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Gespräch in, Färme, Hitze, Feuer“

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Auf Dr. Gunther Nennings Beitrag „Katholik und Sozialist“ ging uns eine große Anzahl von Zuschriften zu. Folgende Stellungnahme erschien uns besonders wertvoll. Die Redaktion.

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Auf Dr. Gunther Nennings Beitrag „Katholik und Sozialist“ ging uns eine große Anzahl von Zuschriften zu. Folgende Stellungnahme erschien uns besonders wertvoll. Die Redaktion.

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Der Aufsatz Dr. Nennings fällt zeitlich mit taktischen Maßnahmen der SPOe zusammen, durch die sie ihre elastischere Haltung gegenüber den Wünschen der Katholiken Oesterreichs zu erkennen gibt.

Der Katholik in Oesterreich hat diese parteistrategische Kurskorrektur mit um so größerer Genugtuung begrüßt, als sie dem Inhalt und dem Ziele von Gesprächen und Fühlungnahmen entspricht, die zwischen Sozialisten und Katholiken auf individueller Grundlage geführt wurden. Diese Genugtuung über den politischen Erfolg weicht aber der Freude, wenn sich im anderen Lager der Mensch erhebt und dem freundschaftlichen Gespräch aus Sehnsucht nach dem Geiste das Wort redet. In diesem Sinne hat Dr. Nenning sehr viel offene Freunde angesprochen.

Ein Gespräch in „Wärme, Feuer, Hitze", schöpferisch und spannungsgeladen, wird dem Geiste dienen, wenn es nicht abreißt, in die Tiefe eindringt und den Standort des Gegenübers zu erfassen trachtet. Freundschaftliche Offenheit ist ebenso unerläßlich wie der Wille zur Wahrheit. Wenn der Katholik und der Sozialist in ein ernstgemeintes Gespräch kommen, der eine aus seinem Glauben, der andere aus seiner Ueberzeugung heraus, dann werden sie sehr früh herausfinden, daß die Politik in ihrem Streben nach Konzilianz Schlagworte geprägt hat, die der Ueberprüfung nicht standhalten.

Die Frage, die den die Begegnung mit dem Katholizismus suchenden Sozialisten am meisten bewegt, ist darauf gerichtet, ob der Katholik gleichzeitig Sozialist sein könne. Es fällt schwer, den Beginn einer freundschaftlichen Aussprache mit einem klaren Nein eröffnen zu müssen, doch haben wir uns Offenheit als Gesprächsgrundlage zugesichert. Weder in der Theorie noch in der Praxis kann ein überzeugter Sozialist gläubiger Katholik sein und umgekehrt. Die breiten Berührungsflächen, wo sich Katholizismus und Sozialismus benachbart gegenüberstehen, dürfen nicht zu der oberflächlichen Annahme verleiten, man bete denselben Gott nur von verschiedenen Seiten an.

Die sozialistische Weltanschauung geht davon aus, daß wirtschaftliche, materielle Produktionskräfte das gesellschaftliche, geistige und religiöse Leben bestimmen. Der gläubige Katholik, der von der Bestimmung des Menschen zur Begegnung mit Gott ausgehen muß. baut sein welt-anschauliches Gebäude auf die Anerkennung von selbständigen geistigen Werten auf. Er hat daher das mechanische Prinzip, wie es im Kapitalismus und Liberalismus verwirklicht erscheint, ebenso verneinen müssen, wie er den Drang zum Kollektiv im Sozialismus als dem Wesen des Menschen widersprechend negiert. Ein Sozialist etwa, der glühender Anhänger des Verstaatlichungsgedankens ist, kann nicht im gleichen Atemzug Katholik sein, da er aus weltanschaulichen Grundsätzen heraus nur eine organische, auf der Basis der individuellen Verantwortung des einzelnen wirkende Gesellschaft anerkennen kann.

Das ist eine aus der Reihe der Selbstverständlichkeiten, die den gläubig-überzeugten Katholiken von heute bewegt und die er bei seiner politischen Willensbildung zu berücksichtigen hat. Und das als einzelner, denn für seine Handlungen und Entschließungen ist er seinem Gott persönlich verantwortlich.

Aus dieser persönlichen Verantwortlichkeit gegenüber dem Schöpfergott erfolgt sein Handeln im Diesseits. Es wäre grundverfehlt, etwa zwischen Kirche und Katholiken zu unterscheiden und in der ersteren eine Organisation der Geistlichkeit zu erblicken, die gegen Entrichtung der Kirchensteuer für ein auskömmliches Jenseits der Gläubigen sorgt. Die Kirche — das sind alle Gläubigen. Nicht sie nimmt Einfluß auf die Geschehnisse auf Erden, sondern ihre Anhänger, die ihre Lehren befolgen und dementsprechend handeln. Besser — sie müssen sogar erkenntnisgemäß ihre politische Willensentscheidung treffen, weil sie hierzu im Gewissen verpflichtet sind.

Geht man einen Schritt weiter, dann kommt man zum Ergebnis, daß — wie so mancher andere Begriff — die „politisierende Kirche“ nicht mehr existiert, daß es zwischen Partei und Kirche daher auch keine Differenzen geben kann, sondern nur Meinungsverschiedenheiten zwischen glaubenden, hoffenden, leidenden, strebenden Menschen, deren Aufgabe es ist, unter Wahrung und Achtung des gegenseitigen Standpunktes das Wie auf Erden einer Lösung zuzuführen.

Für den Katholiken ist der Glaube die Wahrheit schlechthin. Er kann und wird im Verlaufe einer Diskussion nicht zur Aufgabe von Teilen seiner Wahrheit bewogen werden können. Das ist ja auch nicht der Zweck des nunmehr einsetzenden Gespräches. Es wird wohl darum gehen, daß die Diskussionspartner die geistigen Grundlagen einer Zusammenarbeit für jene Gebiete finden, wo die Möglichkeiten gemeinsamen Wirkens nicht unter dem Zeichen der Verschiedenheiten der Auffassung von Staat, Gesellschaft und Religion stehen. Da liegt vor allem das weite Feld der praktischen sozialen Betätigung.

Der weltaufgeschlossene Katholik begrüßt im verantwortungsvollen Sozialisten, der die klärende, bereinigende und aufrüttelnde Diskussion sucht, den Menschen, der den Primat des Geistes bejaht. Auf die Bejahung dieses geistigen Kontaktes kommt es aber an, denn aus ihm quillt das geistige Leben. Das aber erfordert ein gegenseitiges Kennenlernen, die Auseinandersetzung mit den Ansichten des Gegenübers, die Bereinigung von Fehl- und Vorurteilen, mit einem Wort jenes Wechselspiel von Meinung und Gegenmeinung, das in seiner Summe dem Leben in Oesterreich wieder ein geistiges Profil verleiht. Katholik und Sozialist, das „und" soll keine unfruchtbare Antithese ausdrücken, sondern 2um Achten und Erfassen des gegenseitigen geistigenStjebens .aufsteigen.Dann wajejen abdr jene zwei Töpfe, auf die Dr. Nenning hinweist, von selbst zerbrechen, und die materielle Konjunktur wird endlich auch das geistige Leben erfassen.

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