Alles ist Gnade - oder nicht nur?

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Die "Gemeinsame Erklärung" ist nicht Endpunkt der Ökumene zwischen Lutheranern und Katholiken. Einiges bleibt offen.

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Die "Gemeinsame Erklärung" ist nicht Endpunkt der Ökumene zwischen Lutheranern und Katholiken. Einiges bleibt offen.

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Was sind die Punkte aus römisch-katholischer und aus evangelischer Sicht, die auch nach der Unterzeichnung der "Gemeinsamen Erklärung" offenbleiben?

Kleine Aufweichung Das eine ist Nr. 18 (siehe Zitat auf Seite 6), wo es um die Frage des Kriteriums geht. Hier wurde von lutherischer Seite kritisiert: In der Gemeinsamen Erklärung heißt es, "ein Kriterium" - es gibt also mehrere Kriterien? Für uns als Lutheraner gibt es aber nur die Rechtfertigung als das einzige Kriterium, an dem alles gemessen werden muß.

Es ist schon richtig, daß die Rechtfertigungslehre durch die Gemeinsame Erklärung hier eine kleine Aufweichung erfahren hat. Die Frage heißt: Will Rom mehr Kriterien haben, oder genügt es, daß hier deutlich gesagt wird: Diese Rechtfertigungslehre ist ein unverzichtbares Kriterium, das die gesamte Lehre und Praxis der Kirche unablässig auf Christus hin orientiert.

Diese Frage ist offen. Allerdings hat der Annex zur Erklärung, der mitunterschrieben wird, also unverzichtbarer Teil des Textes ist, auf diese Frage schon eine erste vorläufige Antwort versucht. Dort heißt es: "Die Rechtfertigungslehre ist Maßstab oder Prüfstein des christlichen Glaubens. Keine Lehre darf diesem Kriterium widersprechen. Und in diesem Sinne ist die Rechtfertigungslehre ein ,unverzichtbares Kriterium, das die gesamte Lehre und Praxis der Kirche unablässig auf Christus hin orientieren will' (GE 18)."

Evangelische Beichte?

Die zweite offene Frage ist wesentlich umfangreicher. Hier geht es um die berühmte lutherische Formel: "Simul justus et peccator", das heißt, der Christ ist zugleich gerechtfertigt und zugleich Sünder. In der Gemeinsamen Erklärung wird deutlich, daß es hier Spannungen im Sündenverständnis zwischen den beiden Kirchen gibt. Ist die Sünde eine Grundhaltung des Menschen, oder ist sie eine Tat, die der Mensch immer wieder aus einer ganz bestimmten Motivation heraus begeht? In Nr. 29 der Gemeinsamen Erklärung heißt es, daß die Lutheraner folgendes sagen: Der Christ ist "zugleich Gerechter und Sünder". Er ist ganz gerecht, weil Gott ihm seine Sünden durch Wort und Sakrament vergeben hat. Zugleich ist er ganz Sünder, wenn er auf das Gesetz schaut, weil die Sünde immer noch in ihm wohnt, und weil seine Liebe nicht ungeteilt Gott gehört, sodaß er sich immer wieder auch verführen läßt und sozusagen eingehüllt ist vom Bösen. Und diese Gottwidrigkeit ist als solche wahrhaft Sünde.

Die Position der katholischen Kirche in der Gemeinsamen Erklärung lautet, daß selbstverständlich durch die Taufe die Gnade verliehen wird: Alles was wirklich sündig und verdammenswürdig ist, ist mit der Taufe ausgerottet und ausradiert. Es bleibt aber im Menschen eine aus der Sünde kommende und zur Sünde drängende Neigung, die "Konkupiszenz", im Menschen.

Die Frage ist: Wird durch die Taufe im Sündersein des Menschen eine neue Qualität des Menschen geschaffen? Gibt es eine innere Verwandlung des Menschen durch die Taufe, oder gibt es das nur insofern, als ihm - so die lutherische Position - die Gnade zugesagt ist? Diese Fragen sind offen.

Im mitunterschriebenen Annex heißt es im Punkt B: "Der Begriff ,Konkupiszenz' wird auf katholischer und auf lutherischer Seite in unterschiedlicher Bedeutung gebraucht. In den Lutherischen Bekenntnisschriften wird Konkupiszenz verstanden als Begehren des Menschen, durch das der Mensch sich selbst sucht, und das im Lichte des geistlich verstandenen Gesetzes als Sünde angesehen wird. Nach katholischem Verständnis ist Konkupiszenz eine auch nach der Taufe im Menschen verbleibende, aus der Sünde kommende und zur Sünde drängende Neigung. Unbeschadet der hier eingeschlossenen Unterschiede kann aus lutherischer Sicht anerkannt werden, daß die Begierde zum Einfallstor der Sünde werden kann. Wegen der Macht der Sünde trägt der ganze Mensch die Neigung in sich, sich gegen Gott zu stellen.

