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... den Anschluß der Österreicher an Österreich

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Vor fast genau einem Jahr starb in seiner Tiroler Heimat, nicht ganz achtzigjährig, der frühere österreichische Bundeskanzler Dr. Kurt Schuschnigg. Als Staatsmann zwischen Dollfuß und Hitler, zwischen Bürgerkrieg und Anschluß, zählt er zu den Schlüsselfiguren der österreichischen Zeitgeschichte: und damit auch zum Kreis der „gefährdeten Personen“, deren persönliches Handeln, Leben und Leiden von Geschichtsschreibern der Jetztzeit umgeschrieben und in die gewünschten Formen gepreßt wird. „Ein Requiem in Rot-Weiß-Rot“ ist das bewegende Zeitdokument dieser Tage, das Kurt Schuschnigg selbst zu Wort kommen läßt.

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Vor fast genau einem Jahr starb in seiner Tiroler Heimat, nicht ganz achtzigjährig, der frühere österreichische Bundeskanzler Dr. Kurt Schuschnigg. Als Staatsmann zwischen Dollfuß und Hitler, zwischen Bürgerkrieg und Anschluß, zählt er zu den Schlüsselfiguren der österreichischen Zeitgeschichte: und damit auch zum Kreis der „gefährdeten Personen“, deren persönliches Handeln, Leben und Leiden von Geschichtsschreibern der Jetztzeit umgeschrieben und in die gewünschten Formen gepreßt wird. „Ein Requiem in Rot-Weiß-Rot“ ist das bewegende Zeitdokument dieser Tage, das Kurt Schuschnigg selbst zu Wort kommen läßt.

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Kurt Schuschnigg faßt in diesem Buch, das 1964 in einem Schweizer Verlag erstmals erschienen ist und rasch vergriffen war, Tagebuchaufzeichnungen seiner Haft- und KZ-Zeit, beginnend mit seinem ultimativ erzwungenen Rücktritt vom 11. März 1938 bis zu seiner Befreiung durch die Amerikaner in Südtirol, zusammen. Eingeschobene historische Essays und Rückblendungen vermitteln dem Leser ein übersichtliches Bild.

Schuschnigg ist es nicht darum zu tun, in erster Linie von persönlichem Erleben oder Schicksal zu berichten, eine persönliche Rechtfertigung zu versuchen. In diesem Sinne vermerkt Schuschnigg, „da die Würfel gefallen sind“, am „Sonntag Laetare“, dem 27. März 1938, in seinem Tagebuch, warum er seine Auffassung schriftlich darlegen möchte:

Nicht als Verteidigung, denn der einzige gerechte Richter ist in solchen Fällen das eigene Gewissen; vielmehr als Überprüfungsbehelf für Zeiten, in denen vielleicht der alte Grundsatz

deutschen Rechts „Eines Mannes Rede ist keines Mannes Rede, man muß sie hören alle beede“ ... wieder zu Ehren kommt.

In den sieben Jahren seiner Haft kehren Schuschniggs Gedanken immer wieder zu den entscheidenden Tagen des März 1938 zurück. Ob alles getan war, was getan werden konnte? Und vor allem, ob es richtig getan war?

Als politisch falsch, aber im allgemein menschlichen Sinne begreiflich, bezeichnet er, daß er persönlich im Land geblieben ist, ohne ein Asyl-recht auszunützen. In einem tragischen Zwiespalt habe er nicht den sachlich vorgeschriebenen, sondern den persönlichen - objektiv falschen - Weg gewählt, „weil ich alles, aber nicht meinen und meiner Freunde guten, d. h. anständigen Namen zu opfern bereit war.“

*

Auch die Politik des Ständestaates, den Schuschnigg (wie Stephan Ver-osta im Vorwort schreibt) als keines-

falls faschistischen Mittelweg zwischen einem unfruchtbaren Parlamentarismus und der Diktatur gesehen hat, all die aufgeschaukelten, haßerfüllten Emotionen beschäftigen Schuschnigg in seiner Haft. Am 25. Juli 1938 schreibt er in sein Tagebuch:

Gedenktag an die Julirevolte 1934. Vier Jahre lang hatten wir nur der einen Opfer des Unglücks gedacht, die damals in der Verteidigung fielen. Nun hatte sich das Blatt gewendet und das Andenken der anderen, der Angreifer, gelangte zu Ehren. Was ich ehrlich angestrebt und vorbereitet hatte - daß die Heimat beider Teile gedenke, den guten Willen und den Lebenseinsatz ehre, den Haß begrabe und über Unglücksopfern sich die Hände reiche - das ging nicht in Erfüllung. Heute weiß ich, daß es ein Fehlschluß war und Träumerei, an solches zu denken.

Bemerkenswert sind auch Schuschniggs Reflexionen zum österreichisch-ungarischen Nationalitätenstaat. „Völkerkerker“ ist das Schlagwort, das heute alle kennen. Man muß nicht Monarchist sein, um Schuschnigg zu begreifen; er rechnet nüchtern die „unerlösten“ Minderheiten der Monarchie zusammen und stellt sie jenen der Jahre nach 1918 gegenüber:

Vor 1918 gab es im mitteleuropäischen (ehemals österreichisch-ungarischen) Raum rund 27,400.000 „Un-erlöste“, wenn man als solche alle kleinen Völker und die Minderheiten inbegreift, die des eigenvolklichen Staates entbehrten, oder abgetrennt

von ihrem Nationalstaat leben mußten.

Nach dem Ersten Weltkrieg und der Zerschlagung Österreich-Ungarns umfaßte die * „Unerlösten“-Tabelle hingegen über 27,600.000 Seelen.

Heute ist oft davon die Rede, eine monarchistische Restauration nach 1934 hätte das österreichische Unglück verhindern können. Noch knapp zwei Wochen vor dem Anschluß habe Otto Habsburg mittels Boten Schuschnigg ein Schreiben gesandt, in dem er den Bundeskanzler unter Anrufung seines früheren Offizierseides beschwor, ihm zur Rettung Österreichs die Bundeskanzlerschaft zu übertragen. Für Schuschnigg stand mit einer „jeden Zweifel ausschließenden Gewißheit“ fest, daß eine Restauration den sofortigen Uberfall Hitlers zur Folge gehabt hätte:

Ein Teil der dritten Mächte hätte vielleicht dann keine Einwendung gegen die Errichtung einer Monarchie erhoben, wenn Österreich mit Deutschland darüber ins reine kam; und dies war unmöglich. Vor der Welt und der Geschichte aber hätte Österreich seinen Untergang als selbstverschuldet verantworten müssen.

Allen Depressionen des Augenblicks zum Trotz schöpft Schuschnigg neue Kraft - am 23. November 1939 schreibt er bereits:

Vielleicht, daß Österreich doch und trotz allem wiederkommt...

Ja, vielleicht! - das wäre herrlich!

Aber nur dann, wenn Österreich -Weg und Wille zu Europa bedeutet.

In den letzten Sätzen seines Buches schreibt Schuschnigg sein persönliches in leidvoller Erfahrung gewachsenes Vermächtnis nieder:

Jetzt wäre vielleicht der Moment, daß, wie in anderen Ländern seit jeher, ungeachtet der parteimäßigen Gruppierung und verschiedenen politischen Meinung, in allen Fragen des Ganzeh sich für alle Zeiten das Volk der Österreicher zusammenschließt.

Das nun ist es, was einer, der stumm und zufrieden nach getaner Pflicht Und reinen Gewissens in die Reihen zurücktritt, als Erfüllung noch erleben möchte:

Den Anschluß der Österreicher an Österreich.

EIN REQUIEM IN ROT-WEISS-ROT. Von Kurt Schuschnigg, Österreichische Erstausgabe mit einem Vorwort von Stephan Verosta, Amal-thea-Verlag Wien, 1978, 520 Seiten, öS 298,-.

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