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Verwirrte Lage in Bonn

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Die deutsche Außenpolitik ist in ein neues Stadium getreten. Wußte man bisher die harte Hand Konrad Adenauers hinter der Behandlung außenpolitischer Probleme, so scheint nun zu allem Überfluß auch dieses wichtige Gebiet in den Intrigendschungel der Bundeshauptstadt Bonn geraten zu sein. Während der amtierende westdeutsche Außenminister Gerhard Schröder zur NATO-Außen-ministerkonferenz nach Athen fuhr, begab sich sein Amtsvorgänger von Brentano nach Amerika, offenbar, um den amerikanischen Präsidenten begreiflich zu machen, daß die von Schröder eingenommene Haltung zu den amerikanisch-russischen Gesprächen nicht von allen Kabinettsmitgliedern in Bonn geteilt würde. Dieselbe Version vertritt in Bonn Bundesminister Krone, und auch eine Reihe von Abgeordneten lassen erkennen, daß sie gegen Schröders Haltung Bedenken haben. Es scheint die offenbar durch die lange Abwesenheit des Bundeskanzlers hervorgerufene groteske Situation eingetreten zu sein, daß die Minister das, was normalerweise hinter den verschlossenen Türen der Kabinettssitzung diskutiert zu werden pflegt, nunmehr in aller Öffentlichkeit austragen.

Die Schlüsselfigur dieser unerfreulichen Entwicklung scheint der frühere Außenminister Heinrich von Brentano zu sein, der seit dem November 1961 aus der Hand des ins Kabinett versetzten Heinrich Krone das Amt des Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU übernahm. Brentano war, von dem ersten westdeutschen Innenminister Heinemann abgesehen, der erste Bundesminister, der aus freien Stücken von seinem Amt zurücktrat. Nach langem Tauziehen bei der Kabinettsbildung gab Brentano überraschend den Posten eines Außenministers frei und erleichterte damit den Abschluß der zähen und lange anhaltenden Koalitionsvcr-handlungen. Dieser Schritt hat ihm damals viel Sympathien eingetragen. Inzwischen spricht aber vieles dafür, daß Brentano seinen Rücktritt bereut und seinem Nachfolger, dem früheren Innenminister, gram ist. Als Fraktionsvorsitzender hat sich Brentano bisher wenig bewährt. So spielte er bei dem Austritt des nonkonformistischen CDU-Abgeordneten und Zeitunesver-legers Gerd Bucerius aus Partei und Fraktion eine undurchsichtige Rolle, von der man bis heute nicht ganz sicher weiß, ob es Ungeschicklichkeit oder Intrige war. Die neuesten Ereignisse lassen erkennen, daß Brentano auch weiterhin in der Außenpolitik sein eigentliches Betätigungsfeld sieht. Brentano steht in einem «achlichen, aus seiner früheren Tätigkeit als Außenminister zu erklärenden Gegensatz zu Schröder.

Die von Brentano seit 1955 geleitete Außenpolitik stand, seit 1958 Chruschtschow die Berlin-Krise mit einem Ultimatum auslöste, vor der unangenehmen Aufgabe, zur Deutschlandfrage eine Konzeption entwickeln zu müssen, die einerseits keine deutschen Rechte preisgab, was aus innenpolitischen Gründen wichtig war, andrerseits aber Verhandlungen einen gewissen Spielraum eröffnete. Darauf legten Amerika und die Verbündeten Wert. Brentano ist einer solchen Entscheidung konsequent dadurch ausgewichen, daß er die Verbündeten hinhielt und jedem näheren Kontakt zwischen den Amerikanern und Russen mit ausgesprochenem Mißtrauen begegnete. Er befand sich mit dieser Politik in Übereinstimmung mit Konrad Adenauer, dem es immer wieder gelang, die in Amerika über die deutsche Inaktivität herrschende Beunruhigung zu besänftigen. Man hat offenbar auch in Amerika die schwierige innenpolitische Situation in Westdeutschland in Rechnung gezogen, in die cue Bundesrepublik durch konkrete Vorschläge in der Berlin- und Deutschlandfrage kommen müßte. Diese Richtung entsprach auch dem außenpolitischen Kurs des verstorbenen Außenministers Dulles.

Die Lage veränderte sich mit der Wahl John F. Kennedys zum amerikanischen Präsidenten. Dieser war nicht gewillt, sich die ihm notwendig erscheinende Aktionsfreiheit in der Berlin-Krise, durch Westdeutschlands starre, Verhandlungen ablehnende Haltung rauben zu lassen. Mit steigender Ungeduld wurde im vergangenen Sommer in Amerika, die durch den Wahlkampf bedingte Lahmlegung der westdeutschen Außenpolitik registriert. Die zunächst abwartende Haltung der Amerikaner am 13. August 1961 ließ erkennen, daß sie in diesem Vorgang auch eine Folge der westdeutschen Inaktivität erblickten. Wieweit diese starre Haltung auf den alternden Bundeskanzler oder auf seinen wenig Initiative zeigenden Außenminister von Brentano zurückging, ist schwer zu entscheiden.

Veränderungen im Stil der westdeutschen Außenpolitik kündigten sich während des Amerikabesuches Konrad Adenauers im Spätherbst des vergangenen Jahres an, auf dem er zum ersten Mal seinen neuen Außenminister Gerhard Schröder mitnahm. Damals bemühte sich Adenauer erfolgreich, die über den Wahlkampf und die langen Koalitionsverhandlungen aufgetretene Verstimmung in Washington zu zerstreuen. Zum Erstaunen der Beobachter zeigte Gerhard Schröder in einem Gespräch mit seinem amerikanischen Kollegen Rusk deutlich, daß er die Außenpolitik selbstständiger als sein Vorgänger zu führen gedenke. Neben der Aussöhnung Kennedy-Adenauer war diese Haltung Schröders das auffallendste Ereignis des westdeutschen Amerikabesuchs.

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