Ein Bild in Grün und Weiß

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Ein Bild der Steiermark? Ein Bild in Grün, selbstverständlich. Grün wie Wald(-Heimat), Holzstraße und Apfelstraße, wie "steirische Toscana" und wie Kernöl. Was noch? Weiß drängt sich auf. Wie auch auf der Landesfahne: Gletscher und "Hoch vom Dachstein an ...", WM-Schladming - Kunstschnee ist eher grau - samt Schwarzenegger, Kalkalpen und (alles überstrahlend) Thermen-Bademäntel.

Womit einmal bewiesen scheint, daß sich Klischees und Wirklichkeit zumindest teilweise in Deckung bringen lassen. Schwierig wird's schon, wenn man das, was sich auch steirisches Bewußtsein nennen läßt, mit steirischer Wirklichkeit konfrontiert. Malen wir weiter: Erzherzog Johann blickt, nachdenklich auf den Bergstecken gestützt, das Büchserl am Riemen über der Schulter, auf den Ausseer-See und die Heimstatt seiner geliebten Anna nieder. Und vor diesem Bild (im vergoldeten Rahmen der Erinnerung) trägt sich zu, was da Kultur a la Brandauer und Hartbradler und Formel-1-Grand-Prix und steirischer herbst, Classic in the City, Theater am Schotterteich, Schilcher-Poetik und ein Hauch vom "Grimmingtor" ist. Alles gefällig angerichtet für kultur-, erholungs- oder unterhaltungsbeflissene Gäste, gelegentlich auch mit dem trendigen Anspruch, gegen den Mainstream zu sein.

Das nächste Bild entsteht regelmäßig aus dem Schwarz der Nacht zum Montag, läßt eine Kette roter Lichterpaare, von der weder ein Anfang noch ein Ende zu erkennen ist, von Friedberg die "Süd" hinauf zum Wechsel ziehen, stocken, ehe die obligate Meldung vom Stau nach einem Unfall bei Schäffern oder Aspang einer der Hits im gleichnamigen Radio sein wird: Steirer auf dem Weg zur Arbeit. Eine Viertelmillion von ihnen arbeitet außerhalb des Wohnortes.

Montag früh fort von der Familie, den Kindern, spätabends oder erst freitags heim. "Lange Wochen" in der Hochsaison ausgenommen, weil zwischen den Schichten nur ein heimwehseliges "I wüh ham noch Fiastnföld" oder etwas bleibt, das entfernt an den oben bemühten Erzherzog und seinen Jodler gemahnt.

Wer bummelwitzig sein möchte, darf vermuten, das höchste politische Amt im Land wird von einer Frau eingenommen, weil die Herren - zumindest gedanklich - im Begriff waren, nach Wien zu pendeln: "Steiermarks Frau Landeshauptmann" lautet die sich daraus ergebende Formulierung im hauptstädtischen Zeitungsdeutsch, wobei offen bleiben muß, ob der Genitiv ein maskulines oder ein neutrales Land meint.

Für den Steirer wird seine Steiermark weiblich bleiben - und für die Steirerin erst recht. Für jene Steirerin, die dort ihren Mann stellt, wo Männerberufe aufgehört haben: In einer der High-Tech-Fabriken von Leoben und Donawitz, am Rand von Kürbisäckern bei Siemens-Matsushita in Deutschlandsberg und schräg gegenüber der Bauernhendl-Verarbeitung inmitten von Maisfeldern in Fehring bei der Chip-Herstellung. Vorbei also die Zeit, da das Hendlrupfen die einzig erreichbare (Neben-)Beschäftigung in diesem Grenzbezirk gewesen ist. Doch damit ist Pendeln auch zum weiblichen Schicksal geworden.

Bleiben wir als einem Beispiel für viele bei Deutschlandsberg: Die Stadt hat knapp 8.000 Einwohner. Rund 2.500 pendeln täglich zur Arbeit ein und über 1.500 verlassen die Schilchercity, um auswärts zu arbeiten. Die Frauenarbeitsplätze bei Siemens und Seidl-Elektronik haben weitere Arbeitsplätze für Frauen entstehen lassen. Allein die "Volkshilfe" des Bezirks beschäftigt 104 Frauen, die als Tagesmütter oder in einem der Ganztageskindergärten beschäftigt sind, und so erst die Voraussetzungen für die Berufstätigkeit anderer Frauen schaffen. Was allerdings nicht in jedermanns Weltbild paßt.

Männlich (noch) dominiert die florierende Industrie der Auto-Erzeugung und -Zubehörherstellung, für die das ur-steirische Wort Auto-Cluster gefunden wurde. Wie eben auch alles, was mehr als ein Dutzend Gäste zusammenkommen und sich irgendwie unterhalten läßt, auf die Bezeichnung Event zu hören hat. In der Obersteiermark wird ein Holz-Cluster angestrebt, und am Ende aller Projekte wird wohl ein Cluster-Cluster stehen.

Aber Anglizismen sind hier nur logisch, seit der Metallarbeiter Franz Strohsack aus der Weizer Gegend zum Frank Stronach mutierte, heimkehrte, mit geschickter Hand einkaufte, was gut war, und dazubaute, was Gewinn bringt. Daß er in die Diskussion mit der Gewerkschaft Töne einbrachte, die man sonst eher vor dem Heimweg-Achterl auf dem Feuerwehrfest hört, hat ihn für die Steirer eher menschlicher gemacht: Nicht alles, was er sagt, ist wohlüberlegt und clever muß nicht immer auch klug heißen. Auch andere vor ihm haben schon zuviel geredet: "Eisen für immerdar" wäre so ein Zitat. Einige Verstaatlichten-Manager konnten untertauchen.

Zurück blieben zunächst Schrottplätze - auch in den Köpfen, blieben Männer, die mit 55 kein Ziel, und Kinder, die nach der Schule keine Chance hatten. So darf es auch nicht wundern, daß die oft bemühte Rauschgift-Szene nicht zuerst in der Landeshauptstadt, sondern in den Krisenbezirken registriert wurde. Daß in Graz die Schicki-Mickis aus dem "Bermuda-Dreieck" zwischen Dom, Stadtpfarr- und Franziskanerkirche (um drei sicher neutrale Begrenzungspunkte zu finden) da mitkoksen mußten, versteht sich. Doch die Arbeitslosigkeit in Graz lag und liegt in der Regel unter dem Landesdurchschnitt. Und der kann sich immer häufiger vom österreichischen Durchschnitt absetzen.

Was auch viele kleine Gründe hat, denn ebenso erfolgreich wie bei der Verwirklichung großer Projekte ist die Steiermark bei der Schaffung dessen, was früher Industriegebiet hieß und jetzt mit grünem Anstrich Wirtschaftspark genannt wird: 150 Arbeitsplätze hier, 80 dort und 200 anderswo. Die Kommunen haben eifrig investiert und begünstigt, beginnen jetzt die Erträge daraus einzufahren. Daß acht oder zehn kleinere Betriebe krisensicherer sind als ein Großkonzern, verstärkt den Anreiz, näher dem Wohnort zwar vielleicht etwas weniger, dafür aber sicherer zu verdienen.

Jedenfalls ist die Steiermark wieder einmal im Wandel begriffen. Was nichts Neues ist, denn nach der Besetzung durch die Römer, den Überfällen durch Mongolen, Madjaren, Kuruzzen, Türken (Kruzitürken gehört noch heute zum sündenfreien Fluchen!), dem Einmarsch der Franzosen und den Aufmärschen der Hitler-Anhänger ist die Grüne Mark ja auch nie wieder das geworden, was sie zuvor gewesen ist.

Nicht einmal die vielbemühte "Residenz Innerösterreichs" fand später ihr Gegenstück in Form eines Ministeriums - für Südosterweiterung, zum Beispiel. Weil wir eben in einer Demokratie leben, die alle Macht vom Volke und (fast) alle Verwaltung von Wien ausgehen läßt. Womit auch gleich ein Teil steirischer Wesensart vorexerziert wäre: Wien wird gerade noch in Verbindung mit Urlaubsgästen erträglich. Und mancher verbale Kraftakt dient einfach dem Ziel, das Bild vom wilden Bergvolk jenseits des Semmerings lebendig zu erhalten.

Doch wild von den Bergen herab auf Eindringlinge gestürzt - wie die kühnen Tiroler - hat der Steirer sich eher zögerlich. Viel lieber nutzte er den Schutz einer schönen Natur, genoß und genießt sie auf jede mögliche Art. Was uns die evangelische Enklave in der Schladminger Ramsau, die unzähligen G'stanzln von der willigen Schwoagerin, die Erfindung des alpinen Schilaufs und die Sperre der meisten Forststraßen für die Mountainbiker bescherte. Streiten wir nicht weiter um das Recht des ersten Gipshaxens. Ob durch die Kleinoschegg-Buben im Mürztal oder den Forstmeister Scheliessnigg und seine Spezln auf der Grebenzen: Die Zeit war reif, und weitsichtige Steirer erfaßten dies.

Landschaftlich sind die Grenzen in der Landeshymne ja recht eindeutig definiert: Hoch vom Dachstein an bis zum Drau- und Savetal reicht jenes Gebiet, das im Süden von Weingärten und Hopfenfeldern auf oder zwischen sanften Hügelzügen geprägt ist. Weshalb die erste Strophe dieser Hymne offiziell auch nicht mehr gesungen wird. Was bleibt, ist die Hoffnung, daß die Europa-Politik, welche einst das Mit- und Nebeneinander zweier Ethnien unmöglich hat scheinen lassen, dies in absehbarer Zeit wieder möglich machen wird. Der Abbau der Grenzen in den Köpfen wird wohl langwieriger sein.

Der Autor ist Schriftsteller und wohnt in Graz.

Zum Dossier Ein Bild der Steiermark: Zuerst aus der Perspektive von Pendlern und Daheimgebliebenen, dann in einem Rückblick auf 75 Jahre steirische Caritas und zu guter Letzt in der Vorausschau von Frau Landeshauptmann Waltraud Klasnic auf das Jahr 2003, wenn Graz die Kulturhauptstadt Europas ist.

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