Am 15. Juni fand in Wien eine Konferenz zum Thema Islam europäischer Prägung statt. Ich durfte an einer Diskussionsrunde teilnehmen, in der es um die Chancen und Herausforderungen eines europäischen Islams ging. Allein die Bezeichnung "europäischer Islam" löst allerdings bei einigen Unbehagen aus, weil damit schnell ein vom Staat aufgesetzter Islam assoziiert wird. Immer wieder ist dann die Rede vom "Staatsislam". Der Politologe Bassam Tibi war einer der ersten, der schon in den 90er-Jahren vom "Euro-Islam" sprach. Viele Muslime lehnten diesen Begriff ab, allerdings ohne sich wirklich mit dem gemeinten Inhalt auseinandergesetzt zu haben. Denn in der Debatte um den Islam geht es selten um Inhalte. Und das betrifft beide Seiten, Muslime wie Nichtmuslime. Beide reden meist aneinander vorbei. Muslime haben Angst davor, dass ihre religiöse Identität verwässert wird oder sogar verloren geht, die Mehrheitsgesellschaften Europas haben wiederum Angst vor einer "Islamisierung" Europas. Daher fürchten sich die einen vor einem europäischen Islam, während die anderen diesen fordern.
In meinen Augen stellt gerade die Säkularität, die den Staat zu einer religiös neutralen Haltung verpflichtet, den wichtigsten Aspekt, welcher einen europäischen Islam ausmacht, dar. Denn gerade der säkulare Staat schützt Religionen vor politischer Instrumentalisierung und verbietet somit einen Staatsislam, dem man sonst nur in der islamischen Welt selbst begegnet. Ein Hauptproblem des Islams, sowohl in seiner Geschichte als auch Gegenwart, ist nämlich die politische Einflussnahme, die ihn immer wieder daran hindert, sich ständig in Freiheit zu reflektieren und entsprechend zu erneuern. Dabei zeichnet sich gerade der Islam durch seine Ablehnung religiöser Institutionen und Autoritäten aus, um die Menschen vor jeglicher Form der Fremdbestimmung zu schützen.
Der Autor leitet das Zentrum für Islamische Theologie an der Uni Münster
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