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Madonna in der bildenden Kunst

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Das Kunsthistorische Museum hat sich anläßlich des Marianischen Jahres mit der Sonderausstellung „M aria — die Darstellung der Madonna in der bildenden Kunst" einer wichtigen und dankbaren Aufgabe unterzogen: Zu zeigen, Wie sich das Bild der Gottesmutter in den Epochen der abendländischen Kunst entwickelt und verändert hat. Beim Gang durch die vier Säle, welche die in doppeltem Sinn historische Schau beherbergen (denn sie vereinigt Werke öffentlicher, kirchlicher und privater Leihgeber, die man in dieser Zusammenstellung nicht mehr sehen wird), begegnet man also weniger den bekannten Meisterwerken als hauptsächlich den Formen der Madonnendarstel- iung der verschiedenen Zeiten. Die Entwicklung und das Typische wird in dieser von Dr. Aure rife a m m e r mit Sachkenntnis zusammengestellteri Ausstellung gezeigt, der Weg, nicht seine Höhepunkte.

Ausgangspunkt dieses Weges ist die byzantinische Madonnendarstellung, die freilich nur an einigen Müazbildern, Elfenbeinreiiefs und Handschriften gezeigt werden konnte, und ihr Nachleben in griechischen und russischen Ikonen, Die rein geistige Schönheit dieser Madonnen zwingt den Beschauer zur Andacht, nie haben die klösterlichen Maler der frühen Zeit die heilige Scheu und die von ihr diktierte Distanz verloren. Rainer Maria Rilke drückt das in wenigen Zeilen des „Stundenbuches" vollendet aus:

„Wir durften dich nicht eigenmächtig malen, du Dämmernde, aus der der Morgen stieg. Wir holen aus den alten Farbenschalen die gleichen Striche und die gleichen Strahlen, mit denen dich der Heilige verschwieg.

Wir bauen Bilder vor dir auf wie Wände, so daß schon tausend Mauern um dich stehn. Denn dich verhüllen unsre frommen Hände, sooft dich unsre Augen offen sehn . .."

Im hohen und späten Mittelalter gesellen sich zu den Madonnenformen der byzantinischen Kunst, der „Siegesbringerin" der Standarten etwa, neue Formen, zuin Beispiel die „Schutzmantelmadonna" oder die Madonna auf der Mondsichel und die vielfältigen zoologischen und botanischen Symbole und sonstigen Bezüge, die etwa den Albrechts- Altar von Klosterneuburg beherrschen. Die romanischen Emailmalereien dieses Altars werden durch eine Kopie repräsentiert, zwei Originaltafeln von der gotischen Rückseite sind als Flügelaltar aufgestellt. Mit der Krumauer Madonna, der Pieta von Großlobming und anderen Werken ist auch die mittelalterliche Plastik hervorragend vertreten.

Von nun an wird das Madonnenbild lebendiger, jedoch ini spezifisch weltlichen Sinn. Cum gräno salis kann man die Entwicklung der Madonnendarstellung als einen Verweltlichungs- und Veräußerlichungsprozeß sehen. Die Frührenaissance (für die in dieser Ausstellung Werke von Tizian, Donatello und anderen stehen) schafft keine neuen Madonnentypčn, sondern übernimmt und variiert die überkommenen. Der Maler errichtet keine Wände mehr, denn Malen ist für ihn nicht mehr eine andere Form des Betens, sondern er bemüht sich, auch die letzten Schleier fortzuziehen. Die „Dämmernde, aus der der Morgen stieg", wird zur irdischen Jungfrau, die Madonna gravidans der byzantinischen Zeit, die das Kind in der Mandorla auf der'Brust trägt, zur irdischen, tragenden Frau.' Die alten Striche und die alten Strahlen geraten in Vergessenheit, und schließlich steht dem Maler ein irdisches Modell für die Himmlische. Der Verweltlichungsprozeß ist abgeschlossen. Ursprünglich war die Malerei eine Form religiöser Verehrung, nun ist die Gottesmutter für den Maler ein Thema unter vielen.

Ueber ihre ikonologische Spezialaufgabe hinaus führt diese Ausstellung also die Zusammenhänge zwischen der Kunst und der religiösen Vorstellung des Abendlandes und die Parallelität der Entwicklung vor Augen. Sie endet mit den blutleeren Madonnen des vorigen Jahrhunderts und mit ausgewähiten Beispielen für die Mariendar- stellung der Gegenwart. Die Radierungen von Rouault, die kleine Plastik von Henry Moore, .das Altarbild von Boeckl (das den Anschein erweckt, als flüchte der Künstler aus seinen formalen Schwierigkeiten ins monumentale Format) sind interessante Lösungen, die man noch schwer in den großen Zusammenhang der Madonnenikono- logie einordnen kann.

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