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Rouault in Innsbruck

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Wenn der französische Maler Rouault die Erlaubnis gibt, eine Ausstellung seiner Werke zu veranstalten, so ist das ein großes künstlerisches Ereignis, und die Innsbrucker dürfen sich glücklich schätzen, daß sie für einige Wochen zwölf Proben seiner Kunst in einer kleinen, aber erlesenen Schau bei sich beherbergen dürfen. Sie verdanken diese seltene Gunst der persönlichen Freundschaft, die Rouault mit dem Leiter des französischen Kulturinstituts in Innsbruck, Prof. B e s s e t, verbindet. Dieser hat die ausgestellten Werke selbst in Paris geholt, sie stehen unter seiner besonderen Obhut und werden nicht in anderen Städten gezeigt.

Rouault ist heute der Senior und mit Recht das unbestrittene Haupt der heutigen französischen Malergeneration. Was sein Schaffen so groß und beispielhaft macht, ist die Tiefe der Gedanken, denen der Künstler eine gültige Form verleiht. Rouault ist der bedauerlichen geistigen Entleerung der modernen Kunst nicht verfallen, im Gegenteil; er hat viel nachgedacht über die großen menschlichen, allein entscheidenden Fragen von Werden und Vergehen, von Liebe und Tod, von göttlicher Gnade und Erlösung, von dumpfer Verzweiflung und alles überstrahlender Jenseitshoffnung, und er hat die gültige Antwort auf alles Fragen in einer tiefen Gläubigkeit gefunden.

Religiöse Themen sind auch in der Innsbrucker Ausstellung, die Werke aus der Schaffensperiode von 1940 bis 1952 aufweist, am stärksten. Rouault gestaltet große Inhalte in einer knappen Form starker Umrißlinien und in einer fast mystischen Farbgebung, die in seinen späteren Werken immer tiefer und glühender wird. Man spürt, daß der Künstler der Glasmalerei sehr nahe steht und auch selbst viel mit der Restaurierung mittelalterlicher Glasfenster zu tun hatte. An Glasmalerei erinnert das Ecce-Homo-Bild, wo nur der Kopf Christi in ausdrucksstarken, an das Bleilot bei Glasfenstern gemahnenden Konturen uns von Qüal, Ergebung und Ueberwin-dung der Gottheit kündet. Bei den Gemälden „Lasset die Kindlein zu mir kommen“ und „Flucht nach Aegypten“ spricht die Landschaft mit dem unwirklichen, jenseitigen Lichtstreifen über dem Horizont und der herrlichen Erscheinung des Sonnenballs ganz bedeutsam mit. Die knappe, verhaltene Art der Gebärden und Bewegungen, die an keinen Geringeren als an Rembrandt denken läßt, kommt auch dem Bild „Christliche Intimität“ (Christus bei Maria und Martha) zugute.

Auf dem profanen Sektor sind zwei Bilder dem beliebten Thema des Pierrots gewidmet. Besonders bei dem Kopfstück eines Pierrots mit dem sehr dicken, fast reliefplastisch wirkenden Farbauftrag wird die unheimliche Maske spürbar, hinter der in Wahrheit alle Traurigkeit und Brüchigkeit des Lebens steckt. Grün, Gelb und Rot sind die immer wiederkehrenden Farben dieser magistralen Alterswerke, so auch im „Kircheninnern“, in einer Mondscheinlandschaft und in zwei Stilleben.

Das Brustbild der cumäischen Sibylle nimmt die Reihe ähnlicher Köpfe aus der Folge „Miserere“, entstanden in den Jahren 1920 bis 1927, wieder auf. Diese Blätter in schwarzweißer Mischtechnik gehören zum Eindrucksvollsten und Besten aus dem Schaffen Rouaults. Die ausgestellten 20 Blätter aus diesem Hauptwerk tragen fast alle längere, halblyrische Satztitel vom Künstler selbst. Sie zeigen den anklagenden, gesellschaftskritischen, sozialen und echt religiösen Ton Rouaults. So, wenn es etwa bei einein Brustbild heißt: „Dame der vornehmen Welt wähnt, ein Platz im Himmel sei ihr sicher“, oder bei einer erschütternden Kreuzigungsdarstellung: „Bis zum Ende der Welt wird die Agonie Christi dauern.“

Räumlich und zahlenmäßig mag die Ausstellung bescheiden anmuten — wahrhaftig groß ist sie durch das künstlerische und geistige Format der gezeigten Werke. Der wiedergewonnenen Freiheit froh, empfindet man beglückt, was ein christliches Frankreich Europa zu sagen hat.

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