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Weinproke in Châteauneuf-du-Pape

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Dieses Grün und Blau und Braun nimmt kein Ende. Zwischen grünem Weinlaub hängen tiefblaue Trauben, deren Beeren fast nußgroß sind. Die Weingärten überschwemmen die ganze Landschaft, die sich in sanften Wellen buckelt. Vom Boden siehst du nichts. Er ist ganz bedeckt von braunen Kieseln, welche die Rhone, „der wütende Stier, der von den Alpen herabtobt“ (die Franzosen sind immer ein wenig pathetisch; das fängt beim Kriegerdenkmal an und hört in der Liebe auf), herbeigeschleppt hat. Kilometerweit nichts wie Weingärten. Soldatisch ausgerichtet, stehen die Reben mit jeweils zwei Meter Abstand voneinander, gewärmt von den glatten Steinen, die tags die Sonnenglut speichern (die auch im Herbst noch so üppig ist, wie van Gogh sie malte) und sie nachts wieder ausstrahlen. Dazwischen ein Dorf mit grauen, verschachtelten Häusern, die fast flachen Dächer von braunroten, bauchigen Hohlziegeln bedeckt. Ein Dorf, dessen Name die Weintrinker aller Länder aufhorchen läßt: Chäteauneuf-du-Pape.

Der freundliche Franzose, der uns führte, trinkt jeden Tag ein paar Liter, der Glückliche. Er sah aus, als sei er aus einem Werbeprospekt der Liga gegen den Alkohol als Vorbild des Abstinenzlers ausgeschnitten: braun, kräftig, strahlend und gesund. Zuerst führte er uns in einen Raum, der einer Klinik glich. Weiße Kacheln und blitzende Instrumente. Die Sonne fiel auf blinkendes Kupfer, auf blitzendes Chrom. Pumpen schlürften, Pressen polterten, und in gläsernen Meßröhren schwappte dunkelroter Wein. Es sah sehr unromantisch aus. Niemand bekam Durst. Hier wurden die Trauben gepreßt. Ihr Saft bleibt mit Kamm und Trester wochenlang stehen (das gibt dem Chäteauneuf-du-Pape die Rubinfarbe) und wird dann erst in den Keller gepumpt.

Dort sah es weniger sachlich aus. Es roch nach fruchtiger Fäulnis. Hohe Fässer trugen Hausnummern aus Email. In einem kullerte und rumorte es wie im Bauch des Wolfes, nachdem er die sechs Geißlein gefressen. Jemand schnalzte mit der Zunge. Plötzlich hatten wir alle Durst. Nachbarin, Euer Fläschchen!

Die Nachbarin kam, ein leises Knoblauchfähnchen vor sich herwehend. Sie stellte Gläser auf ein umgestülptes Faß und lachte auf weißen Zähnen. Der Kellermeister ließ fröhlich einen Korken knallen. Glucksend floß der „49er“ ins Glas. „A votre sante!“

Und ob man dabei nicht gesund wird! So gesund, wie sich die Abstinenzler ihresgleichen vorstellen. Wir hoben den tintigen Wein gegen das Licht. Wir blinzelten seinem Alpenglühen freundlich zu und hängten die Nase über den Rand des Glases. Es tat ihr so gut wie die Bekanntschaft rriit den Jasminfeldern von Grasse. Wir schlössen die Augen, schlürften bedächtig, drückten die flüssige Wohltat gegen den Gaumen, und das Bouquet ging uns durch Mark und Bein. Es schmeckte schwer und fruchtig, mild und sonnig. Die lobenden Beiwörter wurden knapp.

Wir tranken, redeten und lachten. Der Kellermeister zog die knallenden Korken aus den Flaschenhälsen; wir fanden, das sei bessere Musik, als sie selbst Beethoven gemacht hätte, und verliehen dem Kellermeister den Nobelpreis, als Korkenkette um den Hals zu tragen. Wir machten der Dame Komplimente, wir ernannten sie zur Kaiserin von Europa, mit einer Knoblauchzehe im Wappen. Sie brach uns weißes Brot, und wir summten das Lied vom Pont d'Avignon, auf dem die Katzen Ringelreihen tanzen. Der Kellermeister stieß das schwere Tor auf. Draußen tat der Abendhimmel das Seine. Er schmückte sich erst mit Zebrastreifen und pinselte dann die Streifen mit Rotweinfarbe an. Das wechselte vom zarten Flamingorosa bis zum Kardinalspurpur.

Dann stiegen wir blinzelnd ans Licht. Der Wein schlug uns leicht gegen die Kniekehlen, und der Mistral fuhr den Mädchen in die Röcke und plusterte sie zu Krinolinen auf. Er faßte ihren Schopf und ließ ihn wie eine goldene Fahne wehen. Wir kauerten in dem Windschutz der Weinstöcke. Der Kellermeister animierte uns, zu essen, bis wir nicht mehr könnten. Vor uns lag der Mont Ventoux, den schon Petrarca besungen hat, als er mit den Päpsten zu Avignon im Asyl lebte. Er ist der sanfteste Berg, den ich kenne, mit ganz zartem Gefälle. Er trägt einen grauen Fleck auf dem Rücken und sieht aus wie ein gutmütiges Tier, das in die Knie gegangen ist, um sich das Fell kraulen zu lassen. Uns war sehr wohl. Wir stritten uns, ob Tiere ein Knie hätten. Wir zerbrachen uns den weinschweren Kopf, warum die Rhone im Französischen der Rhone heißt. An ihren (seinen) Ufern lag Avignon. Die Stadtmauer engte wie ein zu knapp gewordener Gürtel die füllige Taille der Innenstadt. Die Häuser quollen über die Mauern und verliefen sich in die Weinberge hinein. Der Palast der Päpste stieg hoch, grünlich und stockfleckig in den Abendhimmel. Zu allem Ueberfluß ging der Mond auf. Vor uns, lag die Provence, und sie erschien uns so beängstigend und beklemmend schön wie die kleinen Mädchen von Avignon, die um diese Stunde zierlich und behend auf der Rue de la Republique bummeln.

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