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Naive Ergriffenheit durch die Heilsgeschichte

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Ein in den Alpenländern einzigartiger Brauch wird in Kärnten während der Fastenzeit in besonderer Weise gepflegt: Seit Ende des Mittelalters ist es in vielen Kirchen Brauch, am Aschermittwoch ein großes Bildertuch im Chorraum vor dem Hochaltar hochzuziehen, das bis zum Mittwoch in der Karwoche dort verbleibt. Mehr als die Hälfte der österreichweit 42 erhaltenen Fastentücher befindet sich in Kärnten.

Fasten- oder Hungertücher finden um das Jahr 1000 das erste Mal Verwendung, vor allem im alpenländi-schen Raum, aber auch in Spanien und England. Die Blütezeit des Fastentuchs waren das 15. und der Anfang des 17. Jahrhunderts. Aber auch im 19. und 20. Jahrhundert wurden Fastentücher geschaffen, nur war ihre Bedeutung zu dieser Zeit eher gering. Fastentücher sollten in der 40tägigen Fastenzeit ursprünglich den ganzen Altarraum verdecken, ab dem 17. Jahrhundert beschränkte man sich auf die Verdeckung des Altars. Bei den Motiven der Fastentücher waren bis in die Mitte des 15. Jahrhunderts Szenen aus dem Alten und Neuen Testament gleichwertig dargestellt, erst später gewannen die Motive des Neuen Testaments, vor Darstellungen der Passion, immer mehr an Bedeutung. Damit wollte man den Gläubigen, die nicht lesen und schreiben konnten, die Geschichte vom Leiden Christi vermitteln.

Zur Zeit der Reformation wurden viele gotische Fastentücher zerstört oder einfach auf den Dachboden geworfen. Einige wenige Fastentücher blieben trotzdem erhalten, vor allem in Kärnten und Tirol. So befinden sich 23 der 41 Österreich weit erhaltenen Fastentücher in Kärnten. Doch erst in diesem Jahrhundert wurde die künstlerische und religiöse Bedeutung dieser Dokumente entsprechend gewürdigt. In Kärnten sind von den erhaltenen Tüchern noch 13 in Verwendung.

Das größte und älteste erhaltene Fastentuch Österreichs und des süddeutschen Sprachraums hängt in Gurk. Es wurde um 1458 fertiggestellt, 99 szenische Darstellungen sind auf fast 90 Quadratmeter Leinentuch gemalt. Auf zwei vertikal voneinander getrennten Teilen stellen sie in einer Folge von Rechteckfeldern alttestamentarische und neutestamentarische Szenen in einer Auswahl nach dem „Heilsspiegel" und der „Biblia Pauperum" dar. Bedeutendes kirchenpolitisches Ereigniss war die Bestellung dieses kostbaren, aber noch völlig in der Tradition des späten 14. Jahrhunderts stehenden Fastentuches bei Conrad von Friesach, dem ausführenden Künstler. Eine Besonderheit ist die Einbeziehung außerbiblischer Gestalten, wie etwa Alexander der Große, Caesar und Augustus. Darüber hinaus zeigen Bilder auch das legendenhafte Martyrium der Propheten Jesaja, Jeremia und Ezechiel. Alle Darstellungen sind aber hingeordnet auf Jesus. „Bemerkenswert ist die Tatsache, daß beim Gurker Fastentuch alt- und neutestamentliche Szenen einander gleichgewichtig und in gleicher Anzahl gegenübergesetzt sind", beschreibt Eduard Mahlknecht, Diözesankonservator der Diözese Gurk, die Besonderheit dieses Tuches.

