6577988-1951_01_15.jpg
Digital In Arbeit

Das Ende des Heidentums in Gallien

19451960198020002020

La fln du paganisme en Gaule et les plus anciennes basillques chretiennes.“ Von Emile Male. Flamarion. Paris. 327 Seiten

19451960198020002020

La fln du paganisme en Gaule et les plus anciennes basillques chretiennes.“ Von Emile Male. Flamarion. Paris. 327 Seiten

Werbung
Werbung
Werbung

Man muß über die physische und geistige Vitalität eines Historikers staunen, der mit 88 Jahren ein Buch herausgibt, dessen Vorbereitung und Redaktion ihn vom 80. bis zum 86. Lebensjahr beschäftigten, und schon diese bloße Tatsache sichert Emile Male Werk unsere Bewunderung. Mit diesem Buch ist eine langjährige Forschung über die geistige Entwicklung der christlichen Kunst de Westens, und vor allem Frankreichs, fast lückenlos abgeschlossen. — Vielleicht hat dieses Zögern einen bestimmten Grund: bekanntlich betrachtet Emile Male die westchristliche Kunst, „wo die Theologie die romanischen und gotischen Statuen, Relief und Glasfenster sorgfältig berechnend ordnete“, wo der Theologe dem Künstler sein Programm bis ins kleinste Detail vorschrieb, als „den sichtbar gewordenen Gedanken der Kirche“: das Ende des Römerreiches und die Herrschaft der Merowinger zeigen nichts von solch einem einheitlichen Gedanken. Der Glaube ist stark, das Wissen aber verkümmert; Bischöfe, Äbte und Könige entfalten zwar eine große Bautätigkeit, beschränken sich aber auf den Auftrag und lassen der individuellen Phantasie oder den Handwerkstraditionen freien Raum in der Durchführung.

Doch ist es Emile Male gelungen, in diesem lückenhaft erhaltenen Chaos einige Kraftlinien zu erkennen, die sich zu einem geistigen Bild jener verworrenen Zeit ordnen, die der Ansatz zur Entwicklung eines noch heute wichtigen Teiles unserer Kultur wurde.

Er zeigt zuerst, wie schnell die bisher verfolgten Christen zu Verfolgern wurden. Der Katholik Emile Male verschweigt diese Taten nicht, zeigt aber, wie diese Vernichtungspolitik bald einer verständnisvolleren wich, die die heidnischen Heiligtümer sozusagen zu taufen versucht: die Merkur gewidmeten Hügel wurden nach dem Erzengel Michael unbenannt (vergleiche das Dorf Saint-Michel-Mont-Mercure), an heiligen Quellen wurden christliche Kapellen errichtet, an heiligen Bäumen Andachtsbilder befestigt, um den Kult von den alten Göttern zum neuen unmerklich hinüberzulenken.

Dieser Sieg des Christentums machte die Entstehung einer christlichen Kunst zugleich möglich und notwendig. Wie ist aber diese Kunst entstanden? Hier beginnt der originellste Teil des Buches.

Das romanische Gallien besaß nämlich keine selbständige Kunst: urkeltische Motive hatten sich zwar in' der Ornamentik erhalten, hauptsächlich aber zehrten die gallischen Ateliers von den Traditionen und Arbeitsweisen des späten Hellenismus und der römischen Welt. Nach dem Ende des Heidentum arbeiteten sie eine Zeitlang weiter, aber nunmehr für die Kirche, wobei sie zwar den Auftraggeber, nicht aber die Themen wechselten; nur wurden diese Themen christlich umgedeutet: die christlichen Särge um Arles trugen zum Beispiel das Orpheusmotiv, das zum Symbol der frommen Seele über die Versuchungen wurde: in dieser Unterschiebung eines neuen Sinnes in eine schabionisierte Form liegen schon die bescheidenen Anfänge der hohen Symbolik des Mittelalters. Die keltischen Motive des Sonnenrades und seiner Abkürzungen (Swastika und S-Zeichen) wurden dekorativ weiter verwendet, und einige Jahrhunderte später zählen sie noch zu den Lieblingsmotiven der romanischen Ornamentik. — Mehr konnten die einheimischen Kunsttraditionen nicht bieten. Woher sollte denn der notwendige Impuls kommen?

Emile Mlle beweist unwiderlegbar, daß er nicht aus Rom kam, welche Antwort aus geographischen Gründen naheliegen könnte, sondern au dem Orient; die ersten christlichen Gemeinden Galliens waren von Griechen und Orientalen gegründet worden und bestanden größtenteils aus Griechen und Orientalen, die in allen größeren Handelsstädten eine wichtige, geschlossene Bevölkerungsgruppe bildeten. Später, schon nahe am Ende der Verfolgungen, haben die Wallfahrtsreisen nach Palästina eingesetzt, und zwar über Ägypten. Sogar die Germanen der Völkerwanderung wirkten als Vermittler, denn ihre berühmte Goldschmiedekunst war keine selbständige Schöpfung, sondern, direkt oder indirekt, eine Nachahmung der Kunst des Sassanidenreiches.

