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Porträt Jes Rheins

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Das erste, was ich von ihm kennenlernte, war sein Ruf. Der war wie Donnerhall.

Dann sah ich ihn im Theater. Bejahrte Kammersängerinnen spielen seine Töchter. Graziös wie Nilpferde bewegten sie sich, von komplizierten Schwimmapparaten gestützt, in einer Art Aquarium und sangen: „Wagelaweia — heia — oho!“

Schließlich setzte er mich in Oberbayern in Bewegung. Sommerfrischler aus allen Landen sangen ein Potpourri, das in der Forderung ausklang, er solle ewig Deutschlands Zierde sein. Sie schunkelten dazu mit ernsten Gesichtern und machten Miene, jeden auszuradieren, der nicht mit ihnen schunkeln wollte. Bevor ich ihn persönlich kennenlernte, dachte ich, der Rhein sei ein streng vaterländischer Strom, an dem bei Schwertgeklirr die Liebe und bei Wogenprall der Wein gedeihe. In seinen Fluten spiegle sich die Lorelei und die Germania vom Niederwalddenkmal, um den Männergesangvereinen zu baßgewaltigen Huldigungen die geharnischte Brust zu bieten.

Dann sah ich ihn zum ersten Male, und er war ganz anders als sein Ruf, der brauste. Er war lieblich. Er war verbindlich. Er war ein internationaler Globetrotter.

Er war noch recht jung und hatte es eilig. Sein Wasser war klar, und man sah ihm seine Herkunft an. Denn wie seine Schwester, die Rhone, kommt er aus dem Hochgebirge. Aber während sich die Rhöne entschließt, sich nach Süden zu wenden und sich mit dem Mittelmeer zu vermählen, treibt es den Rhein nach Norden, in die Arme der Nordsee.

Ich sah ihn in Liechtenstein, jenem winzigen Staatsgebilde, das. eingeklemmt zwischen Vor- schauliches Leben führt. Der Rhein ist Liechtensteins Grenze, nicht Liechtensteins Strom. Und keiner will des Stromes Hüter sein, denn nach der Schweiz zu ist das Land offen und kein Zöllner, kein Sünder und kein Soldat bewacht seine Freiheit am Ufer des Rheins. Liechtensteiner Soldaten sind nämlich käuflich. Einer davon wenigstens. Denn da es seit 1864 keine Wehrmacht mehr gibt, kann man den letzten Liechtensteiner Soldaten — er ist vor ein paar Jahren gestorben — auf Postkarten kaufen. Und ein rheinisches Mädchen beim rheinischen Wein kann man auch in Liechtenstein besingen. In der Hauptstadt Vaduz — ich war darüber sehr va- duzt — wächst nämlich ein köstlicher Tropfen. So hat der Rhein schon in seiner Jugend etwas Verbindliches und etwas Verbindendes. Bevor er sich in den lieblichen Bodensee stürzt, um einmal tüchtig zu baden, bildet er die Grenze zwischen Oesterreich und der Schweiz und betritt sauber gewaschen als kräftiger Jüngling deutschen Boden, nicht ohne von Zeit zu Zeit immer wieder einmal in die Schweiz zu verschwinden. Er ist sehr lieblich und sehr friedlich in dieser Gegend. Waldshut und Säckingen — „Behüt dich Gott, es wär so schön gewesen“, trompetet es da — spiegeln sich in seinem grünen Wasser, und bei der schönen Stadt Basel sagt er der Schweiz Adieu, um sich an das süße Frankreich anzulehnen.

Aber auch als Grenzfluß zwischen Deutschland und Frankreich- hat er eher etwas Verbindendes als etwas Trennendes. Er wirkt wie ein Spiegel zwischen Baden und dem Elsaß, die seitenverkehrt dasselbe landschaftliche Gesicht zeigen. Da sind schöne alte Städte wie Freiburg und Kolmar. Da ist hier -der Schwarzwald, dort sind die Vogesen. Da wächst auf beiden Seiten ein guter Wein. Da legt man auf beiden Seiten Wert auf eine kultivierte Küche.

Selbst der Krieg wollte hier nicht recht gedeihen. Ich lag 1939 als des Stromes Hüter in einem Bunker bei Kehl, dicht neben der damals noch unzerstörten Brücke. Nachts trafen wir uns auf der Brücke mit der „feindlichen Bunkerbesatzung“ vom anderen Ufer und tauschten Zigaretten, Meinungen, Schwarzwälder Kirsch, Straßburger Gänseleber und herzlichen Händedruck. Oft kamen tagsüber Herren mit viel Gold und Silber auf den Uniformen in den Bunker, um einen Blick durchs Fernrohr ins Feindesland zu tun. Für sie hatten wir eine besondere Sensation: den „Feind im Dienst." Auf ein Rufzeichen kam nämlich aus dem jenseitigen Bunker ein freundlicher Elsässer in französischer Uniform, der einen respektablen Bart trug, und stellte sich zur Schau. (Wir machten es ebenso, wenn sie drüben hohen Besuch hatten, und keiner krümmte den Finger oder dem anderen ein Haar.) Mit einer Gänsehaut erblickte der Besuch das Weiße im Auge des Feindes und bekam für seinen Mut meist einen Orden. So trug der Rhein selbst im Kriege zur gefahrlosen Dekoration von Männerbrüsten bei, wie es heute beim Kölner Karneval noch üblich ist.

Bei Karlsruhe wird er dann endgültig deutsch, wenn auch noch nicht hochromantisch. Er streichelt die Pfalz, wird von Weinbergen und von Sagen umwoben ünd streicht am Winzerort Nackenheim vorbei, wo Carl Zuckmayer geboren ist, der zu den gescheitesten Weinkennern und charmantesten Zechern gehört, die ich kenne.

Kurz hinter Mainz kommt der Rhein in seine besten Jahre. Da windet und schlängelt er sich durch grauen Schiefer, da sind seine Ufer mit Weinbergen behängt, und auf den Bergen stehen Ruinen, und in den Ruinen singen Gesangvereine, und am Fluß gedeihen freundliche Dörfer und Städtchen, und darin gedeiht der Fremdenverkehr. Der Fluß trägt auf seinem breiten Rücken lange Schleppzüge mit bunten Wimpeln. Er ist von zwei Eisenbahnlinien eingerahmt, und die Tunnels sehen wie Burgen aus, die Kaiser Wilhelm persönlich entworfen hat. Dem Fluß sind aber auch zwei Straßen als Adjutanten beigegeben,' ünd wer den Rhein befah?įh'wili(,';‘dbr bräncfit Tifer allė fünf Slnnd?'Das Aage, üm däfl" sanften Schwung des Flusses in Grün und Schiefergrau zu sehen; das Ohr, um der Melodie des Flusses zu lauschen und die fröhlichen Lieder zu hören, zu denen der Wein anregt; die Nase, um den Duft des grün-goldenen Rieslings zu genießen, und die Zunge dazu und den Gaumen, den ein Rheinsalm oder Rheinhecht als Zugabe zum Wein in die munterste Laune versetzt. Und das Gefühl natürlich, jenes zärtliche Gefühl in den Fingerspitzen, das uns beglückt, wenn wir den kühlen, bauchigen Römer umfassen oder über die warme Wölbung eines Mädchenarmes streichen, den die Sonne braungebrannt hat. Das ist der Rhein zwischen Mainz und Bonn, der Buchprüfer in Gesang und Justizräte in Verse ausbrechen läßt.

Dann läutert sich der Strom. Er wird breiter und behäbiger. Er streichelt mit seinem linken Ufer das heilige und das heitere Köln, geht noch ein wenig in die Breite, wie es Herren, die das Leben genießen, um die Fünfzig herum zu tun pflegen, liebkost mit seinem rechten Ufer das moderne und mondäne Düsseldorf und wird zum Niederrhein, der es nicht mehr eilig hat und dessen Schönheit versteckter, hintergründiger, aber nicht weniger lockend ist ąls die des Mittelrheins. An seinem Ufer trinkt man jetzt scharfe Schnäpse, der Strom hat einen breiten Buckel bekommen, den nur noch wenige Brücken überspringen können, und wenn er schließlich kurz hinter Emmerich Deutschland verläßt, um in Holland seine letzten paar hundert Kilometer zu verbringen, ist er ein alter Herr geworden. Er ist hochfahrend, und man muß das Land zu seinen Seiten durch mächtige Dämme schützen, damit er es nicht überflutet. Dann weiß er nicht mehr recht, was er will. Er wird schizophren. Er spaltet sich unter seiner eigenen Fülle. Er geht auseinander, verliert seine Fasson und sogar seinen Namen und wallfahrtet alt und krumm in vielen Betten und unter vielen Namen, wie Waal, Lek, Maas, Alter Rhein und Krummer Rhein, der Nordsee zu.

Es gibt kaum einen Fluß, der so viele Gesichter hat wie der Rhein, der in seinen Lebensaltern so verschieden ist und von dem man sich soviel falsche Bilder macht. Er ist ein liebenswürdiger Begleiter für uns Reisende, der nie langweilig zu werden sich Mühe gibt. Er ist ein weitgereister Herr, und es ist schade, daß ihm ein Ruf wie Donnerhall anhaftet. Denn er ist ein europäischer, ein wirklich verbindlicher Fluß.

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