Für Bruder Franz Kickmaier vom Salvatorianerkolleg in Gurk ist das Fastentuch „ein mächtiger Verweis auf die Heilsgeschichte". Die Bedeutung des Tuches gehe weit über die Pfarre hinaus. Nicht nur Kunstliebhaber, sondern auch Menschen, die in Richtung Ostern unterwegs sind, lassen sich durch die Bilder berühren", beschreibt Bruder Kickmaier die Faszination des Fastentuches. Das mit zirka 48 Quadratmetern zweitgrößte Fastentuch Kärntens befindet sich in Millstatt. Jedes der 41 Felder erzählt in sich steigernder Motivhäufung die biblischen Szenen, wobei die bühnen-hafte Inszenierung mit kühnen, wenn auch zeichnerisch nicht bewältigten Raumfluchten, die bereits dem italienischen Manierismus entnommen zu sein scheinen, sowie die effektvolle Wiedergabe von Garderoben im Vordergrund stehen. Reizvoll ist die bunte und naive Bewegtheit des Geschehens. „Offensichtlich war der Künstler Os-walt Kräusel, der auch für die Deckendekoration des Gurker Domes verantwortlich zeichnet, in seinem Bemühen, sein aus italienischen und süddeutschen Vorlagen angelerntes Wissen eifrig wiederzugeben, überfordert", glaubt Mahlknecht. Unfreiwillige Komik sei manchmal die Folge, „düster dramatische Farbigkeit, auch naive Ergriffenheit vermögen aber trotzdem neben der ungeheuren Größe zu beeindrucken". Bedeutend kleiner (3,9 mal 3,6 Meter), aber nicht weniger kostbar, ist das Fastentuch aus Hainburg. Es stammt aus dem Jahr 1504, der Zeit der Bauernkriege; der nach niederländischem Vorbild gestalteten Landschaft kommt eine bedeutende Rolle zu. Die Szenenanzahl ist auf 36 reduziert, der neutestamentliche Anteil gewinnt das Übergewicht. Diözesankon-servator Mahlknecht ist beeindruckt von der „meisterhaften Gesamtregie wie einheitlichen Horizontlinie, allmählich sich steigernder Figurendramatik, wobei immer noch das meditativ stimmungshafte Element ausschlaggebend bleibt".

Deutliche Beeinflussung durch Stichvorlagen aus dem künstlerischen Bereich nördlich der Alpen, wie zum Beispiel durch die Passionszyklen von Dürer oder Cranach, verrät das Fastentuch aus Reichenfels um 1520, das sich in der Pfarrkirche von Bad St. Leonhard befindet. Die einzelnen Szenen sind im erzählerischen Nebeneinander aufgereiht, die alttestamentarischen auf die Anzahl sieben reduziert sind, die neutestamentliche Heilsgeschichte dominiert.

Von großer künstlerischer Bedeutung ist wiederum das Fastentuch aus Steuerberg. Dort war, so Mahlknecht, ein souverän agierender Künstler am Werk, der mit der Farbensymbolik des Mittelalters ebenso vertraut war wie mit den neuen perspektivischen Errungenschaften der italienischen Renaissance. Ausgewogene Bildkomposition, effektvoller Einsatz von Farben, Einklang von Form und Ausdruck kennzeichnen dieses beeindruckende Kunstwerk, das nur in der Fastenzeit sich an seinem angestammten Ort befindet. Für den Rest des Jahres kann es im Diözesanmuseum Klagenfurt bewundert werden.

Von seinem Ausmaß her ist das Festentuch von Baidramsdorf mit seineji zirka 29 Quadratmetern und 40 Szenen zu den größten Fastentücherh Kärntens zu zählen. Eine erzählfreudige naiv bunte Darstellung, die großen Gefallen an der Schilderung der Garderoben und des bühnenhaft inszenierten Hintergrundes findet, ist für Mahlknecht die Besonderheit dieses Tuches. Unkorrektheiten und Feh -ler in der Zeichnung der überwiegen! 1 derb robusten Figuren verstärken den naiv volkstümlichen Charakter diese s Tuches, dessen Entstehungszeit um 1555 bereits weit in die Neuzeit hineinreicht, in der das ursprünglich; Verständnis der Biblia Pauperum allmählich verlorenzugehen schien.

Eine letztmalige Hochleistung innerhalb des noch in der Tradition de > Mittelalters stehenden Feldertypui stellt das Fastentuch von Maria Bichl dar. Seine bisherige zeitliche Einordnung in die zweite Hälfte des 16. Jahr hunderts muß nach Ansicht Mahl knechts möglicherweise 'vorverleg; werden. Renaissanceelemente treten in diesem Fästentuch noch deutliche: &#9632; zutage. Dies gilt für die architektoni sehen Hintergründe ebenso wie für di< i Wiedergabe der Figuren, die vertika le Abtrennung der Szenen durch Säui len, aber auch für den verstärkten Ein satz kühler und neutraler Farbtönun gen.

Der Autor ist

Pressereferent der Diözese Gurk-Rla-genfurt

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