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Ein Psychologe und eine Katholikin

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Der letzte Raum. Schauspiel. Von Graham Greene. Uebersetzt von Axel Corneli s. Pani Zsolnay Verlag, Wien. 97 Seiten. Preis 18 S

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Der letzte Raum. Schauspiel. Von Graham Greene. Uebersetzt von Axel Corneli s. Pani Zsolnay Verlag, Wien. 97 Seiten. Preis 18 S

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Eine seltsame Familie, die sich des eigenen Wohnraumes beraubt aus „Zittern vor dem Unabänderlichen". Ist ein Familienmitglied in einem Raume des Hauses gestorben, so wird dieser Raum abgeschlossen, und alles, was an den Toten erinnern könnte, vernichtet. Der Raum ist unbetretbar. Und nun kommt eine Nichte in dieses Haus, hat ihre Liebesgeschichte unter den beiden alten Tanten und dem gelähmten Priester-Onkel James und bringt sich im letzten noch verbliebenen Wohn- raum um. Was nun? Die geistig schwächste der Schwestern sieht endlich und endgültig ein, daß es nutzlos ist, sich gegen den Tod derart schützen zu wollen. Psychologie und Religion treffen hier aufeinander — Michael Dennis, der verheiratete Liebhaber ist Dozent der Psychologie, und Rose Pemberton, die Nichte, ist Katholikin. „Ein Psychologe und eine Katholikin! Ihr könnt euch nicht selbst zum Narren halten — oder vielleicht nur für ein paar Stünden im Parkhotel!" Denn „Psychologie mag gut sein zur Seelenforschung —, aber mit dem Herzen der Menschen hat sie nichts zu tun." Wenn das „Herz" an der Psychologie zugrunde geht, dann bleibt — und das ist Graham Greene — der Mensch, der in seiner Schwäche einen Beistand braucht: Gott. Aber leicht ist das nicht. Denn die Formeln „ziehen" nicht mehr, wie der gelähmte Priester bei sich und bei seinen Schwestern, hei seiner Nichte und bei deren Liebhaber feststellen muß. „Onkel, sag doch, bitte, etwas, was nicht katholisch ist!" Zu sagen weiß der Mensch vielleicht nichts anderes. Aber der Schmerz und der Tod, die Gott auf sich genommen hat, wie er die „Welt" und die ,;Ewig-

DER KRYSTALL

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keit" geschaffen hat —diese Vier soll dgr Mensch nicht auseinanderreißen, weder durch Psychologie noch durch Liebe, weder durch Furcht vor dem Tode noch durch Hunger nach dem Leben. Wer also lernt „zusammenzuschauen", der lernt das „Leben". Welches? Es gibt nur eines, — das Leben, das wir zu bestehen, zu überstehen haben. — Warum wird dieses Schauspiel uns nicht vorgeführt? Wir brauchen unerbittliche Spiegel, um die Vergeblichkeit der Psychologie, die Unzulänglichkeit der Liehe und die „Ungehörigkeit“ der göttlichen Gnade zu ahnen. Diego Hanns G o e t z OP.

Briefe von Clemens Brentano. Herausgegeben von Friedrich Seebaß. Verlag Hans Carl, Nürnberg. 2 Bände. 424 und 468 Seiten.

Die Romantiker-Philologie der deutschen Literatut darf auch heute noch keineswegs als beendet gelten. Genau genommen wird sie noch lange Zeit brauchen, bis sie zu einem geschlossenen Ergebnis gekommen sein wird. Man braucht nur daran zu denken, daß weder Fr. Schlegel noch Jt. W. Schlegel, weder Tieck noch Zacharias Werner in einer historisch-kritischen Ausgabe vorliegen. Die vor dem ersten Weltkrieg begonnenen großen Editionen des Verlages Georg Müller, z. B. Maßens Ausgabe, E. T. A. Hoffmanns oder Schüddekopfs Ausgabe Brentanos, sind unvollendet geblieben und werden es wohl auch bleiben, Eichendorffs und Jean Pauls historisch-kritische Ausgaben wurden vor dem ersten Weltkrieg begonnen und erscheinen auch heute noch, ohne abgeschlossen zu sein. Um so freudiger ist es zu begrüßen, wenn uns ein anerkannter Fachmann wie Friedrich Seebaß zwei Bände Brentano-Briefe vorlegt, die wohl als die endgültige Briefedition des Dichters gelten dürfen. Chronologisch gereiht, erstrecken sie sich vorn ersten Brief aus dem Jahre 1795 hl zum letzten, der das Datum des Todesjahres des Dichters trägt, 1842, über Brentanos ganzes Leben. Man weiß viel zuwenig, was Brentano als Briefschreiber zu bedeuten hat. Ganze Mythen vertraut er seinen Episteln an, weltanschauliche Perspektiven, seine Ideen über Religion, Liebe, über seine Werke nehmen in diesen Briefen einen großen Raum ein. Es sind alles andere als sachliche Briefe. Wie könnte man sie von dem Brentano, dem Wider- Sachlichen auch erwarten. Er war gar kein Manager seines Ruhmes, dem der Brief eine Art Berufswerkzeug und verlängerter Arm ist. Ihm ist

4er Brief immer — fast möchte man sagen —

dichterische Aussageform wie jede andere literarische Form auch. Mit einem Wort, er ist auch hier, und besonders hier ein echter Brentano. Was uns Seebaß mit diesen zwei prächtigen Bänden gegeben hat, ist ein poetisches Werk Brentanos, wie nur je eines von ihm. Das funkelt, glitzert, sprüht, kichert und variiert in allen Registern der Seelenorgel, auf der der Dichter — nie ganz frei von Koketterie — seine virtuosen Piecen spielt. Diese beiden Bände Briefe sind ein wahres Geschenk an die deutsche Literaturwissenschaft. In ihrem menschlichen und poetischen Reichtum gehören sie meiner Meinung nach zu den bedeutsamsten Briefsammlungen vor Rilke, der freilich der unbestrittene König aller Briefschreiber ist, die je den Acker der deutschen Dichtung gepflügt haben.

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