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Schön und ehrenvoll, Österreicher zu sein...

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Wenn Männer, die Geschichte machten, öder, was des öfteren der Fall ist, eine bedeutende Position in einem geschichtsträchtigen Zeitabschnitt innehaben, auch Geschichte schreiben, so kann das Buch ein dreifaches Interesse erwecken: Es enthält neues Quellenmaterial und trägt damit zur Aufhellung der Ereignisse bei; oder es bringt die Aussage eines großen Staats mannes und bereichert die Menschheit mit neuen Gedanken; oder aber es ist als Aussage eines Menschen interessant, der zwar im Brennpunkt des Geschehens stand, doch nicht schob, sondern selbst geschoben wurde und nicht eigentlich als Akteur, sondern vielmehr als Opfer der tragischen Ereignisse angesehen werden muß

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Wenn Männer, die Geschichte machten, öder, was des öfteren der Fall ist, eine bedeutende Position in einem geschichtsträchtigen Zeitabschnitt innehaben, auch Geschichte schreiben, so kann das Buch ein dreifaches Interesse erwecken: Es enthält neues Quellenmaterial und trägt damit zur Aufhellung der Ereignisse bei; oder es bringt die Aussage eines großen Staats mannes und bereichert die Menschheit mit neuen Gedanken; oder aber es ist als Aussage eines Menschen interessant, der zwar im Brennpunkt des Geschehens stand, doch nicht schob, sondern selbst geschoben wurde und nicht eigentlich als Akteur, sondern vielmehr als Opfer der tragischen Ereignisse angesehen werden muß

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Das Buch des ehemaligen Bundeskanzlers Dr. Kurt Schuschnigg (Kurt Schuschnigg: Im Kampf gegen . Hitler, Verlag Fritz Molden, Wien —München 1969) gehört (meiner Meinung nach) in die dritte Gruppe. Es enthält nämlich nur ganz wenige Quellen, die bisher noch unbekannt waren. Auch ist der Autor keiner der ganz großen Staatsmänner. Wohl aber offenbart dag Buch die Stärken und Schwächen des Politikers und Menschen Schuschnigg, seine integre Persönlichkeit und charakterliche Festigkeit auf der einen, seine politische Unelastizität politischen Mas-senerscheinungen gegenüber auf der anderen Seite. Sicherlich, schon aus rein machtpolitischen Erwägungen heraus konnten nur Großmächte wie England und die Sowjetunion echte Gegenspieler zu Adolf Hitler hervorbringen, doch selbst im geistespoliti-schen Bereich zeigte sich Schuschnigg nicht als die Persönlichkeit, die Hitler Paroli zu bieten vermochte.

Schuschnigg war zweifellos der wesentlich gebildetere Mann und der bessere Charakter als Hitler, doch er konnte für seine Ideen keine Massen in Bewegung setzen, ja er stieß mit seiner Art die Massen geradezu ab. Schuschnigg glaubte, Politik auch im Massenzeitalter als Geheimpolitik führen zu müssen, für die er dem Volk keine Rechenschaft schuldig wäre. Er trieb veraltete Kabinettspolitik, wobei er durch ständiges Auswechseln von Regierungsmitglie-dern die innenpolitischen Kräfte im Gleichgewicht zu halten versuchte. Die Erkenntnis daß Politik, insbesondere, wenn sie ständig unter Druck und Bedrohung steht, auch eine breite Basis haben müsse, um standhalten zu können, ging ihm nicht auf. Dies ist der persönliche Anteil Schuschniggs am Scheitern seiner Politik, wobei objektiv zugegeben werden soll, daß wahrscheinlich auch kein anderer österreichischer Politiker imstande gewesen wäre, der über Österreich hereinbrechenden braunen Flut einen Damm entgegenzusetzen. Schuschnigg schildert im ersten Teil seines Buches die politischen Ursachen und die äußeren Ereignisse, die zur Selbstauflösung des Parlaments im März 1933, zum Februaraufstand 1934, zur Mai Verfassung des gleichen Jahres und zur Errichtung des autoritären Ständestaates geführt haben. Er bringt hier weder neue sachliche Details noch neue geistespolitische Aspekte. Daß er die Ereignisse mit der Brille des konservativen Politikers sieht, kann ih,i nicht zum Vorwurf gemacht werden. Während nach sozialdemokratischer Ansicht die Heimwehren für die innenpolitische Radikalisierung verantwortlich sind, vertritt Schuschnigg den entgegengesetzten Standpunkt, daß die Radikalisierung der Heimwehren eine Folge der Radikalisierung der österreichischen Linken war, wobei als die innerpolitischen Wendepunkte der sozialdemokratische Parteitag von 1926 und die Ereignisse rund um den Brand des Justizpalastes im Juli 1927 hingestellt werden.

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