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„Schwarzer“ Papst im roten Moskau

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Seitdem Nixon seinen Plan bekanntgab, nach China zu reisen, läuft die russische Diplomatie auf Hochtouren. Und während der Schatten Maos sich langsam auch schon nach Europa erstreckt und nach Albanien auch Rumänien und Jugoslawien überdeckt, versucht Rußland alles nur Mögliche, um sich gegen die geplante Einigung Washington- Peking zu rüsten. Eine der ersten Taten, die Rußland unter diesem Aspekt setzte, war die Einigung der vier Mächte über Berlin oder, richtiger gesagt, über West-Berlin. Zu dieser Einigung wäre es wahrscheinlich noch lange nicht gekommen, wenn nicht der Schatten Maos sich immer drohender ausgedehnt hätte. Durch diese Einigung wurde zunächst die DDR von dem Alpdruck befreit, daß Ost-Berlin doch eines Tages aus ihrem Gebiet ausgeklammert werden könnte. Denn durch dieses Übereinkommen ist Ost- Berlin endgültig ein Territorium der DDR. Durch dieses Übereinkommen wurde aber auch Westdeutschland von dem Alpdruck befreit, daß auch West-Berlin eines Tages an die DDR fallen könnte. Durch die Garantie der Zufahrtswege seitens Rußlands droht die Sowjetunion Ostdeutschland mit erhobenem Finger, seine Politik um West-Berlin ja nicht zu stören. Durch den Abschluß des Viermächtevertrages stützt es auch Kanzler Brandt. Denn dieser machte wieder den Abschluß des Moskauvertrages von einer endgültigen Regelung über Berlin abhängig. Wäre diese nicht gekommen, dann könnte der Moskauvertrag gar nicht in Kraft treten und die Stellung der Regierung Brandt wäre noch prekärer, als sie es ohnehin schon ist.

Um die Vereinbarung Washington- Peking aber auch sonst rechtzeitig zu paralysieren, schickt Rußland einen seiner Spitzenpolitiker nach

Nordvietnam und versucht neuerlich, mit Frankreich in Kontakt zu kommen, um die Fäden, die einst de Gaulle geknüpft hat, weiterzuspinnen. Sein weitestes Ziel ist die Einberufung einer Weltsicherheitskonferenz. Welche weitere Kapriolen die russische Diplomatie noch schlagen wird, ist nicht abzusehen. Es ist durchaus möglich, daß Rußland, das seit einiger Zeit geheime Kontakte zu Tschiankaischek auf Formosa aufrecht erhält, diese verstärkt und versuchen wird, Taiwan in irgendeiner Form gegen Peking zu mobilisieren. Es ist aber auch durchaus möglich, daß die russische Diplomatie die Karte einer Art Einigung der beiden Deutschland ins Spiel bringen wird, nicht um die DDR zu opfern, sondern um Westdeutschland aus der NATO herauszubrechen und zu neutralisieren. Denn was Rußland unbedingt will, ist, Ruhe an seinen Westgrenzen zu haben, um mit Ruhe den Auseinandersetzungen an den Ostgrenzen entgegensehen zu können.

Eine Karte, die die russische Diplomatie in diesem Spiel vor kurzem ausspielte, ist die Reise, die der Jesuitengeneral — oft genannt „der schwarze Papst“ — vor kurzem nach Moskau unternahm. Zwar hat seine Reise offiziell gar nichts mit Politik zu tun. Er kam auch in keiner Weise als Vertreter des Papstes nach Moskau. Der Jesuitengeneral fuhr nur nach Moskau, um einer Einladung des Patriarchen der russisch- orthodoxen Kirche, Nikodemus, zu folgen. Nun weiß alle Welt, daß in Rußland nichts geschieht, was der jeweils herrschende Zar nicht will, daß es geschehe. Der Jesuitengeneral, der nur zum Besuch des Patriarchen Nikodemus nach Moskau fuhr, hätte diese Reise niemals unternehmen können, wenn das russische Regime sie nicht nur nicht ge-

