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Der Kardinal der Einheit
Heinrich Fries stellt die umfangreiche Kardinal-Bea-Biographie vor und zeigt auf, daß die Ökumene, vor allem wegen der Basis, weitergeht - auf immer neuen, aber sehr weiten Wegen.
Heinrich Fries stellt die umfangreiche Kardinal-Bea-Biographie vor und zeigt auf, daß die Ökumene, vor allem wegen der Basis, weitergeht - auf immer neuen, aber sehr weiten Wegen.
In einer ökumenisch dürftigen Zeit kann die große Monographie von Stiepan Schmidt über Augustin Kardinal Bea (1881 bis 1968) einen guten und wichtigen Dienst tun, den Dienst der Gewissenserforschung, der Erneuerung und der Ermutigung. Die Monographie trägt den Titel: Kardinal der Einheit. Damit sollen die großen Verdienste Beas um die Ökumene dargestellt werden. Darin liegt auch seine gesamtkirchliche Bedeutung. Aus diesem Konzept ist eine umfassende Biographie von über 1000 Seiten geworden. Stiepan Schmidt war insofern zu diesem großen Werk berufen, als er jahrelang Sekretär des Kardinals war, sein Archiv und seinen überaus umfangreichen Nachlaß verwaltete.
In einem ersten großen Kapitel: Familie, Studien, Priester- und Ordensberuf schildert der Verfasser die Jahre der Vorbereitung auf die spätere Aufgabe als Jesuit, als Professor und Rektor des päpstlichen Bibelinstituts, als Mitglied römischer Kongregationen, als Präsident des Sekretariates für die Einheit der Christen, als engagierter Teilnehmer am Zweiten Vatikanum, als Kardinal, als führender Öku-meniker.
Die entscheidende Wende im Leben und in der Arbeit von Augustin Bea war die Wahl von Papst Johannes XXIII. - dieser Papst hat den Skandal einer getrennten Christenheit schmerzlich empfunden und wollte sich nicht damit abfinden. Er hat deshalb die Bemühung um die Einheit der Christen zu seinem ganz persönlichen Anliegen gemacht und dem von ihm überraschend einberufenen Konzil als Aufgabe gestellt. Dabei muß man wissen, was Kardinal Jan Willebrands sagt: „Man darf nicht vergessen, daß die große Mehrheit der Konzilsväter vor dem Konzil praktisch keine ökumenischen Kontakte und Erfahrungen hatte - um nicht von den negativen Erfahrungen zu sprechen, die in etlichen Ländern überwogen."
Man muß sich dies gerade heute vor Augen halten, um die bei allen noch bestehenden Schwierigkeiten ganz anders geartete Situation der Gegenwart dankbar zu würdigen und ebenso das Werk und den Mut von Papst Johannes XXIII. und von Kardinal Bea. Im Dienst dieses ökumenischen Zieles stand die Gründung des Sekretariates für die Einheit der Christen, dessen erster Präsident Bea war. In dieser Eigenschaft nahm er Kontakte mit den Repräsentanten der reformatorischen und der orthodoxen Kirchen auf. Dazu trug nicht wenig seine Ernennung zum Kardinal bei (1959).
Dies führte zu dem in der Geschichte der Konzilien einmaligen Novum, daß Vertreter dieser Kirchen als Konzilsbeobachter eingeladen wurden, die an allen Sitzungen teilnahmen und die Konzilsunterlagen in Händen hatten. Diese Beobachter haben auf den Gang des Konzils und seiner Entscheidungen Einfluß genommen - zwar nicht offiziell, aber durch viele Begegnungen und Gespräche mit Konzilsvätern und Konzilstheologen.
Bea wurde das ökumenische Gewissen der Zentralkommission genannt. Durch seine Mitarbeit bekam die Konstitution Dei Verbum ein solches Gewicht, daß Oscar Cullmann sie als die ökumenisch bedeutendste Aussage des Konzils bezeichnete. Beas Mitarbeit war besonders wichtig für die Dogmatische Konstitutionüber die Kirche (Lumen gentium) und das darin vorgenommene Verhältnis der katholischen Kirche zu den anderen christlichen Kirchen.
Das Konzilsdekret über den Ökumenismus war in besonderer Weise die Frucht der ökumenischen Bemühungen von Kardinal Bea und seines Sekretariats, zugleich die Konsequenz aus der Kirchenkonstitution Lumen gentium. Die Erklärung zum jüdischen Volk in dem Dokument „Nostraaetate" war auf große Schwierigkeiten gestoßen, Daß sie angenommen wurde und große Zustimmung fand, ist mit das große Verdienst von Kardinal Bea.
Nach Abschluß des Konzils ging Bea keineswegs in den wohlverdienten Ruhestand. Er versuchte vielmehr, das Konzil weiter bekannt zu machen und zu verwirklichen - der Breite und der Tiefe nach. Am Ende seines Lebens wurden Bea noch hohe Anerkennungen zuteil, so der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, den er zusammen mit Vissert Hooft, dem ehemaligen Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen, 1966 in der Frankfurter Paulskirche erhielt. In bewegender Weise beschreibt Stiepan Schmidt die Tage der letzten Krankheit und das Sterben des Kardinals, sowie die Überführung und Beisetzung in der Pfarrkirche von Riedböhringen, seinem Heimatort.
