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Die Botschaft der Buchmalerei

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Die Botschaft der Buchmalerei. Von Lothar Schreyer. Aus dem ersten Jahrtausend christlicher Kunst. 144 Seiten und 19 Farbtafeln. Friedrich-Wittig-Verlag, Hamburg. Preis 8.80 DM

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Die Botschaft der Buchmalerei. Von Lothar Schreyer. Aus dem ersten Jahrtausend christlicher Kunst. 144 Seiten und 19 Farbtafeln. Friedrich-Wittig-Verlag, Hamburg. Preis 8.80 DM

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Ein ernstes, stilles, wunderbares Buch. Es führt uns auf vier'Wegen zum Verständnis der Buchmalerei des ersten christlichen Jahrtausends: zunächst durch einen Ueberblick über die Entwicklung der Buchmalerei und ihrer Stilarten: dann durch eine kurze Bildtheologie „Bild und christliche Verkündigung“; weiter durch eine Anleitung zur rechten Bildbetrachtung, die übergeht in Meditation und Gebet; und schließlich durch die beispielhafte Erläuterung der dem Bande beigegebenen, vorzüglich gedruckten farbigen Abbildungen.

Die Buchmalerei ist eine Kunst der Mönche. Sie entstand in der Einsamkeit der Klöster. Die Bücher, in die die Mönche die Bilder malten, waren Abschriften der Heiligen Schrift. Man nennt sie Evangeliare, wenn sie die vier Evangelien enthalten, Evangelistare, wenn sie nur Auszüge daraus wiedergeben. Sakramentare heißen die Meßbücher, die Perikopenbücher enthalten Leseabschnitte für die einzelnen Sonn- und Feiertage.

Diese Miniaturen waren nicht nur eine Verzierung der Bücher, nicht nur Schmuck. Neben die Wort-

Verkündigung tritt die Bildverkündigung. Zwar kann man getrost sagen, daß die Bilder „für sich selbst sprechen“, doch setzt ein Eindringen in alle Geheimnisse der Bilder das Erfassen ihrer Botschaft, die Kenntnis der Heiligen Schrift voraus. „Im Anfang war das Wort.“ Durch die Fleischwerdung des Wortes wurde auch das Bild möglich, denn „Christus ist das vollkommene Ebenbild des unsichtbaren Gottes“, wie der Mensch Ebenbild Gottes ist.

Unsere Bildtheologie ruht noch immer auf der Imagolehre des Augustinus, die auch das geistige Fundament der Malerei der Mönche war. Kern dieser Bildtheologie ist die Analogia Entis, die Analogie des Seins, die die Stufenordnung der Schöpfung umschließt. Die Krone der Schöpfung ist der Mensch, dessen Seele im eigenen Bild die Inbilder der ganzen Schöpfung, eingeprägt . sind. Das Mysteriuni der Analogia Entis ist, daß Unähnliches auf Aehnliches verweisen kann, wenn auch das Unähnliche das Aehnliche unendlich überragt. Das Bild ist Hinweis auf den unsichtbaren Christus, Zeichen für die Offenbarung.

Das christliche Mönchtum hat seinen Ursprung in Aegypten, die ersten Buchmalereien aber, die auf uns gekommen sind, entstanden in syrischen Klöstern. Das Zeitlose an ihnen ist die Verkündigung der Heilsbotschaft, das Zeitbedingte ist geprägt durch die Verschmelzung von Hellenismus und Orient, wie sie sich damals in Byzanz vollzog. In manchen Bildern finden wir beide Strömungen vermischt, manchmal stehen sie geschieden nebeneinander (so in den Mosaiken von Ravenna: der orientalische Christustyp des bärtigen Mannes neben dem griechischen Christustyp des bartlosen Jünglings). Wichtigste Beispiele des altchristlichen, byzantinischen Kunststils sind die „Wiener Genesis“, aufbewahrt in der Oesterreichischen Nationalbibliothek, entstanden in Syrien um 5 50, und der Codex Rossa-nensis, zur gleichen Zeit in einem syrischen Stadtkloster oder in Byzanz entstanden.

Diesem Kunststil entgegengesetzt sind die Buchmalereien der Iren und Angelsachsen. Ihr Stil ist naturfern, „abstrakt“, flächig — doch darf er nicht als rein „ornamental“ mißverstanden werden: auch er ist Sinnbild, auch er dient der Verkündigung. Beispiele irischer Miniaturen besitzen wir nicht nur aus Irland selbst (zum Beispiel im Book of Durrow, Ende des 7. Jahrhunderts, mit geheimnisvoll spirituellen Symbolbildern), sondern auch (abgesehen von Britannien) vom Festland, das ja zu einem großen Teil vom Norden, von den britischen Inseln aus, missioniert wurde (zum Beispiel das Willibrord-Evan-geliar aus Echternach um 750).

