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Wer wollte den Anschluß?

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Es ist daher unlogisch, wenn Taylor Schuschnigg einen Vorwurf daraus macht, Hitlers, in Taylors Einbildung bestehende, Absicht einer langsamen inneren Evolution Österreichs auf den Anschluß hin duich die Ansetzung einer Volksbefragung vereitelt zu haben.

In dem Plebiszit-Projekt sieht Taylor einen machiavellistischen. Streich, den er um so tadelnswürdiger findet, als Schuschnigg in der Unterredung mit Hitler, trotz dessen „abscheulichen Methoden“, alles erreichte, was er angestrebt hätte. Taylor erklärt Hitlers angebliche Abneigung gegen einen raschen Anschluß mit seiner Furcht vor einer tschechischen Intervention. Die österreichische Volksabstimmung unter Hitler, die „99,08 Prozent“ für den Anschluß ergab, betrachtet der Brite als „echte Widerspiegelung des Deutschbewußtseins“. Man fragt sich sofort, warum Hitler die Schuschnigg-sche Volksabstimmung fürchtete, wenn die Österreicher so überwältigend anschlußfreudig waren.

Hoggan sieht diesen Einwand voraus und begegnet ihm mit der kühnen Behauptung: „Er (Schuschnigg) wußte . .., daß sein Regime niemals eine ehrliche Wahl als Zeichen einer dauernden Trennung und seiner kaum verhüllten Absicht, die Habsburger in dem winzigen Österreich wieder einzusetzen,

gewinnen konnte. Schließlich entschied er sich für eine manipulierte Volksabstimmung... Mittels dieses Rechtsbruches lenkte Schuschnigg zwangsläufig Hitlers Hand in der Österreichfrage“ (S. 127).

Taylor geht der oben aufgeworfenen Frage geschmeidig aus dem Weg. Je-

doch nimmt die Wunde, die Schuschnigg angeblich Österreichs Eroberer zufügte, bei ihm noch größere Ausmaße an. Hitler „hatte den Vorteil der versetzten Moralität verloren und e r-schien als Eroberer. Bald setzte sich der Glaube fest, daß die Eroberung Österreichs ein lang geplantes Komplott war ... dieser Glaube war ein Mythos. Die Krise des März 1938 war von Schuschnigg provoziert worden ... Mit dem Anschluß oder vielmehr mit der Art und Weise seiner Verwirklichung machte Hitler den ersten Schritt in der Politik, die ihm als den größten aller Kriegsverbrecher brandmarken würde. Jedoch tat er diesen Schritt unbeabsichtigt. Tatsächlich wußte er nicht einmal, daß er ihn getan hatte“ (S. 149 f).

Zu welchem Urteil kommt man über diese beiden Bücher? Trotz seiner eklatanten Mängel kann man Taylor nicht den Verdienst absprechen, die Diskussion über die Kriegsschuldfrage in Gang gebracht zu haben. Gründlichere und verantwortungsbewußtere Historiker sollen sie weiterführen. Trotz seines emsigen Fleißes hat Hoggan es nicht fertig gebracht, ein historisch stichhaltiges Werk zu schaffen. Die Diskrepanz zwischen seinem Arbeitseifer und der Offenheit seines Geistes war eben zu groß. Dies ist

auch menschlich bedauerlich, denn persönlich gilt er als redlicher, sympathischer Mensch. Das Buch kostete ihn seine Universitätskarriere.

1 Deutsche Ausgabe: Siegbert-Mohn-Verlag. Gütersloh, 383 Seiten, Preis 18.80 DM. 2 Erschienen im Verlag der Deutschen Hochschullehrerzeitung, Tübingen. 893 Seiten, Preis 48 DM.

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