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Der lebensnahe Philosoph

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Der Streit um eine eigenständige österreichische Tradition in der Philosophie hat - anders als in Musik, Literatur oder bildender Kunst - immer noch kein Ende gefunden. Der Name eines gebürtigen Rheinländers aus einer bereits in der Romantik berühmten Familie wird dabei nicht selten als der eines Begründers einer eigenständig österreichischen, deutlich vom deutschen Sprachraum abgesonderten philosophischen Entwicklung genannt: Franz Brentano.

Sein durchaus bewegtes persönliches Lebensgeschick machte ihn

bereits zu Lebzeiten zum Gegenstand einer Novelle. Durch seine Heirat verlor der ehemalige Priester seine Professur in Wien, was aber seiner Popularität keinerlei Abbruch tat. Brentano las als Privatdozent noch über zehn Jahre lang in Wien weiter, und sein Schülerkreis vergrößerte sich nur noch. Sigmund Freud und der spätere tschechische Staatspräsident Thomas G. Masaryk gehörten ebenso zu seinen Schülern wie Edmund Husserl und Alexius Meinong, Carl Stumpf, Christian von Ehrenfels oder Kasimierz Twardowski.

Brentano hat die verschiedensten Denk- und Philosophieschulen beeinflußt und inspiriert: von der Phänomenologie, die ihrerseits Martin Heidegger, Jean-Paul Sartre, ja auch noch Jacques Derrida zu ihren Vertretern zählt, über die Gegenstandstheorie der Grazer Schule, die früh von einem Bertrand Russell geschätzt wurde, bis zur semantisch-analytischen polnischen Logikerschule in Lemberg, ganz zu schweigen

von seinem Einfluß auf die weitere Entwicklung der Psychologie im altösterreichischen, aber auch im deutschen Raum.

Der aus der berühmten Brentano-Familie stammende, 1838 geborene Franz Brentano entschloß sich bereits als Dozent in Würzburg 1873, sein Priesteramt niederzulegen und später auch aus der Kirche auszutreten, nachdem das Dogma von der Unfehlbarkeit des Papstes 1870 verkündet worden war.

Während der liberalen Ära in Österreich nach Wien berufen, entfaltete Brentano bald eine große Wirksamkeit, die vornehmlich mit seinem 1875 erschienenen Werk „Psychologie vom empirischen Standpunkt“ zusammenhing. Der ursprünglich dem aristotelisch-scholastischen Denken verpflichtete Brentano (Heidegger etwa rühmte Brentanos Aristotelesarbeiten als entscheidend für sein eigenes Philosophieren) hat in diesem Werk eine genaue Untersuchung der psychischen Phänomene, des Bewußtseins und seiner Eigengesetzlichkeit vorgenommen, die in der Tat auf die verschiedenste Weise fruchtbar gemacht werden konnte. So hat etwa Edmund Husserl, übrigens ebenfalls ein gebürtiger Österreicher, Brentanos Wiederaufnahme des scholastischen Begriffes der Intentionalität zum Angelpunkt der phänomenologischen Analysen werden lassen: jedes Bewußtsein ist auf etwas gerichtet, ist Bewußtsein von etwas, ob dieses „etwas“ nun tatsächlich existiert

oder nicht.

Brentanos nie aufgegebene prinzipiell empirische Einstellung gipfelt im - allerdings nicht einfach positivistisch zu vereinnehmenden — Grundsatz: „Die wahre Methode der Philosophie ist keine andere als die der Naturwissenschaft.“ Der Spekulation, wie sie im Neukantianismus und Idealismus gepflogen wurde, stand Brentano ablehnend gegenüber, auch wenn vieles von seinen subtilen Bewußtseinsanalysen später in durchaus idealistischer Weise durchformt werden konnte.

Brentano hat mit diesen seinen Untersuchungen jedenfalls nicht nur den Grundstein für die Phänomenologie, sondern auch für j e-ne semantisch-logischen Untersuchungen gelegt, die im 20. Jahrhundert aus der Philosophie nicht mehr wegzudenken sind. Auch wenn Brentano hinsichtlich der Existenz der vermeinten Gegenstände oder^Vorstellungen außerhalb des Bewußtseins im Laufe seiner philosophischen Entwicklung verschiedene Auffassungen vertreten hat - bald trat er für deren „Realität“ , bald wieder für ihre Fiktionalität ein — immer lehnte er idealistische Spekulationen ab.

Nach dem Tod seiner Frau verließ Brentano Wien - nachdem er die österreichischen Verhältnisse in einer Artikelserie hart kritisiert hatte - und ließ sich zunächst in Florenz nieder. Der Liebhaber von Rätseln und Denksportaufgaben, die er zusammen-

stellte und publizierte, erfreute sich auch in seinen letzten Lebensjahren eines regen Gedankenaustausches mit seinen Freunden und Schülern.

Die aus dem Konzept der Intentionalität hervorgehende Werttheorie legte eine Absolutheit und An-sich-Gültigkeit des Guten dar, wobei das Emotionale, die Phänomene des Liebens und Hassens, eine wichtige Rolle spielen. Spätere Phänomenologen wie etwa Max Scheler haben auch diese Theorie erweitert und ausgebaut.

Franz Brentano, der 1917 in Zürich starb, hat nicht allein die empirische Ausrichtung der österreichischen Philosophie mitinitiiert. Er hat mit seinen subtilen Untersuchungen für die Philosophie des 20. Jahrhunderts wichtige Vorarbeiten geleistet. Daß nicht nur in Österreich eine ganze Reihe von Denkschulen entstehen konnten, die auf den von ihm gelegten Fundamenten bauten, hebt sein Denken weit über den Stand des Philosophierens seiner Zeit hinaus.

Der aus der Kirche ausgetretene Priester Brentano, der nie aufhörte an Gott zu glauben, hat die Möglichkeit einer Metaphysik angedeutet, die auch vor dem Purga-torium der logischen Sprachanalyse bestehen kann. Zwischen den hochfliegenden Spekulationen des Idealismus und den positivistischen Platitüden hat Brentano einen dritten, sehr österreichischen Weg des Philosophierens eröffnet.

Der Autor ist Professor für Philosophie an der Universität Wien.

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