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Phantastisches Unbekanntes

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Daß der Glaube auch von der Phantasie gespeist sein will, beweisen die vielen Wandfresken, Skulp-■ turen, Flügelaltäre und Bilder in unseren Kirchen. Auf Bilderzyklen, der Biblia pauperum, findet man dort die ganze Heilslehre veranschaulicht. Dem gleichen Zwecke dienten auch die Kult- und Mysterienspiele des Mittelalters. Aus der Verschmelzung beider entstand eine neue Form, gewissermaßen ein unbelebtes Theater, die Krippe. Manche wollen in der Weihnachtsfeier des heiligen Franz von Assisi, von ihm inmitten von Tieren in einem Stall bei Greccio veranstaltet, die Geburtsstunde der Krippe erkennen.

Die vollplastische, dreidimensionale Krippe, die sich zuerst nur auf das Weihnachtsgeschehen beschränkte, war eine überaus glückliche und zündende Idee, die sich von großer Beständigkeit erwies, wenn auch ihre Entfaltung zunächst durch Humanismus und Reformation gewaltig gebremst wurde. Dafür bedienten sich ihrer, in der Zeit der Gegenreformation, um so eifriger einige geistliche Orden, vor allem Franziskaner und Jesuiten, die gerade in der Krippe das höchst wirksame katholischreligiöse Erziehungsmittel sahen, mit dessen Hilfe es ihnen gelang, die biblischen Geschehnisse bis in die Wohnstuben des Volkes zu tragen.

Was schon seit dem 14. Jahrhundert, vorerst aber nur in Form von Gebildbroten und Kultgebäck

existierte, wurde in der Barockzeit mittels kunstvoll ausgeführter Model, die unzählige Szenen aus der Bibel und dem Leben der Heiligen darstellten, künstlerisch vielfältig gesteigert. Auch von den inzwischen erweiterten Kirchenspielen, pompösen Prozessionen, phantasiereichen Umzügen und dramatischen Passionsspielen profitierte die Krippenkunst, die daraus viele neue Anregungen bezog und sich so zur höchsten Blüte entwickeln konnte. Von begnadeten Volkstaltenten, aber auch von berühmten Künstlern immer wieder neu gestaltet, erfreute sich die Krippe seither (trotz zeitweiliger Verbote im 18. und 19. Jahrhundert, was das Aufstellen von Krippen in Kirchen anlangte) größter Beliebtheit.

Der Mensch von heute versteht unter „Krippe“ für gewöhnlich nur die szenische Darstellung der Geburt Christi, der Anbetung der Hirten und Huldigung der Könige — die Weihnachtskrippe also. Daß die Krippengestalter des 17. und 18. Jahrhunderts die gesamte Heilsgeschichte von der Verkündigung bis zur Geburt, zur Anbetung, Beschneidung, Flucht nach Ägypten, zur Auffindung des Zwölfjährigen im Tempel, zur Hochzeit von Kana, aber auch bis zu den Leidensszenen, zur Kreuzigung, Auferstehung, Himmelfahrt, zur Aussendung des Heiligen Geistes, ja bis zum Jüngsten Gericht, in eindrucksvollen szenischen

Darstellungen aus Holz, Ton, Wachs oder Papier geformt und behandelt haben, oder daß sie sich oft nur einem einzigen dieser Themen zuwandten, ist heute viel zu wenig bekannt. In manchen Perioden, wie beispielsweise nach glücklich über-standener großer Not, Pest oder Krieg, wandten sich die Krippenbauer ausschließlich dem Passionsthema zu und gestalteten grandiose Fastenkrippen, oder sie bauten in die bereits bestehenden Wechselkrippen die Leidensszenen ein.

Noch heute werden während der Fastenzeit in manchen Kirchen unserer Alpenorte auf einem Seitenaltar diese alten Fastenkrippen aufgestellt. Wie schon erwähnt, stammen sie allesamt aus der Zeit des Barock und des Rokoko, aus der Zeit also, aus der auch die „heiligen Gräber“ unserer heimischen Gotteshäuser ebenso wie die meisten „Kalvarien-berge“ und Kreuzigungsgruppen stammen.

Die Fastenkrippe sieht in ihrem Aufbau der Weihnachtskrippe sehr ähnlich. Einzelszenen, welche die Passion Christi darstellen, sind in eine weiträumig angelegte Landschaft und in malerische Architekturkulissen gestellt, und von zahlreichen Figuren bevölkert. Die Fasten-krippe sollte den Beschauer zur entsagungsvollen Einkehr und zur Teilnahme am Leiden Christi ermahnen. Ihre Verbreitung beschränkt sich nicht nur auf Österreich, sie fand auch Eingang in die Kirchen unserer Nachbarländer Bayern und Böhmen.

Die prunkvollsten Fastkrippen, die wir kennen, stammen aus Tirol. Die berühmten Krippen-Dörfer Tirols, Zirl, Thaur und Inzing, besitzen auch die schönsten Fastenkrippen. Die meisten dieser Fastenkrippen bestehen aus holzgeschnitzten und bemalten, also aus vollplastischen Figuren. Es gibt aber auch Krippenfiguren, die auf Karton gemalt und dann ausgeschnitten, in die Kulissenlandschaft gestellt wurden. Des weiteren gibt es Fastenkrippen, auch in Kastenform, bei denen beide Arten von Figuren, plastische und flache, vorkommen. Freilich fehlte es auch nicht an „mechanischen“ Fastenkrippen, die jedoch heute schon äußerst rar sind. Eine davon wird noch alljährlich während der Karwoche in der Philippsbergkapelle bei Schwanenstadt in Oberösterreich aufgestellt. Die Figuren dieser aus dem Jahre 1712 stammenden Krippe werden noch immer von dem gleichen alten, primitiven Uhrwerk in Bewegung gesetzt, wie ehedem.

Die Kirche von Deutsch-Altenburg in Niederösterreich besitzt eine aus Wachs modellierte Fastenkrippe aus dem Hochbarock. Die Krippe von Pfaffstetten in Oberösterreich weisl unter ihren 14 Wechselgruppen auch Passionsszenen auf. Die Krippe dei kleinen Michaelskirche in Salzburg erst zwischen 1933 und 1946 geschaffen, zeigt heilsgeschichtliche Szener vom ersten Adventsonntag bis zurr Weißen Sonntag.

Eine riesige Fastenkrippe kanr man zur Fastenzeit in Götzens be Innsbruck bewundern. Sie nimm' eine Fläche von mehreren Quadratmetern ein, zeigt sämtliche Szener der Passion von der Gefangennahme Christi bis zur Grablegung, unc zeichnet sich durch besonderer Reichtum der Figuren und Architekturformen aus; sämtliche Figurer und Architekturteile sind hier au: Karton gemalt, ausgeschnitten unc kunstvoll in eine grandiose Krippenlandschaft gestellt worden.

Die Fastenkrippe war, ist unc bleibt ein beredter Beweis für di< Glaubensinnigkeit und hohe Kunstfreudigkeit unserer Vorfahren unc sie zählt zu den schönsten Raritäter unserer alpenländischen religiöser Kunst, deren Ideen- und Phantasiereichtum immer von neuem überrascht und beglückt.

Es ist zu hoffen, daß die noch ir Gebrauch stehenden Fastenkripper weiterhin in unseren Kirchen verbleiben, dort also, wo sie hingehören wo sie schon immer gestanden sind damit sie noch lange demselber Zweck dienen können, für den sie ersonnen und geschaffen wurden.

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