6775149-1969_18_28.jpg
Digital In Arbeit

Aufgaben der Struktur-und Sozialpolitik

Werbung
Werbung
Werbung

Die Funktionstüchtigkeit eines demokratischen Systems freiheitlicher Prägung beruht auf dem Ausgleich der Interessen. Im Vordergrund stehen wirtschaftliche Forderungen und soziale AnHegen. In dieser Zusammenschau bewährt eich ein Gemeinwesen. Es ist nicht schwierig, Kostenrechnungen aufzustellen und darnach zu handeln. Bei aller Anerkennung der Berechtigung des Rechenstiftes ist auf soziale Anliegen Bedacht zu nehmen.

Die Strukturpolitik wurde zu einem Schlagwort. Jede Wirtschaft, auch die primitivste, ist ständig der Veränderung unterworfen. Das Tempo ist unterschiedlich. Bedeutsam werden strukturelle Wandlungen, wenn davon die tragenden Wirtschaftskräfte eines Landes erfaßt sind. Dies ist in der Steiermark der Fall.

Die Grundstoffindustrie, Kohle, Erz, Eisen und Stahl, sind davon betroffen. Die Kohle steht im Konkurrenzkampf mit Öl und Gas. Kohle wird immer benötigt, für Kraftwerke und im Haushalt. Die Nachfrage ging zurück, nicht zuletzt auch deswegen, weil viel zu spät gute Kohlenfeuerungsanlagen entwickelt wurden, die den Rentabilitätsfaktor berücksichtigt hätten, öl wird Tag und Nacht über unsere Straßen gefahren. Deshalb auch die Bemühungen, durch eine Pipeline den Ölstrom durch die Steiermark zu führen und eine Raffinerie im Räume von Lannach bei Graz zu errichten, um die Verarbeitung des Öls zu ermöglichen.

Nun, die Pipeline wird gebaut; mit den Arbeiten an der Raffinerie soll in Bälde begonnen werden. Die steirische Wirtschaft erwartet sich dadurch neue Impulse in wachstumsfreudigen Produktionszweigen. Strukturelle Umschichtungen brauchen Jahre. In einer überblickbaren Zeitspanne wird sich zeigen, ob die Steiermark imstande ist, die Voraussetzungen für den Aufbau neuer Strukturen abzugeben. In diesem Zusammenhang werden neben wirtschaftlichen auch soziale Probleme virulent. Nämlich in dem Augenblick, in welchem Strukturen auslaufen, ohne daß in dem betreffenden Raum etwas Adäquates geboten wird. Hier setzt die Verpflichtung ein, dafür zu sorgen, daß tragbare Übergänge gesucht werden. Das heißt, daß die Umsetzung von Arbeitskräften in andere Produktionezweige ermöglicht wird. Geschieht dies nicht, würden ganze Regionen ihrer Wirtschaftskraft beraubt Die sozialen Konsequenzen würden nicht nur die Arbeitnehmer, sondern auch Gewerbe und Handel hart treffen. Daher: Wirtschaftsgerechte Entscheidungen ja, aber immer an den Menschen denken, und zwar so, wie wenn die eigene Familie selbst unmittelbar davon betroffen wäre.

Ähnliche Probleme sind in der Eisen- und Stahlindustrie zu bewältigen. Die steirischen Betriebe haben zwei Chancen:

Die Spezialisierung und Weiterverarbeitung. In beiden Bereichen sind Fortschritte festzustellen. Vor allem auf dem Sektor des Edelstahls kann hochwertiger Stahl erzeugt und auf dem Weltmarkt abgesetzt werden. Durch die Beratung von gleichartigen Betrieben In anderen Erdteilen wird durch den geistigen Export die finanzielle Substanz heimischer Betriebe angereichert. Das Vordringen in die Weiterverarbeitung geht mit unterschiedlicher Intensität vor sich. Je nach dem technischen Können und der Dispositionsfähigkeit der Firmenleitungen. Das bedingt, daß Betriebe mit guter Auftragslage gegenwärtig unter dem Mangel an Fachkräften leiden und Unternehmer, die neue Entwicklungen verabsäumt oder viel zu spät in Angriff genommen haben, über einen hohen Beleg-schaftssitand verfügen. Hier setzt neben den wirtschaftlichen Notwendigkeiten auch die soziale Verantwortung ein. Umschichtungen von Arbeitskräften über erträgliche Entfernungen sind zu vertreten, wenn dem Betroffenen dies ermöglicht wird. Die Mobilität der Arbeitskräfte hat einen mobilen Wohnungsmarkt und gute Verkehrsverbindungen zur Voraussetzung. Es ist auch zu beachten, daß der durch langjährige Arbeit erreichte Status im Lohnschema und die damit verbundenen sozialen Leistungen berücksichtigt werden. Wer jahrzehntelang einem Betrieb die Treue gehalten hat, darf nicht in die Zwangslage gebracht werden, von vorne anfangen zu müssen. Das kann von einem jungen Menschen, nicht aber von einem älteren Arbeiter und Angestellten erwartet werden.Unser Arbeits- und Sozialreoht ist so weit ausgebaut, daß auch hier ein vertretbarer Ausgleich möglich ist. Das Problem beginnt schon oft bei den Übersiedlungskosten. Schwierig werden solche Übersiedlungen auch dann, wenn die betreffenden Arbeiter und Angestellten sich ein Eigenheim errichtet haben. Dieses kann nicht abgebaut und in der Nähe eines neuen Arbeitsplatzes wieder errichtet werden. Die durch Eigenheime erreichte Seßhaftmachung von Arbeitskräften ist in Zeiten der Konjunktur nützlich, bei der Abschwächung des Wirtschaftsgeschehens jedoch schwer zu meistern.

Die Auseinandersetzung mit auslaufenden und neuen Strukturen ist noch ungewohnt. Es fehlt der Sinn, die konsequenterweise folgenden Umschichtungen reibungslos zu vollziehen. Erste Voraussetzung ist, daß den Belegschaftsmitgliedern rechtzeitig die volle Wahrheit gesagt wird. Ein Hinter-dem-Berg-Halten und überfallsartige Kündigungen sind nicht menschlich. Größere Konzerne mit mehreren Betrieben haben überdies die Möglichkeit, von vornherein zu prüfen, wo die Freisetzung von Arbeitskräften schwerer wiegt, im Ort X oder Y. Umschichtungen in der Nähe industrieller Ballungszentren sind leichter als in Gebieten, wo wenig oder keine zusätzlichen Beschäftigungsmöglichkeiten vermittelt werden können.

Schließlich erstreckt sich die Verantwortung der Unternehmungsleitungen nicht nur auf den eigenen Betrieb, sondern auch auf das Gemeinwesen, dessen Rückgrat die Produktionsstätten nun einmal sind. Die Beachtung ökonomischer Grundsätze schließt soziale Gesichtspunkte nicht aus. Sie zu beachten und in das unternehmerische Handeln mit-einzubeziehen, ist keine unbillige Forderung. Dadurch erweist sich die Qualifikation von Führungskräften, die imstande sind, in einem Vertrauensverhältnis mit der Belegschaft die Höhen und Tiefen des Wirtschaftsgeschehens durchzustehen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung