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Totenbeschwörung

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Klagenfurt hat in dieser Spielzeit mit Erst- und Uraufführungen nicht gekargt. Wagemut brachte Stücke heraus, die sich als diskussionswert erwiesen. Darüber hinaus eignet ihnen der Vorzug, österreichische Autoren zu Vätern zu haben. So kamen nun nach Fritz Habeck der schon szenisch erprobte Alexander lernet-Hblenia und der als Dramatiker noch nicht profilierte Kärntner Hermann Lienhard zü Wort, der als Lyriker bereits einen Namen erlangt und Würdigung erfahren hat. Lernet-Holenias „S a u 1" und Lien- hards „Café Memoria" gingen an einem Abend über die Bretter; und beiden Werken war Jenseitsbeziehung gemeinsam.

Aus dem Buch der Könige holte Lernet-Holenia den Stoff. Die Episode aus 1 28 wird verwendet, die zeitlichen Ebenen des Geschehens werden mit einem virtuosen dichterischen Szenenspielertrick verschoben. Saul und die Hexe finden sich in einer Gegenwart, die das „Vater unser" kennt. „Zu Endor" begibt sich die Handlung, das in Tirol zu liegen scheint und doch zum Bezirk der Dichtung gehört, darin alle zeitlichen und räumlichen Grenzen aufgehoben werden. Und so bleiben nach Fortscheuchen der Bauern die Gestalten des Alten Testaments zurück, deren Nahen die medial veranlagte Magd erahnte, die zur Hexe von Endor wird. Durch die Erscheinung Samuels, der Saul zum König salbte, kündet sie ihm, der ein Leugner und Zweifler scheint und nur ein Gottsucher ist, den Untergang. Wucht, die ins Mysterium trägt, Auf lodern und Verglühen — in diesem Einakter sind sie, der wie eine dichterische Etüde, wie eine Variation über ein altes Thema anmutet, und dabei ein interessantes Stück und mehr als eine dramatisierte Seance ist. Die deutende Regie Walter Novotnys bewährt sich an dem Wortspiel, dem Dr. Wolfram Skalicki ein Bühnenbild schuf, das sich aus dem Schlichten ins Erhabene erhöht. Als „Hexe" beweist Linda Fliedl erstaunliche Wandlungsfähigkeit, Erich Schachinger ringt mit sich und Gott. Ludwig Hillingers Prophetensingsang hat einen eigenen Reiz.

Ging es bei Lernet-Holenia um die Beschwörung eines Abgeschiedenen, so ist Hermann L i e n- hards „Café Memoria" ganz in den Raum verlagert, der den Toten zugehört und jenen, die ihnen vorübergehend gleichen. Unter dem Orion liegt er, dem Limbus benachbart, dem Ort der ungetauften Kinder im Jenseits. Durchgang und Stätte einer Läuterung, nicht mehr „hier" und noch nicht „dort". Und in dieser als Café aus- gestat eten Station, die durch Zeitung und Funk mit dem Irdischen verbunden ist, wartet der eben gestorbene Schriftsteller Hjalmar Straßbourg auf seine Weiterreise und begegnet Johanna, die als, Braut bei der Hochzeitstafel in Ohnmacht fiel, und Kalliniki, die bei einem Autounfall das Bewußtsein verlor, beide ihm einst verbunden und nun quälende Erinnerung. Erstere liebt ihn einfältig-scheu, letztere hatte ihm gehört und hätte ihm ein Kind schenken können, wenn nicht Bequemlichkeit, Feigheit und Eigennutz sein Geborenwerden verhindert hätten; klagend irrt es nun durch den Raum, lautgewordene Sünde und bitterer Vorwurf. Ein Kellner bedient im Café, er bringt Cocktails und Erläuterungen. Er gibt dem Zwischenreich seine Deutung und bewirkt die Wendungen, aus denen die Spannung bezogen wird. Seine Schwester Seolastique war Hjalmars angetraute Gattin. Als Französin, die den Deutschen heiratete, kam sie ins Gefängnis und starb. Und ihr Bruder war derjenige, der sie anzeigte. Schuld über Schuld ! Und doch gibt es — anders als bei Sartre, und an ihn zu denken, erscheint ebenso selbstverständlich wie an Cocteau und seinen „Orpheus" — Erlösung und Entsühnung. Johanna und Kallinike kehren zur Welt zurück, Seolastique und Hjalmar werden das Ungeborene suchen (und wohl auch finden) und der Bruder darf ihnen folgen. Lienhard wurde, wie er selbst sagte, durch Gabriel Marcel — Jean-Paul Sartres „Gegen-Paul" — zu dem Stück angeregt; kein Wunder also, daß hier Elemente verarbeitet erscheinen, die zum Bestand des Existentialismus gehören. Und doch ist „Café Memoria" kein „nach- und anempfundenes", sondern ein durchaus eigenes Stück eines Dichters, der schon in dieser Probe seines dramatischen Schaffens überraschte. Es ist nicht leicht, einem Thema, das zuweilen mehr im Zustand als im Fortschreiten seine Wirkung findet, die nötige Straffung zu geben, doch haben die Gestalten Kontur und Atem; sie sind mit psychologischem Einfühlen in die Handlung gestellt. Man darf Lienhards Erstling herzlich willkommen heißen, eine Tatsache, der sich auch das Publikum nicht verschloß. Die Aufführung selbst — Walter Nowotnys Regieverdienste seien hervorgehoben — konnte sich sehen lassen. Dr. Skalickis Bühnenbild traf glücklich die

Mischung zwischen Realität und Ueberwirklich- keit und machte das seltsame Zwischenreich durchaus verständlich. Darstellerisch überragend war die kalte, sachlich-zynische Kallinike Anneliese Stöckls, neben der Linda Fliedl (Johanna) ein wenig als Zweig vom Söderbaum wirkte. Herbert Probst gesellte seinen starken Rollen eine mehr, Hans Christian (Hjalmar) fiel ein wenig ab. Bei Brigitte Köhler (Seolastique) kam Innigkeit zum Ausdruck. Der Beifall war stark; er wäre noch stärker gewesen, hätte man die ganze Aufmerksamkeit ins „Café Memoria" tragen dürfen. Das Stück duldet keine Nachbarschaft, die des Publikums Aufnahmefähigkeit irgendwie beeinträchtigt.

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