Diese Neigung entspricht nach lutherischem und katholischem Verständnis nicht ,dem ursprünglichen Plan Gottes vom Menschen' (GE 30). Das bedeutet, die Sünde hat für beide Kirchen personalen Charakter und führt als solche zur Trennung von Gott. Sie ist das selbstsüchtige Begehren des alten Menschen und mangelndes Vertrauen und mangelnde Liebe zu Gott."

An dieser Stelle eine Bemerkung zur Buße: Es ist ja schon interessant, daß Luther im Großen Katechismus von der Buße als "drittem Sakrament" redet. Er hat es aber nie ausgeführt. Im Großen Katechismus wird von ihm deutlich mitgeteilt, daß die Buße nur im Zusammenhang mit der Taufe zu sehen und zu erkennen ist. Das heißt, der Mensch, der getauft ist, und der von Gott grundsätzlich Vergebung seiner Sünden zugesprochen bekommen hat, muß sich, indem er als Sünder immer wieder lebt, durch die Buße immer wieder neu seiner Taufe versichern.

Wir evangelisch-lutherische Kirchen müßten neu nachdenken, ob nicht tatsächlich die Buße und die Beichte das notwendige dritte Sakrament wären. Immerhin, sind auf dem Altar der Stadtkirche von Wittenberg, vor dem Luther viele Jahre gestanden ist, sind alle drei Sakramente dargestellt. Das Abendmahl, die Taufe und die Beichte/Buße.

Gnade & gute Werke Ein dritter Punkt: Es gibt die Frage nach der "Cooperatio". Hat der Mensch etwas, sodaß er an der Gnade mitwirken kann, die ihm zuteil wird? Auch hier geht es um eine Klarstellung der Begriffe: Diese Cooperatio wird ja auch so dargestellt, daß durch die Gnade, die der Mensch empfängt, er gerechtfertigt wird. Das ist von beiden Seiten klargestellt.

Die Frage ist nur, ob er nicht etwas dazutun muß. Katholischerseits wird gesagt, er muß die Gnade annehmen. Und dieses Annehmen ist eine Mitwirkung im Sinne dessen, daß diese Gnade an ihm auch wirksam werden kann. Lutherischerseits wurde immer wieder gesagt: Nein, diese Gnade ist ohne jede Bedingung von seiten des Menschen. Gott schenkt sie ihm. Aber natürlich ist in den Lutherischen Bekenntnisschriften und überall davon die Rede, daß der Mensch selbstverständlich aufgrund der geschenkten Gnade alles tut, um Christus treu zu sein, um Gott zu lieben, um gute Werke zu tun und dergleichen mehr. Gottes Gnadenwirken schließt das Handeln des Menschen nicht aus, Gott wirkt alles, das Wollen und das Vollbringen, daher sind wir aufgerufen, uns darum zu bemühen.

Und was ist mit der Frage von Glauben und guten Werken? Was sind diese guten Werke? Sie sind gemeinsam festgestellt als Früchte der Rechtfertigung. Das ist die Aussage der Gemeinsamen Erklärung. Aber es ist die Frage, ob nicht über die guten Werke der Mensch einen Beitrag zu seiner Rechtfertigung leisten kann - römisch-katholische Sicht -, und ob das nicht tatsächlich so etwas ist, was von unseren Bekenntnisschriften verworfen wird.

Dazu heißt es im Annex, Punkt D: "Die guten Werke des Gerechtfertigten soll man tun, ,nämlich, daß wir unseren Beruf festmachen, das ist, daß wir nicht wiederum vom Evangelio fallen, wenn wir wiederum sundigeten', (Zitat aus der Lutherischen Bekenntnisschrift ,Apologie'). In diesem Sinne können Lutheraner und Katholiken gemeinsam verstehen, was über das Bewahren der Gnade, ob wir etwas dazutun können, die Gnade zu bewahren, und damit in der Rechtfertigung zu bleiben, was über das ,Bewahren der Gnade' gesagt in GE 38 und 39 gesagt. Freilich, ,alles was im Menschen dem freien Geschenk des Glaubens vorausgeht und nachfolgt ist nicht Grund der Rechtfertigung und verdient sie nicht'. (GE 25)".

Der Autor war bis September 1999 Superintendent der evangelischen Diözese Steiermark. Auszug aus einem Vortrag beim Ökumenischen Symposium über Rechtfertigung heute, das am 8. Oktober im Kardinal-König-Haus in Wien stattfand.

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