wollt, sondern nicht ausdrücklich gewünscht hätte. Welche Absichten aber kann die Sowjetdiplomatie mit dieser Reise verfolgen? Denn hinter dem Jesuitengeneral stehen keine Divisionen oder auch nur Bataillone, hinter ihm steht höchstens der eigene Orden, von dem die Sowjetdiplomatie ebenso wie alle Welt weiß, daß er eine schwere Krise durchmacht, die dem Papst und dem General viele Sorgen bereitet. Der General der Gesellschaft Jesu kam also scheinbar mit leeren Händen nach Moskau, als ein eher Ohnmächtiger — gesehen von einem sehr politischen Standpunkt. Und dennoch hat die Sowjetdiplomatie sicher ein sehr großes Interesse am Zustandekommen dieser Reise gehabt. Sie ist für sie ein unleugbarer Propagandaerfolg sowohl innerhalb des Ostblocks, wie auch innerhalb der freien Welt. Ein Erfolg, weil durch sie ein Element der Beruhigung geschaffen werden konnte. Zum Unterschied von der freien Welt, befindet sich die katholische Kirche innerhalb des Ostblocks trotz aller Schikanen und Verfolgungen in einem wesentlich besseren Zustand als die Kirche diesseits des Vorhanges. Das religiöse Interesse wächst. Für viele Menschen, die der Kirche bisher fern standen, ist sie der letzte Raum der Freiheit. Und das macht die Kirche für sie interessant. Die zersetzenden Diskussionen, die der Katholizismus der freien Welt kennt, sind im Katholizismus des Ostens so gut wie unbe- bekarmt. Ebenso die schwere Krise, die das Priestertum in der freien Welt jetzt erleidet. Austritte aus dem Priesterstand kommen fast nicht vor, und während in der freien Welt der Priestemachwuchs zu verdorren droht, haben Ostblockländer wie Jugoslawien und Polen einen Überschuß an Priestern. Sie haben einen Priesternachwuchs, der auch geistig immer besser wird. So werden die Katholiken in den Ostblockstaaten, Obwohl sie so gut wie nicht organisiert sind, doch langsam eine Macht. Aber diese Macht muß jetzt unbedingt in Ruhe gehalten werden. Und die Reise des Jesuitengenerails nach Moskau hat zweifellos beruhigend in diesem Sinn unter den Katholiken des Ostblocks gewirkt.

Denn wenn der Jesuitengeneral, obgleich nicht offiziell, aber doch mit Billigung der Regierung, nach

Moskau reist, dann — so wird alle Welt munkeln — hat das Sowjetregime ein Interesse, sich mit Rom zu arrangieren. Dieses Gemunkel allein schafft schon eine Beruhigung. Aber auch in der freien Welt ist diese Reise, ein Erfolg für die Sowjetdiplomatie, denn auch hier wird der Eindruck erweckt werden, daß Rußland langsam an normalisierten Beziehungen zwischen den einzelnen Kirchen nicht uninteressiert sei. Ob die Wirklichkeit anders ist, danach wird nicht viel gefragt werden. Ja, es wird auch der Eindruck entstehen, daß die Sowjetunion an der Aufrechterhaltung des Friedens sehr interessiert sei, und dieser Eindruck ist ein gutes Präludium für die von den Sowjets so sehr gewünschte Friedenskonferenz. Weiß der Kreml doch nur zu genau, daß der Vatikan an der Aufrechterhaltung des Friedens enorm interessiert ist.

Und wenn die Reise: wirklich der Stärkung des Friedens gedient hat, dann hat sre jedenfalls ihren Zweck erfüllt. Manche Angehörige des Jesuitenordens allerdings waren über diese Reise eher betrübt, nicht, weil sie nach Moskau ging, sondern weil ihnen ihr General überhaupt zu oft auf Reisen geht und dadurch angeblich die einheitliche Regierung des Ordens leidet, der gerade jetzt einer sehr konsequenten Regierung bedürfte. Schon nach dem Tode General Ledochowskis spottete man in Rom, daß der Orden jetzt nicht mehr einen General und acht Assistenten habe, sondern acht Generale und einen Assistenten. Und wenn auch dieser Spottvers heute nicht mehr gilt, so ist doch die heutige Art, wie der Orden regiert wird, anders als sie bis zum General Ledö- chowski üblich war.

Wobei allerdings sich die Frage erhebt, warum denn das Phänomen der reisenden und ununterbrochen tagenden Kirche gerade vor dem Jesuitenorden haltmachen sollte. So wird erst die Zukunft lehren, ob das viele Herumreisen von Angehörigen der Kirche ihr auch wirklich gedient hat. Allerdings kann schon jetzt mit ruhigem Gewissen behauptet werden, daß die Reise des schwarzen Papstes in das rote Moskau sicherlich für den Frieden förderlich war.

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