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Christentum und Partei

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Als in der Osterzeit dieses Jahres im Parlament die Räume des ehemaligen christlichsozialen Klubs von der Volkspartei bezogen wurden, faßte damals der parlamentarische Klub der österreichischen Volkspartei den Beschluß, den Sitzungsraum mit einem Kruzifix zu schmücken.

In feierlicher Versammlung der Klubmitglieder und in Gegenwart des Altbundespräsidenten Miklas und einer Reihe einstiger Mitglieder des christlichsozialen Parlamentsklubs vollzog am 14. Dezember. Kardinal Dr. Innitzer die Weihe des Kreuzes. Klubobmann Ing. Julius Raab knüpfte daran nach einem kurzen Rückblick auf das eben sich vollendende erste halbe Jahrzehnt geleisteter gesetzgeberischer Arbeit folgende, von den Versammelten mit demonstrativem Beifall aufgenommene Ausführungen, die wegen ihres bedeutsamen grundsätzlichen Charakters hier Platz finden. '

Die österreichische Volkspartei ist im Gegensatz zu früheren Entwicklungen keine konfessionelle Partei, sie macht ihre Tore weit auf für alle diejenigen, die sich zu Österreich bekennen, die den Marxismus ablehnen, die gewillt sind, das Gegebene auf den Grundfesten der Vergangenheit neu aufzubauen.

Ihre Bildung als eine allgemeine österreichische Partei war von dem Gedankengang geleitet, alle aktiven und positiven Kräfte dieses Landes zu sammeln, in eine große, festgefügte Organisation zusammenzuschließen und damit den Kräften des Umsturzes und der Zersetzung ein festes Bollwerk gegenüberzustellen. Auch von Seite der katholischen Kirche, zu der sich ja die überwiegende Mehrheit dieses Volkes bekennt, war der Wille kundgetan, nicht mehr aktiv an dem politischen Leben teilzunehmen, und ein Kanonikus der St.-Pöltner Diözese erklärte mir während der Zeit des Nationalsozialismus, die Kirche sei glücklich, daß sie aus dem „Omnibus der Politik“ aussteigen konnte, und sie werde es sich überlegen, jemals wieder in diesem Omnibus Platz zu nehmen. Wir erinnern uns an die politischen Auseinandersetzungen, als der verstorbene Prälat Ignaz Seipel die Führung der Christlichsozialen Partei innehatte, einer der größten Österreicher, die wir in der Geschichte besessen hatten, ein Mann von lauterem und reinstem Charakter, an dessen Persönlichkeit und Integrität der schärfste politische Gegner kein Stäubchen finden konnte; die Gegner bekämpften ihn gerade mit der Freidenker-bewegung am meisten, weil man wußte, daß damit er, der Priester der Kirche, am schwersten innerlich getroffen werde. Politisch' Lied ist ein garstig' Lied, aber — Politik war immer notwendig in allen Zeiten. Besonders in einem Staate, aufgebaut auf so breiter demokratischer Grundlage, ist es Pflicht des Österreichers, sich um die politische Gestaltung des Vaterlandes zu kümmern. Die Politik der heutigen Tage erfordert es, daß unerschrockene Männer und Frauen sich an die Spitze aller aufbauwilligen Kräfte stellen, um das Vaterland nicht untergehen zu lassen. Gewiß, alles was wir Menschen tun, ist Menschenwerk und wird vergehen. Gewiß, alles ist an Gottes Segen gelegen, ohne ihn ändert sich nichts in der Weltgeschichte. Aber aus unzähligen Beispielen der Menschheitsgeschichte wird es uns klar, daß auch die menschliche Tatkraft erforderlich ist, um die Zeiten zu formen und daß diejenigen, die faul und energielos die Hände in den Schoß legen, untergehenmüssen.

Wir sind heute in eine besonders schwere Zeit gestellt. Ein Abgrund tut sich vor uns auf, wie wir ihn in den grausamsten Zeiten der Weltgeschichte niemals gesehen. Als das Kreuz errichtet wurde, begann der Kampf gegen den Gekreuzigten. Schon in den mamertinischen Kerkern des alten Rom begann er, und die Christen, die damals ihr Leben lassen mußten, hatten die Möglichkeit, mit den letzten Worten in ihren Schmerzen sich zum Erlöser zu bekennen. Wie blutig ist diese Menschheitsgeschichte und wie grausam! Wer kennt nicht die Geschichte der Mero-winger in Frankreich, der englischen Könige, der Hohenstaufen; ein Kaiser Rotbart richtete ein Blutbad in dem eroberten Mailand an, und Friedrich II. von Hohenstaufen ließ seinem Gegner und Verwandten in Sizilien, dem lebendig Gefangenen, eine weißglühende Krone auf das Haupt setzen. Vielleicht beleuchtet die Geschichte zu grell diese Greueltaten und leuchtet zu wenig hinein in jene Schichten, wo die Größe des Menschentums still und barmherzig gewirkt hat, wie wir sie aus Heiligenlegenden vernehmen. Heute wird, wie das Beispiel des ungarischen Kardinals und das Beispiel der böhmischen Prälaten und Kanonici uns in der jüngsten Zeitgeschichte berichtet, der Bekenner zum Kreuz geistig entmannt, der vollwertige, mit freiem Willen ausgestattete Mensch zerschlagen und zertrümmert und eine zermergelte Materie zur Aussage gegen sich selbst gebildet. An der Grenze in der unmittelbarsten Nachbarschaft, zwischen wahrer Menschenwürde und diesem schauerlichen Tiefstand menschlichen Seins, steht

Österreich auf einem Vorposten, mit einer Verantwortung, wie sie niemals dem österreichischen Volke aufgeladen war. Das zeichnet die große Aufgabe und Arbeitsleistung, die in diesen fünf Jahren österreichischer Regierungszeit und österreichischer Volksvertretung zu leisten waren und geleistet worden sind. Aber die Menschheit vergißt zu rasch und sie hat die Zeiten des Jahres 1945 vergessen, da Hungersnot war in Österreich, heute die gefüllten Läden, die Versorgung des Vaterlandes gesichert, und es wurde neuerlich wieder ein kühnes, weitplanendes Arbeitsbeschaffungsprogramm beschlossen. Alle diese Dinge nimmt der Empfangende als selbstverständlich an, während der andere oft engherzige und kleinliche Kritik übt. Gewiß, politische Kampforganisationen sind keine Heiligenvereinigungen, und in den politischen Parteien sammelt sich zuweilen mancherlei, das nicht in allem und jedem bestehen kann. Besonders im Troß einer politischen Partei ist manches zu finden, dessen Gefolgschaft nicht auf Idealismus, sondern auf Egoismus beruht. Das war immer so und wird so bleiben. Auch die Kreuzfahrermannen, die dem Babenbergerher-zog folgten, als er in Akkon die Mauern überstieg und zum ersten Male das Rot-Weiß-Rot in die Weltgeschichte leuchtete, waren Kampftruppen mit allen ihren Vorzügen und Fehlern. Da lobe ich mir den alten Dorfpfarrer, der jahrzehntelang in seiner Gemeinde die Seelen betreut und behütet, nackt kommen sie zur Welt und ohne Hab und Gut mit Ausnahme der sittlichen Werte, die sie geschaffen, werden sie zurückgegeben an die Mutter Erde. Er kennt seine Schäflein, er kennt die Familien, er kennt die Voraussetzungen für die Bildung jedes einzelnen Menschencharakters und er löst aus dem Dornenstrauch vorsichtig das Lamm, das sich verirrt, er schert aber auch dem alten Widder seinen Pelz, den er jahrelang nicht gereinigt und geputzt hat, mit der Drahtbürste gründlich und fest entschlossen. So ist das Menschenleben, mit dem wir rechnen müssen als politische Partei, mit allen den Schichten unseres Volkes, mit allen den verschiedenen Talenten, die gerade jedem in religiöser Beziehung aus den verschiedenen Verhältnissen heraus gegeben worden sind.

Das Kruzifix, das heute hier in diesem Saale geweiht wurde, ist für uns eine österreichische Erscheinung. In den Tälern steht es am Wegrand, auf den Almen droben in den Bergen, in den Stuben christlicher Familien und in vielen Gaststätten im Herrgottswinkel hat es seine Heimat. Das Christentum ist und bleibt österreichisches Gut, und aus Österreichern

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