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Georges Rouault

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Unter dem Donner der Geschütze wurde Rouault 1871 geboren — die Kommuneherrschaft fand gerade ihr schreckliches Ende. Sohn eines Beizers aus der Bretagne und einer Pariserin, war er zuerst Lehrling bei einem Glasmaler, bevor er in das Atelier Gustave Moreaus eintrat. Was er, wie Matisse, der auch zu dessen Schülern zählte, dort fand, war die Möglichkeit zur freien Entwicklung. Er zeichnete und malte im eklektischen Stil des Lehrers: Raffael, da Vinci und Rembrandt werden als Leitsterne sichtbar.

Dann aber wird der Einfluß der Werke Forains und Daumiers, vor allem aber eine geistige Krise, veranlaßt durch die Begegnung mit Leon Bloy, zum Wendepunkt. Aus der Sanftmut der Konvention wird ab 1903 leidenschaftlicher Protest und Anklage. Das große Thema des gefallenen Menschen und Christi als Mittel zu seiner Erlösung beginnt sich herauszubilden. Die Serien der Dirnen, Richter und Clowns entstehen. Das zerstörte Fleisch der Prostituierten wird für Rouault zu den schwärenden Wunden am Leib der Gesellschaft, das Antlitz des Richters zum Typus menschlicher Ungerechtigkeit und der Clown zum Symbol der Tragik der Existenz. Zorn und Trauer kennzeichnen diese Gouachen, deren expressive Sprengung der Form noch immer starke Reste von Räumlichkeit beibehält. Die Aggressivität verleugnet die malerischen Elemente nicht, der Reichtum der farbigen Nuancen ist in den frühen Arbeiten erstaunlich lebendig.

Aber schon zeigt sich eines: Nicht das Bild, das Kunstwerk, steht im Mittelpunkt der Gestaltung, sondern die Aussage, das Bekenntnis, das Pathos. Das leidenschaftliche, gläubige Christentum Rouaults veranlaßt ihn immer wieder, persönliches Credo im Werk zu geben, nicht objektive Darstellung der Welt. Nicht umsonst wendet er sich darum nach 1918 vorwiegend der Graphik zu. Es entstehen in langsamer, mühseliger Arbeit die Serien des „Miserere“, der „Fleurs du Mal“, der „Danse macäbre“. Meisterwerke der graphischen Techniken, kommentieren sie immer wieder voll Schmerz und Trauer die menschliche Existenz. Das einzige Licht, das in ihnen aufzustrahlen scheint, kommt aus dem leidverhangenen Antlitz Christi, das ständig auftaucht. In diesen Graphiken hat sich die Form vereinfacht, reduziert und zeichenhaft gestrafft. Auch die räumliche Dimension ist zu,* rückgenommen und reliefartig geworden. Die schweren Konturen und die Abkürzungen lassen dabei an frühmittelalterliche Glasfenster denken, an Chartres und an Bourges. Dort allerdings stehen die Figuren in einem großen Sinnzusammenhang: Die Welt ist zwar gefallen, aber heil durch Christus. Um diesen Sinn wenigstens anzudeuten, bedarf Rouault der graphischen Serie und des literarischen Kommentars. Auch so gelingt es ihm nur, einen Teilaspekt der christlichen Welt darzustellen. Notgedrungen ist diese Welt fragmentarisch, sie zeigt die Düsternis der Seele vor der Erlösung, die mystische „Nacht“. Zweifellos ' ist Rouault ein größerer Graphiker als Maler. Sein Werk bleibt eine bedeutende Leistung durch das Ethos und die schonungslose Offenheit, mit der er sich in ihm bekennend darstellt. Durch seine sub- -jektive Gestaltung gehört er; wie alle Künstler des Expressionismus, mehr dem 19. als dem 20. Jahrhundert an.

' Die Albertina in Wien gibt derzeit in einer außerordentlichen Ausstellung, die durch viele Leihgaben aus Frankreich bereichert wurde, einen einmaligen Überblick über Rouaults graphisches Werk. Der starke Eindruck dieser Gedächtnisausstellung für den 1958 verstorbenen Künstler findet sich vor allem in seinem frühen Werk bestätigt. Man sollte diese Ausstellung nicht versäumen.

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