Literatur über Seen: Stille Wasser sind tief
Literarische Süßwasserperlen aus dem Fundus deutschsprachiger Literatur – über Seen in Deutschland, der Schweiz und Österreich.
Literarische Süßwasserperlen aus dem Fundus deutschsprachiger Literatur – über Seen in Deutschland, der Schweiz und Österreich.
Goethe weint Ergriffenheitstränen in den Genfersee, Martin Walser wühlt den Bodensee auf, Peter Handke findet am Griffener See einen Ort großer Dauer. Schriftsteller lieben Seen, ob als Wohnund Arbeitsort oder als Bühne ihrer Werke. Was Wunder, bieten diese Stillgewässer doch eine atmosphärisch grandiose Szenerie. Einmal werden ihre Oberflächen zu magischen Spiegeln, das andere Mal hüllen sie sich in Nebel oder mutieren, sturmgepeitscht, zu wahren Hexenkesseln. Und in ihren unergründlichen Tiefen, da walten dunkle Kräfte.
„Nur Grün, Blau und Sonne [...] Das ist der Stechlin“, schwärmte Theodor Fontane in seinen „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ über den See im Norden Deutschlands: „Er ist einer von den Vornehmen, die große Beziehungen unterhalten. Als das Lissabonner Erdbeben war, waren hier Strudel und Trichter, und staubende Wasserhosen tanzten zwischen den Ufern hin.“ Ein See mit Weltbezug, aber auch mit Tücken, wie der Autor erfährt. Legten Fischer ihre Netze an falscher Stelle aus, sei ihnen die Rache des roten Hahns gewiss. Fontane wählt den See später als Schauplatz für den melancholischen Umbruchroman „Der Stechlin“.
Unruhige Gewässer
Nahe Berlin setzt Kurt Tucholsky, der hellsichtige Satiriker, 1928 einen Geschäftsmann ins Boot (Gedicht „Träumerei auf einem Havelsee“): „Ich bin Prokurist einer Wäschefabrik,/ Sternberg, Guttmann & Sohn./ Mein Segelboot heißt <Heil und Sieg>,/ zwei Stunden lieg ich hier schon/ und seh auf die Kiefern und in das Wasser hinein –/ auf meinem Boot ganz allein.“ Kein ungetrübter Moment der Erholung, denn „wie die Sirenen mit schwimmendem Haar/ ziehn im See meine Sorgen“. Das Idyll versagt die Distanz zum Alltag, zu vieles harrt einer Lösung. Etwa die Reparatur des Bootes <Heil und Sieg>, das früher <Nachtigall> hieß.
Am Bodensee wiederum, in Martin Walsers Heimat, spielt dessen gesellschaftskritische Novelle „Ein fliehendes Pferd“ (1978). In einem Ferienhaus treffen zwei Paare zufällig aufeinander, die Männer kennen sich von früher. Der eine ist Gymnasiallehrer, auf der Flucht vor der Welt und vor sich selbst; der andere ein Journalist, scheinbar strotzend vor Lebenskraft. Es kriselt, nicht zuletzt wegen der Frauen. Bei einem Segeltörn geraten die Rivalen in einen Sturm, einer geht über Bord – und der andere sieht zu. Freilich: Nichts ist, wie es scheint.
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