Die Buchmalereien der karolingischen Hand-

schriften entwickelten sich erst so recht nach der prinzipiellen Ueberwindung des byzantinischen Bilderstreites, dessen Problematik auch das Frankenreich beschäftigte. Die Werke der frühesten Gruppe der karolingischen Buchmalerei, der Ada-Gruppe, so genannt nach einer vermutlichen Schwester Karls des Großen, datieren gegen Ende des 8. Jahrhunderts. Ein Nachklang des karolingischen Stils findet sich noch fast 200 Jahre später in Fulda.

Die vierte Stilepoche ist die ottonische Buchmalerei, die in romanischem Stil schuf. Es ist die Zeit, wo unter den Sachsenkaisern Regnum und Sacerdotium vereint sind im Sacrum imperium. Die bedeutendsten Werke dieser Zeit wurden von den Benediktinern auf der Reichenau (Bodensee) geschaffen. Es ist eine Endzeit, für das Jahr 1000 wird die Wiederkehr Christi und das Jüngste Gericht erwartet, die Apokalypse ist besonderer Gegenstand der Darstellung.

Was ist nun die Botschaft der Buchmalerei?

Sie ist zuerst nichts anderes als die Botschaft Christi an uns, die Verkündigung der christlichen

Frohbotschaft im Bild. Während sie im keltischgermanischen Bereich diesseitsabgewandter ist, spricht in karolingischer und ottonischer Zeit aus ihr klar die Vorstellung des Gottesstaates auf Erden: die Epiphanie wird nicht als historisches Ereignis verstanden, sondern als lebendige Gegenwart, so wie die Kirche der fortlebende Christus ist, Mystici Corporis Christi. (Die Kirche erscheint im Bild als das himmlische Jerusalem.)

Eine besondere Botschaft der Buchmalerei an unsere Zeit sieht Lothar Schreyer in ihrer Bildkomposition. Die Kompositionslehre, die sich in ihr ausspricht, ist die gleiche, die in allen schöpferischen Perioden der Kunst maßgebend war, die in Romanik, Gotik, Barock lebt und von der modernen Kunst wiederentdeckt wurde.

Ihre letzte Botschaft aber ist, daß die Betrachtung' der Bilder münden kann in der Ünio mystica, in der vereinigenden Betrachtung. Das Bild ist ein von der Gnade gegebenes Mittel, die Seele zu Gott zu erheben. Es ist Bild vom ewigen Bilde. Die geheimen Entsprechungen zwischen dem im Bilde Sichtbaren und dem unsichtbaren Gott werden in einem zeitlosen Augenblick lebendig, Gott empfängt die bereitete Seele in mystischer Liebesvereinigung. *

Der Verlag Friedrich Wittig hat die große und schöne Aufgabe übernommen, Mittler dieser unversiegbaren Botschaft der alten Buchmalerei in unserer Zeit zu sein. Pater Dr. Frowin Oslender, Mönch in Maria-Laach, hat, was seine Glaubensbrüder vor mehr als einem Jahrtausend malten, in verschiedenen Bibliotheken Europas, an den Aufbewahrungsstätten der erhaltenen Handschriften, bei Tageslicht aufgenommen. Thematisch oder nach Stilgruppen geordnet, werden sie nun von Friedrich Wittig in Hamburg in kleinen, in sich abgeschlossenen, vornehm gestalteten Ausgaben publiziert (Preis eines Bandes 4.80 DM). Auf eine Einleitung von 16 Seiten Umfang, die jeweils von einem hervorragenden deutschen Publizisten, Dichter oder Geistlichen (nennen wir nur Walter Dirks, Albrecht Goes, Frowin Oslender) geschrieben wurde, folgen zwölf ausgewählte Tafeln, denen ein erklärender Text gegenübersteht.

Besonders möchten wir auf die von Paul Wilhelm Wenger ausgesuchten „Irischen Miniaturen“ und den von Wilhelm Stählin einbegleiteten Zyklus „Ostern“ verweisen. Andere Themen sind: Christi Passion, Das Antlitz Christi, Die Offenbarung des Johannes.

Man nehme eines der Bändchen zur Hand! Der reine gläubige Geist, der die Künstler beseelte, als sie die Bilder malten, wird uns unmittelbar ergreifen,.

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