Daher kann Emile Male bei Jedem Kunstwerk dieser Zeit auf den Orient hinweisen, wobei er betont, daß der orientalische Einfluß manchmal Gallien früher als Italien erreichte. Die Form der ersten Kirchtürme rührt vom alexandrinfschen Pharos, die Doppeltürme von den kleinasiatischen Kirchen her; vor allem sind dem Orient das Gewölbe und die Kuppel zu verdanken, die über die kleinasiatischen Kirchen auf Altpersien und Assyrien zurückgehen; die christliche Basilika Ist eine Fortsetzung nicht nur der römischen Basilika, sondern auch der Initationsräume der orientalischen Kulte, und so entsteht die christliche Architektur aus der Kombination der antiken Säule mit dem orientalischen Gewölbe und dem ebenfalls orientalischen Turm oder Kuppelturm.

Auch vom Orient kamen die palästinischen Mosaiken mit dem bärtigen, die alexandrini-schen Elfenbeinstatuetten und Pyxiden mit dem bartlosen Christus (der sich noch in den Anfängen der romanischen Skulptur erhalten hat), die persischen Prunkstoffe, die, auch nach dem Ml des Sassanidenreiches tn

Byzara imitiert, den romanischen Steinmetzen viele ihrer Motive liefern sollten, die jüdischen Gebeineschreine mit dem Muster des Davidsterns, die das Modell zu den christlichen Reliquienschreinen wurden, die persischen Techniken des Emails. Vom Orient kam der für die Entwicklung der christlichen Kunst bestimmte Marienkult, das auf hebräische Vorbilder zurückgehende Totengebet, das die Thematik der Sarkophagenskulptur schließlich erneuerte, worin Emile Male den Ansata zur systematischen Bestimmung der künstlerischen Themen durch den kollektiven Gedanken der Kirche erblickt. Daß diese neuen orientalischen Themen in dem von Griechenland überlieferten Stil behandelt wurden, zeugt für die Kraft des Hellenismus, der in der Zeit seiner Dekadenz noch imstande war, an beiden Enden der Welt die ersten Werke der christlichen sowie der buddhistischen Kunst zu erschaffen und zwei jungen Religionen die Elemente ihrer Formenwelt zu vererben. Diese Ideen sind nicht alle neu, und Emile Male verschweigt nicht, was er seinen Fachkollegen schuldig ist; er ist aber wohl der erste, der sie zu ejper so umfangreichen übersichtlichen Synthese versammelt, der in den spärlichen Resten einer chaotischen, verrohenden Zeit auf die noch unscheinbaren Keime des großartigen Aufblühens der mitte! alterlichen Kunst so überzeugend hinweist Dabei, indem er die religiöse und künstlerische Kultur des christlichen Westens fast gänzlich vom Osten ableitet, mag er dem Laienpublikum wohl einige vorgefaßte Meinungen rauben: dies ist aber gerade der beste Dienst, den wir vom Historiker erwarten können.

Tedeum. Ein Roman um Anton Bruckner. Von Robert Hohlbaum. Pilger-Verlag, Speyer 1950. DM 6.50, 388 Seiten.

Der Musikerroman ist eines der schwierigsten Kapitel der Literatur. Wie kaum anderswo reiben sich hier Beschreibung und Deutung, Forschung und Dichtung. Im Falle Bruckner kommt dazu, daß Werk und Persönlichkeit des „größten Symphonikers seit Beethoven“ zeitlebens Streitpunkt einer uns heute kaum mehr faßbaren sachlichen und unsachlichen Gegnerschaft gewesen ist, was durch eine unbestechliche Wissenschaft, niemals aber so ganz durch eine künstlerische — also wieder befangene — Schau zu klären ist. Auch Hohlbaums Bemühen um die richtige Einschätzung der Anhänger und Gegner ist hier nur von Teilerfolgen begleitet. Manche Gestalten sind sarkastisch überprägt, in der Gruppierung spürt man deutlich gewisse Befangenheiten; Ferdinand Löwe beispielsweise, Schüler, Anhänger und glühender Propagandist Bruckners, ist vielleicht nicht ganz absichtslos vergessen worden ... Anerkannt sei das liebevoll der Wahrheit nachgezeichnete und mit reizvollen persönlichen Zügen ausgeschmückte menschliche Porträt Bruckners, aus dem besonders die rührende Mischung von höchstem Empfinden und den unbeholfenen, durch hochgeschraubte Redewendungen nicht verdeckten, sondern noch unterstrichenen Umgangsformen des Stadtbauern haftenbleibt. Der dichterische Höhe punkt des Romans, die Begegnung der Antipoden Brahms-Bruckner nähert sich Werfeis erschütternd großer Schau der Ideen- und Formen-Antithese Verdi-Wagner. Dagegen-weht uns aus Hohlbaums Einsicht in Bruckners religiöses Erlebnis trotz des versprechenden Titels des Romans eine unverkennbare Fremde und Kühle an, eine Art literarisch-äthetischer Mystizismus, der sich angesichts eines so schlicht und unkompliziert frommen Mannes wie Bruckner wohl sehr weit von der Wahrheit entfernt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung