6800420-1971_31_11.jpg
Digital In Arbeit

Narren und Heilige

19451960198020002020

Zu Georges Rouaults 100. Geburtstag (am 27. Mai) wurde im Pariser Musée National d’Art Moderne eine große Gedächtnisausstellung eröffnet, die als plastisches Gegenstück zu der verbalen, apotheosegleichen Huldigung der französischen katholischen Intellektuellen vor 20 Jahren verstanden werden kann. Nicht nur sind mehr als 70 der wichtigsten Werke Rouaults aus europäischen und amerikanischen Museen und Privatsammlungen vereint, sondern ebensoviel „unfertige“ Bilder aus den Magazinen des Museums, die auf Wunsch der Familie Rouault nicht im Katalog abgebildet sind. Thematisch bieten diese 72 Werke keine neuen Eindrücke, lediglich als Beispiel für Rouaults gewissenhafte Arbeitsweise sind sie aufschlußreich. Eine dritte Gruppe bilden 200 Gravüren.

19451960198020002020

Zu Georges Rouaults 100. Geburtstag (am 27. Mai) wurde im Pariser Musée National d’Art Moderne eine große Gedächtnisausstellung eröffnet, die als plastisches Gegenstück zu der verbalen, apotheosegleichen Huldigung der französischen katholischen Intellektuellen vor 20 Jahren verstanden werden kann. Nicht nur sind mehr als 70 der wichtigsten Werke Rouaults aus europäischen und amerikanischen Museen und Privatsammlungen vereint, sondern ebensoviel „unfertige“ Bilder aus den Magazinen des Museums, die auf Wunsch der Familie Rouault nicht im Katalog abgebildet sind. Thematisch bieten diese 72 Werke keine neuen Eindrücke, lediglich als Beispiel für Rouaults gewissenhafte Arbeitsweise sind sie aufschlußreich. Eine dritte Gruppe bilden 200 Gravüren.

Werbung
Werbung
Werbung

Rouaults Art, die Kupferplatte mit den verschiedensten Werkzeugen zu bearbeiten, war eigenwillig und undefinierbar. Dem besorgt-erstaunten Kunsthändler Vollard erklärte er einmal: „Nennen Sie es wie Sie wollen, man gibt mir eine Kupferlatte, ich steche drauflos.“ Einzig der von Vollard in Auftrag gegebene graphische Zyklus „Guerre et Miserere“ ist als selbständiges Kunstwerk gewürdigt worden. Rouault mußte 20 Jahre warten, ehe die 57 Tafeln unter dem Titel „Miserere" 1948 als Buch erschienen. Beinahe alle übrigen Stiche sind gleichfalls Serienoder Zyklenteile, wie ja Wiederholung und Themenfolge ein Schlüssel zu Rouaults künstlerischem Schaffen sind.

In den doppelsinnigen, berühmten schwarzen Bildern — unversöhnliches Schwarz oder Schwarz der unendlichen Trauer? —, einem sich von Saal zu Saal ziehenden düsteren Fries, wiederholte Rouault die von Anbeginn fixierten Themen: Transposition der Richter/Angeklagter- Konstellation aus dem Gerichtssaal in die biblische Geschichte, Visionen abschreckend-erschreckender Vergnügen, Clowns, Dirnen, den Leidensweg Christi. Rouault ist mit seiner Umwelt hart ins Gericht gegangen. In einem jeden sah er den mit Tand und Pailletten notdürftig getarnten Clown, der Erbarmen weckt, sobald er beim Ablegen seines Flitterkleides überrascht wird. Diesem christlichen Erbarmen setzt Rouault indes allzu oft ein Richten und Geißeln menschlicher Häßlichkeit, Feigheit und Eitelkeit entgegen. Mit Vorliebe sprach er von sich als „serviteur“, eine Selbstdarstellung, die tiefgläubiges, tiefernstes Pathos einschließt, Humor, Phantasie und innere Befreiung aber ausschließt. Diese Beobachtung ist für eines seiner ersten Bilder, „L’Enfant Jesus parmi les Docteurs“ aus dem Jahre 1894 ebenso gültig wie für die schattenreichen, karikaturalen Gerichts-, Clown- und Zirkusszenen, die zwischen 1903 und 1914 entstanden. 1903 lernte der von Gewissenspein und Glaubenskrisen gezeichnete Rouault Huysmans kennen, der die christliche Kunst erneuern wollte. Rouault folgte ihm in die Abtei von Ligugé, ließ sich jedoch häufiger bei Zirkusleuten und in verrufenen Gassen als bei den Mönchen sehen.

Um 1913 setzt mit dem „Akrobaten“ ohne nenneswerte thematische Erweiterung jener Ausdruckswandel in Rouaults Werk ein, den wir am häufigsten mit seinem Namen assoziieren. Die Leiden des einzelnen und religiöse Themen erhalten durch Konturierung und Einkreisung jene dem Konformismus der damaligen christlichen Kunst entgegengesetzte Interpretation, die als „style Rouault“ in die Kunstgeschichte eingegangen ist. 1936 entsteht „Der alte König“, eine dem Universum der „Blumen des Bösen“ (die Rouault illustrierte) entstiegene Gestalt.

In den dreißiger und vierziger Jahren entstehen Rouaults großartigste Landschaftsbilder. Von dem frühen visionären „Paysage de nuit“ (1897) führte die Entwicklung über düster-romantische Symbollandschaften bis zu den undramatischen, in somptuöse Farben gebadeten reifen Werken mit ihren immer gleichen Hügeln, ansteigenden Wegen, Kirchtürmen, glühenden Sonnen, vagen Figuren. Rouault benutzte ein Gemisch aus den harten, brutalen Farben der Fauvisten und zarten Rosa-, Blau-, Grün- und gedämpften Gelbtönen. In diese Farbenharmonien ist keine besondere Mystik hineinzuinterpretieren, sie entspringen simpler Freude an „schönen Farbflecken“ und an pikturalen Effekten. Vornehmlich auf Effekt zielen auch die dekorativen, architektonischen Umrahmungen, die in den vierziger Jahren die monumentale und hierarchische Aussage der sinnend geneigten Häupter hervorheben.

Rouault, der die Erfahrung gemacht hatte, daß „die Wüste nicht so feindselig ist wie das Herz mancher Menschen“, versuchte sich in seinem Spätwerk vom „Maler des Schrek- kens“ zum „Maler der Besänftigung“ zu wandeln. Erleichterung kommt dennoch weder angesichts der verhalten lächelnden „Sarah“ (1956) noch des keck-herausfordernden „Pierrot Aristocratique“ (1942) auf, zu verfolgt fühlt sich der Betrachter von dem schweigsamen Blick aus zahlreichen Selbstporträts dieses an sich und der Welt leidenden neophyten Christen. Rouault hat sich zwar als „Maler der Freude“ bezeichnet, als einen „beim Malen glücklichen“ Künstler. Daß er diese Erfahrung nicht vermittelt, dieses Gefühl nicht glaubwürdig ausdrük- ken konnte, bleibt die persönliche Tragik dieses großen Tragikers. (Die Ausstellung, zu der die französische Post eine Sondermarke herausgegeben hat, ist bis zum 27. September geöffnet.)

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung