Martin Luther, der zweitwichtigste Deutsche

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Noch drei Jahre, bis das 500-jährige Reformationsjubiläum begangen wird. Doch in Deutschland laufen Vorbeitungen zum Luther-Jahr 2017 bereits auf Hochtouren.

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Noch drei Jahre, bis das 500-jährige Reformationsjubiläum begangen wird. Doch in Deutschland laufen Vorbeitungen zum Luther-Jahr 2017 bereits auf Hochtouren.

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Eine Kunstaktion zur Einstimmung auf das Luther-Jahr 2017: 800 bunte, hüfthohe, gleich aussehende Lutherfiguren standen 2010 auf dem Marktplatz von Wittenberg. Dazwischen ein kleines Mädchen, das die Buchstaben auf dem Buch entziffert, das der Reformator in Händen hält: "Das Neue Testament". Frage an die Mutter: "Was ist das Neue Testament?" Antwort: "Frag Oma."

Der Kulturminister von Sachsen-Anhalt und freigestellte evangelische Pfarrer Stephan Dorgerloh erzählt dies als Beispiel fürs Umfeld, in dem die große Feier 2017 unter dem Motto "Im Anfang war das Wort" stattfinden wird: 30 Prozent der Deutschen sind katholisch, 30 Prozent evangelisch, mehr als 33 Prozent konfessionslos.

Im Osten Deutschlands hat die atheistische Ausrichtung der DDR ihre Spuren hinterlassen. Dort ist Konfessionslosigkeit normal. "Da muss man immer erklären, warum man konfessionsgebunden ist", sagt Dorgerloh. Konfessionslosigkeit bedeutet aber nicht Religionslosigkeit. Jedoch: "Die Leute haben auch keine Ansprechmöglichkeit, sie begegnen der Kirche im Alltag nicht." Evangelische Kirchen sind außerhalb der Gottesdienste meist verschlossen.

Deshalb hofft der Politiker und Pfarrer auf das Missionarische der Feier: "Es ist eine Chance, und ich hoffe, dass wir sie nutzen." Darum dürfe es auch nicht heißen: "Die Protestanten feiern eine Lutherparty." Es soll auch kein Lutherfest werden, sondern ein Reformationsjubiläum, betont Sigrid Bias-Engel Mitarbeiterin beim Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien -aufgrund des deutschen Föderalismus gibt es keinen Bundeskulturminister.

"Luther selbst war alles andere als eine Lichtgestalt", sagt Bias-Engel und verweist auf seinen Antisemitismus, die Bauernkriege. Dennoch wird er 2017 das Zugpferd sein: Immerhin belegte Luther in einer großen Umfrage zu den wichtigsten Deutschen Platz 2. Hinter Konrad Adenauer. Vor Karl Marx.

"Ohne Luther kein Barock"

Dennoch soll es 2017, zum 500. Jahrestag der 95 Thesen Luthers um mehr gehen, denn: "Der Thesenanschlag an der Schlosskirche von Wittenberg war damals ein alltägliches Ereignis", sagt Karin von Welck, Domherrin der Vereinigten Domstifte zu Merseburg, Naumburg und Zeitz. "Die Türen waren ein Schwarzes Brett der Uni Wittenberg." Bahnbrechend seien die späteren Schriften Luthers gewesen.

Überhaupt wäre es sinnvoll, von einem Zeitalter der Revolution zu sprechen, meint von Welck. Schon vor Luther hätten Mutige gegen ein verweltlichtes Papsttum aufbegehrt, die Wurzeln der Reformation würden bis ins Mittelalter zurückreichen, die katholische Kirche selbst habe sich aufgrund dieser Veränderungen erneuert, was in der Formulierung gipfelt: Ohne Luther kein Barock.

So soll es 2017 in Deutschland keine "Luther-Festspiele" geben, fordert Ellen Ueberschär, die Generalsekretärin des Deutschen Evangelischen Kirchentages, auch wenn sie meint, es brauche Bilder und es sei gut, die Feiern mit dem geplanten großen Gottesdienst im Rahmen des Kirchentages zu beginnen. "Es gibt die Gefahr des Triumphalismus, einer Abgrenzung auf Kosten der anderen, und das sind in erster Linie die Katholiken", sagt sie. "Das würde ich nicht gerne sehen." Auch Minister Dorgerloh sieht 2017 als Vergewisserung: "Warum bin ich protestantisch?", wie als Versuch, die reformatorischen Schriften gemeinsam mit Katholiken zu lesen: "Gibt es überhaupt noch Trennendes oder ist schon viel zusammengewachsen?"

Befürchtungen von Befindlichkeitsstörungen erwartet auch Historiker Thomas Großbölting nicht: "Wir sehen zwei große Konfessionskirchen auf dem Rückzug", meint er. Großbölting hat das Buch "Der verlorene Himmel. Glaube in Deutschland seit 1945" geschrieben, eine Bestandsaufnahme der Religionsbezogenheit der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg. "Luther war nicht Demokrat, er war nicht tolerant, und er hat antijüdisch argumentiert", sagt er.

Das wird von den Protestanten gar nicht bestritten. Zumal auch jedes Land seinen eigenen Reformator hat, wie Hus, Zwingli oder Calvin. Deshalb ist die internationale Strahlkraft der Lutherfeiern eingeschränkt. "Wir werden erleben, dass die einen Luther auf den Sockel heben und andere ihn von dort herunter zerren wollen", erwartet Minister Dorgerloh. Solchen Streit empfinde er aber als "produktiv und durchaus protestantisch". Großbölling stört anderes: "Ob man nicht ein wenig die Umarmung der zwei Konfessionen durch den Staat sehen kann."

Tatsächlich unterstützt nicht nur der Bund das Lutherjahr, sondern auch sieben Bundesländer machen bei insgesamt zwölf Projekten mit. Es ist nicht nur ein Luther-Jahr, sondern eine ganze Luther-Dekade. 2014 geht es um "Reformation und Politik", 2015 um "Reformation und Medien", 2016 um "Reformation und die eine Welt".

Die zwölf Projekte sind über ganz Deutschland verstreut, wenngleich sie sich im Osten konzentrieren: Im südlichen Brandenburg haben sich sieben "Städte mit historischem Stadtkern" zusammengetan, die mit der Reformation zu tun haben. Dort werden Ausstellungen und Hörstationen eingerichtet.

Hessen übernimmt die Gestaltung eines 350 Kilometer langen Lutherweges, den der Reformator 1521 zwischen Worms, wo er beim dort tagenden Reichstag gehört wurde, und der Wartburg zurücklegte. Rheinland-Pfalz, ein gemischt-konfessionelles Bundesland, widmet sich der Reformation mit einer Internetseite, Vorträgen und einer Ausstellung.

700.000 Besucher pro Jahr

Die Landesausstellung 2015 in Sachsen-Anhalt wird sich in Wittenberg, Wörlitz und Dessau in Einzelausstellungen aus Anlass seines 500. Geburtstags Lukas Cranach dem Jüngeren widmen. Die Reihe "Dekalog" plant in Berlin Veranstaltungen zu den 10 Geboten. Der Kulturraum Oberlausitz-Niederschlesien stellt 13 Persönlichkeiten als "Gesichter der Reformation" vor und will im Dreiländereck mit diversen Projekten vor allem Jugendliche aus Deutschland, Polen und Tschechien zusammenbringen. Nürnberg war die erste Stadt, die der Reformation beigetreten ist. Sie bereitet bereits für 2015 drei Ausstellungen vor, mit einem Schwerpunkt auf Albrecht Dürer.

Seit mehr als 20 Jahren wird an einem der wichtigsten Symbole der Reformation gebaut: Der Wartburg in Eisenach. Bis zum Luther-Jahr soll die Vorburg fertig saniert sein. Eine besondere Idee hat man sich im 2013 wieder eröffneten Melanchthon-Haus in Wittenberg einfallen lassen: Jeder Besucher erhält beim Besuch einen Schlüssel, mit dem er sich einzelne Ausstellungsstücke "erschließen" kann.

Pro Jahr besuchen mehr als 700.000 Menschen die deutschen Lutherstädte. Die Präsentation der religiösen Vergangenheit dürfe nicht Erbe-Verwaltung, sondern müsse Bildungsarbeit sein, sagen die Verantwortlichen. Ganz im reformatorischen Sinn. Auf dem Weg ins Luther-Jahr wollen sie alle mitnehmen: Gläubige der eigenen wie anderer Konfessionen, aber auch nicht Glaubende. Denn, wie es Markus Dröge, der Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, formuliert: "Die Schnittmengen zwischen missionarischer Tätigkeit und den Fragen der Gesellschaft sind so groß, dass es durchaus fruchtbar sein kann, das Jahr 2017 zu feiern.

"2017 wird Martin Luther das Zugpferd sein: Immerhin belegte er in einer großen Umfrage zu den wichtigsten Deutschen Platz 2. Hinter Konrad Adenauer. Vor Karl Marx."

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