelt läßt aber tatsächlich neue Gewichte erwarten. Die Abhängigkeit vom öl des politisch unsicheren Nahen Ostens läßt die Kreml-Führung geradezu im neuen Licht -solider Vertragstreue erscheinen. Erinnerungen an jenen Kohlenzug, der über die Brücke am Bug rollte, knapp bevor am anderen Ufer die Geschützrohre zu feuern begannen, werden dabei wach.

Doch im selben Moment drängt sich eine andere Frage dazwischen. Ist die wirtschaftliche Lage in der freien Welt so gesund, daß diese es sich leisten kann, einen Teil ihres Bruttosozialproduktes an den Osten abzugeben? Und zwar darum, der Sowjetunion zu helfen, damit diese ihre wirtschaftliche und damit untrennbar verbundene politisch-militärische Macht festigen kann? Konsumverzicht im Westen — für Konsumgenuß im Osten?

Nationalratssitzung in Wien.

Nur einige dutzend Kilometer südlich und östlich vom Wiener Parlament werden gleichzeitig Tiere notgeschlachtet, büßen Bauern ihre letzten Ersparnisse ein, müssen Schulen durch Wochen geschlossen halten, droht der Fremdenverkehr schweren Schaden zu nehmen.

Das alles kümmert die Parlamentarier nicht. Sie diskutieren über den DDSG-Verkehr und eine internationale Vereinbarung mit Polen.

Daß die Abgeordneten der Regierungspartei von der Bundesregierung, insbesondere aber vom zuständigen Gesundheitsminister, keine peinlichen Antworten auf peinliche Fragen haben wollen, liegt auf der Hand. Was aber ist mit der ÖVP, der stets sich ermannenden, genau kontrollierenden Opposition?

Sie schweigt; und bläst ihre für diese Tage angesetzte „Dringliche Anfrage“ wieder ab.

Weshalb der Skandal rund um die Seuche weitergeht. Und die niederösterreichischen und burgenlänäi-schen Abgeordneten vom Wiener Parlament aus in ihren diversen Dienstwagen wieder beruhigt über die Seuchenteppiche nach Hause fahren werden...

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