Zum Schluß des umfangreichen Buches versucht der Verfasser ein geistliches Profil des Kardinals zu zeichnen. Vor allem deshalb, so meint Schmidt, war Bea der Kardinal der Einheit, weil er eine in sich selbst zutiefst geeinte Persönlichkeit gewesen ist. „Daß er sich nur als Werkzeug betrachtete, um die Menschen zu Gott und Gott zu den Menschen zu führen, verlieh seiner Persönlichkeit eine tiefe Harmonie und führte sie zu innigster Einheit mit Gott in Gott. Hier liegt das Geheimnis der unglaublichen Wirkkraft seines Zeugnisses und seines Einsatzes fürdieEinheitim weiteren Sinn des Wortes."
In der ökumenischen Konzeption Beas taucht immer wieder die These auf: „An die Dogrhen darf man nicht rühren." Wie soll man das verstehen? Wenn man generell an die Dogmen, auch an ihren Buchstaben, nicht rühren darf, läuft das nicht auf eine Rückkehr-Ökumene hinaus, die die Annahme aller Dogmen der römisch-katholischen Kirche zur Bedingung einer ökumenischen Einheit macht? Aber dazu ist heute keine einzige christliche Kirche bereit.
Es ist ein weiter Weg von Kardinal Bea zu den von Karl Rahner und mir entwik-kelten Thesen (Einigung der Kirchen - reale Möglichkeit), vor allem zu den Thesen I und II:
„Die Grundwahrheiten des Christentums, wie sie in der Heiligen Schrift, im Apostolischen Glaubensbekenntnis und in dem von Nicäa und Konstantinopel ausgesagt werden, sind für alle Teilkirchen der künftig einen Kirche verpflichtend."
„Darüber hinaus gelte ein realistisches Glaubensprinzip: In keiner Teilkirche darf dezidiert und bekenntnismäßig ein Satz verworfen werden, der in einer anderen Teilkirche ein verpflichtendes Dogma ist. Im übrigen ist aber über These I hinaus kein ausdrückliches und positives Bekenntnis in einer Teilkirche zu einem Dogma einer anderen Teilkirche verpflichtend gefordert, sondern einem weitergehenden Konsens der Zukunft überlassen. Das gilt erst recht von authentischen, aber nicht definierten Lehrerklärungen der römischen Kirche. Das ist besonders bei ethischen Fragen zu beachten. Bei diesem Prinzip würde nur das getan, was jede Kirche heute schon ihren eigenen Anhängern gegenüber praktiziert."
Diese Thesen blieben nicht unbestritten. Sie haben in der ganzen Welt eine Diskussion hervorgerufen, bei der die Zustimmung überwog. Das Buch selbst hat inzwischen acht Auflagen und verschiedene Übersetzungen erhalten.
Es ist ebenfalls ein weiter Weg zu den Ergebnissen des Arbeitskreises evangelischer und katholischer Theologen, an dem auch Bischöfe maßgeblich beteiligt sind, der sich vorgenommen hat, zu prüfen, ob die in den offiziellen Bekenntnisschriften der reformatorischen Kirchen ausgesprochenen Lehrverurteilungen gegen die Lehren der römisch-katholischen Kirche und die über 130 Anathematismen des Konzils von Trient - sie haben alle dogmatischen Charakter - nach 400 Jahren noch aufrecht erhalten werden können.
Als Ergebnis wird festgestellt: Die ehemaligen Lehrverurteilungen treffen den Partner heute nicht mehr, insofern seine Lehre nicht von den Irrtümern bestimmt ist, die die Verwerfungen abwehren sollten. Das ist so gut wie nicht mehr der Fall. Das führt zu der Frage: Sind die nicht zu leugnenden Unterschiede wirklich und heute noch kirchentrennend? Oder haben sie inzwischen ihren kirchentrennenden Stachel verloren, können sie Elemente, Bausteine in einer größeren Einheit werden, einer Einheit in Vielfalt, deren innere Struktur versöhnte Verschiedenheit heißt?
Solche Fragen und Konzeptionen waren zur Zeit des Konzils und des ökumenischen Wirkens von Kardinal Bea noch nicht präsent. Das ist kein Vorwurf, sondern eine Feststellung, die deutlich macht, was Geschichtlichkeit der Dogmen bedeutet und zu welchen Konsequenzen sie führt.
Gewiß, dieses Dokument ist von den Leitungen der Kirchen noch nicht rezipiert. Sollte dies geschehen, dann kann dies auch praktisch nicht ohne Konsequenzen bleiben. Aber dabei wird auch deutlich, daß die Ökumene nicht stille steht oder am Ende ist, sondern weitergeht. An der sogenannten Basis ist dieser Prozeß ohnehin nicht aufzuhalten; es wird immer schwerer, das Getrenntsein der Kirchen zu begründen. Wo ist heute ein Kardinal in Rom, der sich wie einst Augustin Bea für die neuen Möglichkeiten und Aufgaben der Ökumene einsetzt und engagiert?
DERKARDINALDER EINHEIT: AUGUSTIN BEA. Von Stiepan Schmidt. Verlag Styria, Graz-Wien-Köln 1989,1050 Seiten, öS 1050,-.
Der Autor ist emeritierter Professor für ökumenische Theologie in München.
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