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Gute Chancen am Rhein

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Fuhr man in den letzten Tagen und Wochen an deutschen Tankstellen vorbei, so konnte man täglich ein ständiges Fallen der Benzinpreise feststellen. Es gibt auch bereits Billig-Tankstellen, bei denen der Liter Super DM 1,13 (etwa 8 Schilling) kostet. Seit der Ölkrise 1973 wurde noch nie ein deutliches und konstantes Absinken der

Benzinpreise festgestellt. Aufgrund des Niederganges des OPEC-Kartells wie der anhaltenden Dollarschwäche ist zu erwarten, daß sich die Preise auf diesem Niveau einige Zeit halten werden.

Welche Konsequenzen hat dies für die deutsche Wirtschaft? Nachdem bereits im letzten Jahr ein Wirtschaftswachstum von rund drei Prozent und eine durchschnittliche Inflationsrate von etwa 2,5 Prozent (diese mit sinkender Tendenz) auszumachen war, ist hier ein weiterer kräftiger Schub nach oben beziehungsweise nach unten zu erwarten. Ein Wirtschaftswachstum von vier Prozent und mehr sowie eine Inflationsrate von weniger als ein Prozent oder gar unter Null (Deflation) ist durchaus im Bereich des Wahrscheinlichen.

Für den einzelnen Verbraucher macht sich diese starke Preisreduzierung beim Tanken und Heizöleinkauf stark bemerkbar. Die Entlastung des Konsumenten dürfte nach Schätzung mehr bringen als die Steuerreform 1986 und über elf Milliarden DM liegen. Die Ersparnis beim Tanken könnte je nach Gebrauch des Autos im Jahr 5Q0 bis 1000 DM ausmachen. In derselben Höhe wird auch die Reduzierung der Heizungsrechnung ausfallen.

Diese spürbare Entlastung des Haushaltseinkommens durch den sinkenden ölpreis und die Steuerreform ist gerade zur richtigen Zeit eingetroffen, da im letzten Quartal 1985 der Schwung des Exports deutlich nachgelassen hat, so daß eine Inlandsnachfrage zur Stützung der Konjunktur benötigt wird. Bisher haben sich die Verbraucher zurückgehalten, denn die realen Einkommen sind in den letzten Jahren kaum gestiegen.

Allerdings darf man die optimistischen Hochrechnungen, die aufgrund des ölpreisverfalls aufgestellt wurden, nicht immer als bare Münze nehmen. Denn niemand weiß, wie lange das öl ein billiger Treibstoff der Konjunktur bleibt. Schon wird die Gefahr an die Wand gemalt, daß der Wille, mit Energie sparsam umzugehen, erlahmt. Aber mit Recht wird eingewendet, daß das Energiesparen seit nunmehr 13 Jahren fest in das Bewußtsein der Bevölkerung eingedrungen und nahezu zu einem moralischen Imperativ geworden ist, so daß man ein deutliches Abrücken von dieser Gewohnheit kaum erwartet.

Vielleicht wird der durch eine deutliche Inlandsnachfrage hervorgerufene Konjunktur schub endlich dämpfend auf die hohe Arbeitslosenzahl von 2,5 Millionen wirken, denn auf diesem Gebiet tritt man seit einigen Jahren auf der Stelle. In diesem Winter war die Arbeitslosenzahl so hoch wie noch nie seit der Währungsreform 1948, was natürlich die Opposition weidlich ausnützt.

Auch warnen bereits namhafte Wirtschaftspublizisten, wie etwa Paul C. Martin, vor einer Deflation, die ja wie die Inflation auch nicht ohne wirtschaftliche Negativfolgen bleibt. So könnte aufgrund eines allgemeinen Preisverfalls eine verstärkte Konkurrenzsituation entstehen, die wiederum für knapp kalkulierende

Klein- und Mittelbetriebe existenzgefährdend werden könnte. Nun ist aber der gegenwärtige de-flationäre Trend nicht auf eine allgemeine Preisreaktion zurückzuführen, sondern auf ein starkes Absinken der Preise für öl und davon abhängige Produkte. Abgesehen davon entsteht durch den Einkommenszuwachs im Konsum eine verstärkte Nachfrage, die ihrerseits zu höheren Preisen führen kann.

Doch abgesehen von diesen theoretischen Überlegungen: aus deutscher Sicht überwiegt das Positive. Stärkeres Wirtschaftswachstum und Preisstabilität, davon konnte man vor einigen Jahren nur noch träumen, auch wenn der Wermutstropfen Arbeitslosigkeit die Freude darüber trübt. Auch für Österreich besteht Hoffnung: Der Preisverfall des Öls macht sich auch hier bemerkbar, und viele Deutsche könnten die zusätzlichen Mark für einen Urlaub in Österreich ausgeben, was die stagnierende Fremdenverkehrswirtschaft dringend nötig hätte.

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