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Lutherbild, Lebenssinn

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Das Luther-Jubiläum, Fragen des Friedens und der Jugend waren die Schwerpunkte der diesjährigen Evangelischen Woche, die heuer bereits zum 38. Mal in Wien stattfand. .

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Das Luther-Jubiläum, Fragen des Friedens und der Jugend waren die Schwerpunkte der diesjährigen Evangelischen Woche, die heuer bereits zum 38. Mal in Wien stattfand. .

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In der marxistischen und der kirchhch-wissenschaftlichen Lutherforschung in der DDR gibt es keine Ubereinstimmung in der Beurteilung Luthers; die Türken sah Luther nicht als Verbündete, sondern als Diener des Teufels; und schließlich, im Frieden leben zu können und Sinn im Leben zu finden, dafür ist der Glaube eine wesentliche Voraussetzung. Das waren thematisch die Hauptaussagen dieser 38. Evangelischen Woche.

In der DDR werde auf der einen Seite Luther als Wegbereiter eines gesellschaftlichen Fort-

schritts anerkannt und damit als ein zeitbedingtes Phänomen gesehen, auf der anderen als Diener Gottes und Prediger des Evange-lims, der zeitübergreifende Aussagen über Gott gemacht hat. So charakterisierte Professor Hans-Ulrich Delius aus Ostberlin den Unterschied zwischen der marxistischen und der theologischen wissenschaftlichen Lutherforschung in der DDR.

Der Kirchenhistoriker hob hervor, daß es eine Ubereinstimmung in der Beurteilung Luthers nicht gebe und diese auch nicht angestrebt werde. In der marxistisch-leninistischen Weltanschauung herrsche heute ein neues Lutherbild vor. Man stehe positiver und souveräner zu Luther. Seine Leistungen werden ebenso anerkannt wie seine Selbständigkeit, allerdings werde auch seine Grenze aufgezeigt. Religion werde nach wie vor nicht als eigener Bereich gesehen, sondern als „Produkt der Gesellschaft".

Die neue Lutherinterpretation bedeute für die Marxisten keine neue Sicht des Geschichtsbildes, sondern nur eine Differenzierung und Modifizierung. „Jede revolutionäre Bewegung kommt zur Notwendigkeit, das einst Bekämpfte zu reflektieren und nach progressiven Elementen zu befragen". In dieser Situation befinde man sich gegenwärtig in der DDR. Konkrete Ergebnisse seien etwa.

daß Luther nicht mehr Verrat im Bauernkrieg vorgeworfen und er nicht mehr als Fürstendiener diffamiert werde. Die marxistische Lutherforschung wende sich nun auch dem älteren Luther zu, der bisher als zu wenig revolutionär galt.

Komme es in der DDR vor allem zur Konfrontation zwischen marxistischer und kirchlich-wissenschaftlicher Lutherforschung, so sei in der BRD vor allem ein Gegenüber von kathoHscher und evangelischer Lutherforschung zu verzeichnen, betonte der Berliner Kirchenhistoriker. In der katholischen Lutherforschung registrierte der Vortragende — von wenigen Ausnahmen abgesehen-ein Abrücken von verunglimpfenden Darstellungen. Luther werde zwar nicht gerechtfertigt, aber in seinem Bemühen anerkannt. Der Ertrag dieser Forschungen sei die Erkenntnis, daß Luther eigentlich etwas zutiefst Katholisches wiederentdeckt habe. Im Gegensatz dazu zeige sich die römisch-katholische Amtskirche eher reserviert und neige zu einer „kühlen Gerechtigkeit". Delius sprach die Hoffnung aus, „im Jubiläumsjahr etwas Ermutigendes aus Rom zu hören".

Generell betonte der Vortragende, daß es auf der ganzen Welt kein einheitliches Lutherbild gebe. Die Forschungen haben eindeutig bewiesen, daß sich Luther nicht durch ein Bild festlegen lasse. Der wirkliche Luther ist immer mehr als das jeweilige Bild von ihm.

