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Andropow fest im Sattel

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Generalsekretär Jurij Andropow schafft in sieben Monaten, wozu Vorgänger Leonid Breschnew 13 Jahre gebraucht hat: Nun bekleidet er neben den Schlüsselpositionen des Parteiführers und des Präsidenten des Verteidigungsrates auch noch das repräsentativ wichtige Amt des Staatsoberhauptes.

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Generalsekretär Jurij Andropow schafft in sieben Monaten, wozu Vorgänger Leonid Breschnew 13 Jahre gebraucht hat: Nun bekleidet er neben den Schlüsselpositionen des Parteiführers und des Präsidenten des Verteidigungsrates auch noch das repräsentativ wichtige Amt des Staatsoberhauptes.

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Kein Zweifel, Andropow sitzt fest im Sattel, gefährdet mehr durch Krankheit — sofern eine solche außerhalb der dichtgeschlossenen Kremlmauern überhaupt feststellbar ist — als durch politische Rivalitäten.

Die Konzentration von höchsten Ämtern und Würden in der Hand Andropows hebt sich auffallend vom üblichen Schneckentempo ab, das für Veränderungen im Kreml und für den Wandel in der Sowjetgesellschaft nun einmal charakteristisch ist. Dem neuen Herrn im Kreml bleibt viel weniger Zeit als Breschnew, seinen Namen in der Sowjetgeschichte zu verewigen. Seine Macht ist konsolidiert, aber noch nicht gegen jegliche Herausforderung gefeit.

Eine sensationelle Veränderung der herrschenden Machtbalance in der Sowjetführung ist denn auch bei der Vollsitzung des Zentralkomitees und bei der anschließenden Tagung des sowjetischen Scheinparlamentes, der beiden Häusern des Obersten Sowjets, ausgeblieben.

Konstantin Tschernenko, Hauptreferent vor dem Parteiple num mit dem üblichen Ehrerbietungsritual für den Generalsekretär, bleibt ebenso in seiner Position als höchster Ideologiewächter, wie Nikolai Tichonow, mit 78 Jahren den übrigen in der ältesten politischen Führung der Welt um einige Jahre voraus, weiterhin die Regierungsführung innehat.

Ablöse, Säuberung von Kontrahenten, gar die drängende Blutauffrischung durch jüngere Funktionäre blieben aus. Kompromiß und Pattstellung schieben wie so oft in der nachstalinisti- schen Parteigeschichte die Zäsur hinaus.

Erstmals seit den Tagen Chruschtschows wird in sowjetischen Publikationen von den Gefahren einer Fraktionsbildung gewarnt. Die zwei Gruppierungen oder Plattformen in der Parteispitze sind klar zu erkennen: Hier die Parteigänger Andropows, die Führer des Sicherheitsapparates, die Militärs und das Außenamt. Dort Tschernenko und die einstigen Proteges von Breschnew, zu denen auch der greise Tichonow zu zählen ist.

Andropows Gefolgsleute haben in der Kommandozentrale die Oberhand, nunmehr verstärkt durch den sowjetischen Botschafter in Havanna von 1971 bis 1975, Vitali Worotnikow als achter Kandidat zum Politbüro. Tschernenko zählt vornehmlich auf den Apparat von Partei und Exekutive.

Wiederum: Breschnews Allmacht war erst ein Jahrzehnt nach der Ablöse Chruschtschows nach allen Seiten abgesichert. Andropows Punktegewinn in der zähflüssigen Umwandlung der Machtstrukturen: Breschnew-

Intimus und Hausnachbar Schtscholokow, noch nach dem Ableben des letzten Generalsekretärs Innenminister, wird aus dem Zentralkomitee entlassen, weniger wegen der zur Last gelegten Korruptionsfälle als auf Grund der Zugehörigkeit zur rivalisierenden Fraktion.

Andropow als Reformer? Die zentralen Figuren der sowjetischen Führung von heute sind weniger Reformer als Realisten. Dementsprechend ist die Prioritätenliste des Generalsekretärs gesetzt:

Stabilität und Kontinuität in der Führung, um die Gefahr einer Desintegration zu bannen; Aufrechterhaltung der Ordnung und Zähmung aller Erscheinungen, die das sowjetische Ordnungsbild verzerren; Beseitigung der horrenden Ineffizienz in der Wirtschaft, ohne den Koloß durch größere Umgestaltungen ins Wanken zu bringen, wie dies unter Nikita Chruschtschow der Fall gewesen ist. Andropow bleibt rigid und orthodox in seiner Haltung gegenüber dem Ausland und im Innern.

Solchermaßen ist nicht alles eitel Wonne, was er bisher erreicht hat. Der Alkoholismus, wieder einmal ins Visier genommen, nimmt zu, statt abzunehmen. Die Kampagne gegen die Korruptionhat Teilerfolge zu verzeichnen. Nun legen sich Apparatschiks, die dadurch um ihre Privilegien und Machtbefugnisse bangen müssen, dem Generalsekretär in den Arm, das Tempo ist merklich abgeschwächt.

In der Wirtschaft sind Fortschritte zu verzeichnen, den Managern von Fabriken und Kolchosen ist geringfügig mehr Ellbogenfreiheit in ihren Entscheidungen eingeräumt, die Eigeninitiative wird angespornt, um die Planziele doch noch zu erfüllen.

Die Absage an jede Art von Meinungsvielfalt und Freiheit der Debatte, die Wirtschaftslenker nun einmal so dringend benötigen, um die Grundlage für größere Produktivität zu schaffen, reduzieren wieder den Ansporn zu größerer Produktivität. Solange diese aber beeinträchtigt ist, erhalten auch die Generäle nicht alles, was ihnen zur Erstellung des militärischen Übergewichtes gegenüber dem Westen noch fehlt.

In den Abrüstungsgesprächen ist der neue Kremlherr mit einer Reihe von Initiativen aufgetreten — freilich ohne Aussicht auf Erfolg besonders jetzt, das Westdeutschland und Großbritannien gegen sowjetische Vorstellungen eine neue Regierung gewählt haben.

Andropows Ziel, mit China ins bessere Einvernehmen zu kommen, bleibt so lange unerreicht, als die Rote Armee in Afghanistan steht. Der Griff auf die Abhängigen bleibt ungelockert, wie die Rede Gromykos mit deutlicher Anwendung der Breschnew-Doktrin — beschränkte Souveränität von Moskaus Satelliten — auf das vom Papst besuchte Polen beweist.

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