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Reise zu den geistigen Quellen

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Eigentlich verblüffend, beinahe unglaubhaft und doch wahr, daß in Österreich nie eine Ausstellung der Bilder von Georges Rouault stattgefunden hat. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es eine von der französischen Besatzungsmacht großzügig zur Verfügung gestellte umfangreiche Schau des Salon d' Autom-ne, in der Georges Rouault gut vertreten war - und ich erinnere mich an den tiefen Eindruck, den mir diese Bilder in der von Hunger, Kälte und Ungewißheit geprägten Nachkriegszeit machten.

Die glühenden Farben, der aus Zerfahrenheit hervorbrechende harte Strich, die schwarzen Augen der Christusfiguren, die Dunkelheit eines Leidens, die den Urgrund der Bilder ausmachte: der gerade beendete Krieg schien in ihnen genau erkannt und wiedergegeben. Nicht Katastrophen drückten sich in ihnen aus, sondern eine Selbstverständlichkeit des irdischen Lebens.

Der Aufbruch in einem neuen Frieden, getragen von einer Jugend, die bisher nur Entsetzen und Angst gekannt hatte, war hier in seiner Stimmung genau getroffen - er geschah vor eben diesem Hintergrund. Die Toten waren in diesem Aufbruch einfach nicht zu vergessen, und kaum jemand wollte sie vergessen. Die Toten waren in diesem Aufbruch ins Leben mit dabei.

So waren die Bilder des leidenden Christus, die Geschichten der,.Passion”, des „Miserere” die natürlichen, für jeden verständlichen richtigen Zeichen für einen neuen und dankbaren Neubeginn inmitten von Ruinen.

Die Kraft dieses Aufbaus, das damals selbstverständliche gegenseitig Helfenwollen, die private Anspruchslosigkeit führten direkt auf Georges Rouault zu.

Ich erinnere mich genau, daß mir und einigen Freunden die grandiose Leichtigkeit von Pablo Picasso, Henri Matisse, Joan Miro bewundernswert und gleichzeitig sehr fern und beinahe leer erschien. Mit zunehmendem Komfort, mit wachsendem Wohlstand und der sebstverständlichen Sicherheit unseres Alltags begannen sich die Schere, der tiefe Ernst, das unerbittliche Memento der Kunst Georges Rouaults zu verflüchtigen. Dieser Maler hatte eine spröde, widerspenstige Hand; keine Spur von Eleganz, von Virtuosität, von sieghafter Heiterkeit war da zu entdecken.

Also wurde er unzeitgemäß, ein düsterer, strenger Monolith in der luxuriösen Epoche eines phantasievollen, erfindungsreichen Hedonismus. Melancholie, psychische Zerrissenheit, die Problematik der Langeweile, der Verzweiflung, der Ziellosigkeit waren nun angesagt - nicht aber das klare, unwiderlegbare, mitleidvolle existentielle Memento der Gemälde von Georges Rouault.

Otto Breicha im Salzburger Rupertinum hat es gewagt, die erste große Ausstellung seiner Bilder in Österreich zusammenzustellen. Sigrun Loos und Stephan Koja halfen mit, diese Schau zu einem Ereignis werden zu lassen, das uns aus der Gegenwart heraushebt, um uns diese umso deutlicher wahrhaft erkennen zu lassen.

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