Einen Luther, der bestimmt war von der festen Meinung, daß das Ende der Welt nahe ist, zeichnete der Wiener Kirchengeschichtler Alfred Raddatz. In seinerti Vortrag wies Professor Raddatz darauf hin, daß Luther die Türken als den „letzten und ärgsten Zorn des Teufels gegen Christus" gesehen habe. Darum seien auch sämtliche Vermutungen unzutreffend, daß Luther in den Türken Verbündete gesehen haben könnte, wenn auch die Türkenbedrohung den Kaiser hinderte, die Religionsfrage rasch zu lösen.

Nach Luther waren die Türken nicht nur des Teufels Diener, sondern auch „Gottes Rute" für den von Gott abgefallenen Menschen. Darum vertrat Luther die Ansicht, daß nur durch Buße die Voraussetzung geschaffen werden könne, um die Türken zu besiegen. Seien die Türken geistlich überwunden, dann müsse der Kaiser in Aktion treten. Denn er sei, so Luther, verpflichtet, die Untertanen zu verteidigen.

Mit aller Deutlichkeit habe sich Luther gegen jeden Kreuzzugsgedanken gewandt. „Die Kirche Christi soll keine Kreuzfahrer, wohl aber Blutzeugen stellen."

Schöpferische Geborgenheit, die Fähigkeit zu vertrauen und vertrauenswürdig zu sein sowie die Verantwortung für den Frieden bezeichnete Professor Eberhard Jüngel als Voraussetzungen, um in Frieden leben zu können. Der Kirche fielen im besonderen zwei Aufgaben zu: der praktische Dienst des Friedens und das Friedenszeugnis.

Der Tübinger Neutestamentier wies darauf hin, daß die biblische Rede vom Frieden anders orientiert sei als unser täglicher Sprachgebrauch. Im Neuen Testament bedeute Frieden nicht einen Gegensatz zum Krieg und sei auch keine Forderung der Vernunft, sondern ein Zustand, der sich ereignen will.

Der Friede, den Gott schafft, habe nicht nur eine geistliche Dimension, sondern umfasse den ganzen Menschen in seiner komplexen Beziehung. Ohne Verhältnis zum anderen Menschen und zur Umwelt sei der Mensch nicht ganz und könne nicht Frieden-ha-ben. Auch für die weltliche Wirklichkeit müsse für den Frieden ein Opfer gebracht werden. Eine rücksichtslose Selbstverwirklichung sei ein Weg in den Unfrieden. Unser Opfer sei das Verhalten, das uns vertrauenswürdig und vertrauensfähig macht.

Durch übernommene Verantwortung kommt Sinn in unser Leben. Ein junger Mensch bedarf, daß man seiner bedarf. Wer Sinn erleben will, muß sinnvoll gefordert werden — diese Thesen vertrat Landesbischof Hans von Ke-1er aus Stuttgart.

Das Thema „Jugend vor dem Sinn und Unsinn des Lebens", führte der Vortragende aus, sei keine spezielle Frage der Jugend. Die Probleme der Jugend seien Probleme der ganzen Gesellschaft. Niemandem sei es möglich, eine heile Welt zu erschaffen. Wer aber in seiner kleinen Welt Unrecht verhindere und Zeichen der Hoffnung setze, werde Sinn in seinem Leben finden.

Als Grund des Sinnverlustes bezeichnete der württembergische Landesbischof die Uberbetonung des Rechts des einzelnen. Die Verbindung von „ich und Du" und „ich und wir" werde gesellschaftlich zuwenig bewußt gemacht. Wer nur von seinen Rechten spreche, habe aber nur einen Aspekt erkannt. Ohne Liebe sei der Mensch nicht lebensfähig und gerate in den Unsinn. „Wo das Ich Ich bleiben will, bleibt es unglücklich." In diesem Zusammenhang forderte von Keler den öffentlichrechtlichen Schut,z der Ehe, da die Liebe der Treue bedürfe und die Ehe in der Bibel auf Dauer angelegt sei. Mut zur Zukunft haben, sei eine Frage des Vertrauens und damit letzlich eine Frage des Glaubens. Alle stünden vor dem Sinn und Unsinn des Lebens. Zutiefst glücklich machen könne der Glaube, weil er eine Brücke zu Gott und damit zu einem Leben sei, das Mut zum Leben heute mache.

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