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Laßt sie ruhen in Frieden

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Der Dehio von Wien weist nur mit zwei Zeilen auf die malerische Anlage in der Leberstraße hin, die bemerkenswerte Grabdenkmäler des 18. und 19. Jahrhunderts, so auch Mozarts Grabmal aus dem Jahre 1859, enthalte. Nur wenige Wiener schätzen diese Insel des Friedens als stillen Spazierweg, den man besonders zur Fliederzeit wenigstens einmal alljährlich unternehmen sollte. Die Autobahn nach dem Norden konnte wohl mit Erfolg zum respektvollen Ausbiegen veranlaßt werden. Die Trasse wird den alten Friedhof verschonen, ob es aber die Bauarbeiter tun werden?

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Der Dehio von Wien weist nur mit zwei Zeilen auf die malerische Anlage in der Leberstraße hin, die bemerkenswerte Grabdenkmäler des 18. und 19. Jahrhunderts, so auch Mozarts Grabmal aus dem Jahre 1859, enthalte. Nur wenige Wiener schätzen diese Insel des Friedens als stillen Spazierweg, den man besonders zur Fliederzeit wenigstens einmal alljährlich unternehmen sollte. Die Autobahn nach dem Norden konnte wohl mit Erfolg zum respektvollen Ausbiegen veranlaßt werden. Die Trasse wird den alten Friedhof verschonen, ob es aber die Bauarbeiter tun werden?

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Einst gab es Friedhöfe selbst in der Innenstadt, heute gibt es sie nur mehr jenseits des Gürtels, größtenteils nur mehr am Stadtrand. Der alte St.-Marxer Friedhof war der Beerdigungsort des alten Wien, vornehmlich des heutigen zweiten und dritten Bezirkes. Aber auch Mozarts sterbliche Hülle wurde einst zu nächtlicher Stunde hier zu Grabe gebracht. Wer weiß, ob wirklich seine Gebeine von den vielen anderen geschieden wurden und in jenes Ehrengralį auf dem Wiener Zentralfriedhof gelangen konnten! Wer hier vor der manierhaft abgebrochenen Säule steht und den Puttenengel in seiner naiven Fassungslosigkeit erblickt, hat auch heute noch das Gefühl, an Mozarts Grabe zu stehen.

Seit hundert Jahren hat es hier keine Beisetzungen mehr gegeben, so hat der Tod wohl keinen Stachel mehr, wenn man die Grabschriften liest, die das Kulturamt der Stadt Wien betreut. Nicht immer freilich liest der Restaurator die alten Spuren richtig, doch man freut sich der Sorgfalt und wünscht noch viel mehr aus dem Dornröschendickicht ans Licht gefördert zu sehen. Manchmal muß man sich über Bubenstreiche ärgern. Besonders die Westseite ist vom nahen Wildganshof her gefährdet. Bisweilen verscheucht man die hoffnungsvollen Kerle, die sich nichts aus Wiener Stadtgeschichte und Bie dermeiergräbern machen, sondern in der Nachfolge Winnetous über die hohen Mauern herüberklettern. Mancher Engelskopf und manche Herme mag so schon den Restauratoren entzogen worden sein. Auch ein Stein mit dem denkwürdigen Namen An- drian-Werburg liegt seit zwei Jahren zerbrochen mit der Schriftseite nach unten.

Man käme vom hundertsten ins tausendste, wollte man auch nur die wichtigsten Namen erwähnen, die mit dem alten bürgerlichen Wien verbun«

den sind. Hinweisende Blechtafeln sind oft längst verrostet, aber dennoch führen immer wieder altwienkundige Menschen liebenden Herzens ihre Gemeinde durch diese Gräberzeilen. So seien, wie der Tod sie einst in bunter Reihenfolge des Ranges und des Alters dahingenommen hat, einige berühmtere Namen aufgezählt, deren Gedächtnis hier bewahrt wird, solange es „Konservative“ gibt.

