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Dramatisierte Historie

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Der Jammer mit Berufsschauspie-lern ist, daß sie zu schön sind, z u markante Charakterköpfe haben, zu richtig und pointiert sprechen. Am meisten spürt man das, wenn sie in Dokumentar-stücken, wie dem Fernsehspiel „Der Tod des Engelbert Dollfuß“, Leute spielen, die es wirklich gegeben hat und die wir selbst noch auf die eine oder andere Weise gekannt haben. Welcher Mensch, sei er sogar ein Politiker, ist imstande, sich nie zu versprechen, immer gleich und mit einem Satz auszusprechen, was er meint, und so auszusehen, wie es seiner politischen und weltanschaulichen Haltung entspricht! Wir kennen Diplomaten, die wie grobe Berg-

bauern oder Industriearbeiter aussehen und vice versa; es gibt Aristokratinnen mit tausend Jahr altem Stammbaum, die wir für Fleischselchergattinnen und letztere, die wir für die ersteren zu halten bereit sind. Wie langweilig wäre es auf der Welt, trenn sie sich an die Regieanweisungen für Schauspieler hielte! So hat denn auch gespielte Zeitgeschichte immer etwas Halb-schlächtiges. Wenn faktisches Geschehen nachgespielt werden soll, kann man nicht anders als einen Bruch dabei empfinden. Nur echte Dichtung ist spielbar, niemals die Wirklichkeit; Dichtung ist Überwirklichkeit. Die Realität wird von den dabei Handelnden zu sehr miterlebt, um gespielt werden zu können. Und wenn einer darin nur spielt, so bemerken wir es ziemlich schnell. Nicht einmal die ganz großen Akteure und Redner der Weltgeschichte, wie Churchill und Hitler, haben jemals nur gespielt. Sie haben ihre Rolle weit stärker miterlebt, als dies ein Schauspieler zu tun imstande ist — wenn er ein guter Schauspieler ist. Weiters: nur eine gedichtete Handlung besitzt jene Plausibili-tät und Pointiertheit, derer das ästhetische Vergnügen an der Kunst bedarf. Wirkliches Geschehen ist voller Sinnlosigkeiten und NichtZusammenhänge und meistens recht farblos. So können der Ablauf und die Zusammenhänge in solchen Dokumentar-stücken nur an der Oberfläche und sehr dünn aufgezeichnet werden. Um Geschichte wirklich dramatisieren, um einen „Wallenstein“ hervorbringen zu können, bedarf der Autor ungleich mehr Vorarbeiter als der Dramatiseur der Zeitgeschichte. Er bedarf nicht nur der Kenntnis des Geschehens, sondern er muß die gesamte Kultur der betreffenden Zeit absorbiert und in sich verarbeitet haben.

So gab es in dem in Rede stehenden Fernsehspiel nur einen Schauspieler, der über den mageren Text hinaus- und in den Charakter der von ihm dargestellten Person zur Gänze hineinwuchs: Kurt Nachmann als Rin-telen. Ihm kam dabei nicht nur die frappante Ähnlichkeit zugute, sondern wahrscheinlich auch, daß er selber ein Autor ist. Anders als die große Dramatik, kann sich ein Dokumentarspiel keine dichterischen Freiheiten leisten. Der Sinn, das Um und Auf, die Glaubwürdigkeit eines solchen Spiels besteht darin, daß dort alles echt ist und stimmt. Größere und daher bedenklichere Falschheiten waren hier: Die Behauptung, daß es zu den Kämpfen im Februar 1934 durch eine der nationalsozialistischen Juliputschisten ähnliche Initiative der sozialdemokratischen Schutzbündler gekommen war. Im Februar 1934 wurde jedoch das Gesetz des Handelns durch den Willen der Rechten und der Regierung Dollfuß' bestimmt, die

noch vorhandenen Positionen der Sozialdemokratie — etwa in den Gemeindeverwaltungen, jedoch auch in den intakten Parteiorganisationen — endgültig zu besteigen. Die Gegenwehr des Schutzbundes war denn auch kaum mehr als improvisiert und vollends defensiv. Im Juliputsch 1934 war es umgekehrt; dort lag die Initiative zur Gänze bei den Nazis und die Regierung war in der Defensive. Daß sie in beiden Treffen gesiegt hat, hing mit der Verschiedenheit im Umfang der beiden Auseinandersetzungen zusammen. Im Februar wurde die gesamte bewaffnete Macht sowohl der Regierung als auch der rechtsstehenden Wehrverbände gegen den Schutzbund eingesetzt. Das war im Juli nur in Kärnten nötig; in Wien, dem Hauptzentrum des Putsches, war nur eine verhältnismäßig kleine Gruppe von SS-Leuten eingesetzt worden, die unschwer zu isolieren und zu überwältigen war. Höchst gefährlich falsch war auch ein Satz des Kommentators der Sendung: „Erst als die Nationalsozialisten im März 1938 wieder zur Macht griffen, gelang es ihnen.“ Die österreichischen Nationalsozialisten waren im März 1938 nur Komparsen der von Deutschland aus durchge-

führten militärischen Invasion und des gleichfalls von dort gelenkten Sturzes der Schuschnigg-Regierung und der Einsetzung der nationalsozialistischen Regierung Seyß-Inquarts. Kleinere Ungenauigkeiten, die störten, waren in der Sendung: Nicht Schuschnigg ließ Funder während des Putsches ins Heeres-ministerium rufen, sondern Funder ging zu Schuschnigg ins Unterrichtsministerium, alarmierte ihn und fuhr dann mit ihm zusammen ins Heeresministerium, wo sich die übrigen Regierungsmitglieder (außer den im Bundeskanzleramt gefangengehaltenen) versammelten.

In der Hierarchie der österreichischen Polizei gab es nie den Titel „KriminaAchef“. Auch wurden die nach Einführung der Todesstrafe in Österreich des Ständestaates Justifizierten durch Erhängen hingerichtet und nicht durch das Fallbeil. Des letzteren bediente sich erst das deutsche Regime in Österreich, österreichische Nationalsozialisten sagten nicht — bei aller Begeisterung für alles Deutsche: „Die werden Hackfleisch aus uns machen;“ auch sie verwendeten in solchem Fall das Wort „Faschiertes“.

Bedauerlich, daß man, wenn man schon das Spiel in einer österreichisch-bayrischen Koproduktion herstellte, sich des bayrischen Anteils nicht im Inhaltlichen bedient hat: München als Zentrale der NSDAP hat bei der Sache keine geringe Rolle gespielt. Die im Spiel verwendeten bayrischen Schauspieler wären viel glaubhafter in heimatlichen als in österreichischen Rollen gewesen.

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