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Die Scheinfreiheit

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Die Verhandlungen über Berlin sind wieder einmal festgefahren. Kurz sei rekapituliert: Die Regierung Brandt schloß ihren Vertrag mit Moskau, machte aber das Inkrafttreten dieses Vertrages von einer „erträglichen“ Regelung der Berlinfrage abhängig. Da aber Berlin seit Ende des zweiten Weltkrieges eine Angelegenheit der vier Mächte ist, mußten diese sich zuerst über den ganzen Komplek einigen. Sie taten dies in Form eines Rahmenvertrages, der Ost-Berlin endgültig der DDR einverleibte West-Berlin endgültig der Bundesrepublik absprach, dafür aber die Zufahrtswege vom freien Westen in das westliche Berlin unter die Garantie der vier Mächte stellte und außerdem Erleichterungen für den Verkehr zwischen Ost-Berlin und West-Berlin vorsah. Dieser Vertrag war, wie schon erwähnt, ein Rahmenvertrag. Die endgültige Formulierung sollte zwischen der Bundesrepublik und der DDR beziehungsweise zwischen dem westlichen Berlin und der DDR erfolgen. Auf den ersten Blick sah es aus, als hätten die Russen die DDR auf die Seite geschoben und über deren Köpfe hinweg sich mit den Westmächten geeinigt. Vielleicht taten sie es wirklich, vielleicht war das ganze nur ein abgekartetes Spiel. Denn auf der unteren Ebene, also auf der Ebene der Verhandlungen zwischen der

Bundesrepublik und der DDR beziehungsweise zwischen West-Berlin und Ost-Berlin, sind die Verhandlungen nun festgefahren. Und wer die russische Politik kennt, weiß, daß sie erst aufgetaut werden, wenn es den Sowjets angenehm sein wird.

Vorläufig hat der Kreml sein Ziel erreicht: Öst-Berlin gehört endgültig der DDR; wie die Garantie der freien Zufahrtswege nach West-Berlin aussehen soll, wurde bis jetzt nicht formuliert; West-Berlin hängt somit nach wie vor in der Luft; Moskau hat durch den Abschluß eines Vertrages mit den Westmächten ein gutes Klima in der freien Welt verbreitet. Vor allem aber hat der Kreml Brandts Regierung gefangen: Denn mit dem Berlin-Vertrag ist der deutsche Moskau- Vertrag gekoppelt. Und der Vertrag zwischen Bonn und Moskau ist für Brandt fast noch wichtiger als für den Kreml. Soll er doch der deutschen Industrie wichtige Absatzgebiete erschließen, soll er die Krönung der Ära Brandt sein. Kurz und gut: Brandt wird eines Tages zu jeder Regelung über die Berlin- Frage bereit sein, nur um seinen Vertrag mit Moskau überhaupt noch unter Dach und Fach zu bringen und seinen „Erfolg“ zu retten. Von diesem Tag an wird Moskau Berlin so in der Hand haben, wie China Macao…

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