Unweit von Mozarts ursprünglicher Ruhestätte liegt der Musiker Anton Diabelli begraben. Anna Gottlieb, die erste Pamina; ferner Orchesterdirektor am Leopoldstädter Theater Karl Krottenthaler. Der leuchtende Name von Karajan ist trotz .später erfolgter Umbettung durch eine kleine Tafel „Theodor von Karajan“ gegeben. Es war der als Geschichts- und Sprachenforscher berühmte Erste Präsident des Altertumsvereines.

Hier sind wir im Ostteil angelangt, der Grüfte mit noch sehr gut erhaltenen griechischen und zyrilli- Schen Buchstaben enthält, oft sogar in doppelsprachiger Version, wie es ja auch das bürgerliche Leben jener Tage zum Nutzen aller erfordert hat.

Man hielt damals noch viel auf Stand und Herkommen, sonst gäbe es nicht die heute etwas preziös wirkenden Berufsbezeichnungen, wie Bürgers- und Pfarrmeßners Sohn, Küchengärtner oder: Bierversilberer, was wohl Kassier in einem Brauhaus zu bedeuten hatte.

Leuchtende Adelsnamen sind hier zu finden wie Cobenzl, Ritter von

Henikstein, Stellwag von Carion. Zierden der Theologie wie Josef Scheiner aus Böhmisch-Leipa, der einst sogar Rektor der Wiener Universität war, sowie Bischof Zeuner.

An den Wurstelprater und seinen riesigen Chinesen erinnert das Grab von Franziska Calafati aus Salerno. Wer eines der großen Landstraßer Durchhäuser mit zahllosen Kleinwohnungen, den Sünnhof, kennt, findet hier das Familienbegräbnis Sünn.

Josef Madersperger, der Erfinder der Nähmaschine, Joh. Gg. Albrechtsberger aus Klosterneuburg, der als Domorganist und Lehrer Beethovens bekannt war, und nicht weit davon die erste Grabstätte des kühnen Technikers Alois von Negreiti, Ritter von Moldelbe. — Viele angesehene Militärs der alten Armee, wie Freiherr von Odelgä, Freiherr von Birago und Wenzel von Häring; Schriftsteller wie Hadatsch und Blumenbach, Emst von Feuchtersieben oder Alexander Petuzzi, um nur einige Namen des großen Totentanzes der alten Zeit festzuhalten.

Und so bunt sind auch die Symbole von Tod, Ewigkeit und Verklärung: Baumkreuze, Medaillons der Muttergottes und des Jesusknaben, Schlangen in Ringform, Engelscharen in Sandstein und Marmor über einer damals wohl zu früh dahingerafften jungen Frau, Kränze, die sich ver klärend um Kreuze winden. Die Wappenembleme hat meist der Sturm auf den Adel anno 1918, schon weil sie aus guten Metallen bestanden hatten, von den Marmorsteinen geholt. Den Toten hat es nicht mehr wehe getan, und den damals lebenden Stürmern tut meist auch nichts mehr weh.

„Unvergeßlich“ steht oben auf manchem Grabmal, doch die nähere Inschrift ist abgebröckelt oder vergilbt: Symbol des Erdenruhmes. Und dennoch grünt es hier alljährlich, wenn man zwischen Maibeginn und Allerseelen durch diesen Friedhof wandert, in einer Pracht, die oft weder der Prater noch der nahe Wienerwald kennen. Amseln und sogar Nachtigallen singen ihr Lied, auch Fasanenpaare schrecken bisweilen aus dem Dickicht auf.

Es ist schön, daß es diesen Friedhofspark noch gibt, auf dem das alte Wien ohne den Einbruch des Neuen fortbesteht wie in unseren Museen. Daß es schon damals viel Fremdes gab, daß dieser Stadt in Handel und Wandel einverleibt wurde, gereicht beiden Seiten zur Ehre. Vienna glo- riosa, ob unter Fliederbüschen oder im Herbstlaub: Unvergeßlich!

Phetos: R. Hampel

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