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Wirklichkeit hat ausgespielt

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Unter den neu gesetzten Vorzeichen europäisch-arabischer Beziehungen gewinnt Österreichs Rolle als Aufnahmeland für Studenten erheblich an Bedeutung. Die Unruhe um den österreichischen Auslands-studentendienst stellt jedoch die Liberalität der Aufnahme sowie die Effizienz der Ausbildung von Studenten der dritten Welt in Österreich in Frage. Und das ist ein Problem, das über den Anlaßfall hinausweist.

Es war ein Schock. Wer hätte denn auch ahnen können, daß im Vorfeld unserer akademischen Einrichtungen ein schwarzgrauer Riese alles an sich zieht, was, von fernher kommend, in Österreich nach akademischen Graden strebt, ein universitär-obrigkeitsstaatlicher Komplex sozusagen mit dem einzigen Lebenszweck, „die ausländischen Studenten im Sinne und Dienste des österreichischen Kapitals auszubilden“? So jedenfalls sieht die „Gruppe Revolutionäre Marxisten“ den österreichischen Auslandsstudentendienst, kurz ÖAD, während diesem vom Komitee der streikenden ausländischen Studenten in einem offenen Brief an die „Presse“, für den pikanterweise Agnes Schulmeister verantwortlich zeichnet, Präpotenz und Rassismus, Zwielichtigkeit und schikanöse Behandlung von. — bis vor einigen Monaten — „unter gettoähnlicher Isolation“ lebenden ausländischen Studenten vorgeworfen wurde.

Und wir hatten gedacht, der ÖAD sei seiner Aufgabe, ausländischen, vor allem nicht-deutschsprachigen Studenten das Hineinfinden in den österreichischen Hochschulbetrieb zu erleichtern, bislang doch wenigstens halbwegs gerecht geworden. Welche Illusion!

In Wirklichkeit hat dieser ÖAD nämlich die Aufgabe, die nach Österreich kommenden ausländischen Studenten, und in erster Linie wohl die aus dem Nahen Osten, eingeschlossen Persien, ihren linksorientierten österreichischen Kollegen zu entfremden, sie auf die erzreaktionären Leistungsnormen und Zielvorstellungen der kapitalistischen Gesellschaft und ihrer kapitalistischen Klassenuniversität zu programmieren, und damit den bekanntlich unvermeidlichen, weil vom Weltgeist gewallten Fortschritt zur Solidarisierung der in- und ausländischen Studenten (und der Studenten mit der Arbeiterklasse, aber wo ist die?) zu hemmen.

Damit stehen auf dem Boden der österreichischen Hochschule wieder einmal die Vorbeter und Macht-Rentiers einer alleinseligmachenden Lehre gegen die ratlosen Bürger beider politischen Couleurs, die die Welt nicht mehr verstehen, weil ihr Horizont dort endet, wo kein Kompromiß mehr gefragt ist. Denn es geht nicht mehr um die Frage, ob das ÖAD-System, ausländische Studenten einem ein- bis eineinhalbjährigen Intensivkurs zuzuführen, bevor man ihnen die knappen und leider nicht beliebig vermehrbaren Plätze in Hörsälen, Seminaren und Laboratorien zur Verfügung stellt, mehr oder weniger gut funktioniert hat. Zweifellos wäre an den Lehrgängen des österreichischen Auslandsstudentendienstes einiges zu reformieren — mag auch sein, daß es dabei nicht nur um Details geht. Im Prinzip war der vor mehr als zehn Jahren geschaffene ÖAD die Antwort auf ein drängendes Problem: eine große Zahl ausländischer Studenten scheiterte, weil ihnen trotz einer in Österreich anerkannten Matura grundlegende Voraussetzungen für ein Studium an einer österreichischen Hochschule fehlten — vor allem sprachliche Voraussetzungen. Medizinstudenten im zweiten Semester, die Wörter wie Magen oder Lunge nicht verstanden, waren keineswegs Extremfälle.

Der Vorsitzende der österreichischen Hochschülerschaft wußte es am sonntagabendlichen Bildschirm besser: Damit, daß die heimische Matura eines in Österreich studierenden (oder studieren wollenden) ausländischen Studenten in Österreich anerkannt ist, sei seine Gleichstellung gegenüber den österreichischen Kollegen automatisch gegeben — basta. Womit wir wieder dort wären, wo wir 1960 standen — allerdings angesichts viel überfüllterer Universitäten und um sich greifender Nume-rus-clausus-Bestimmungen.

Man könnte — für der eigentlichen Inskription vorgeschaltete Intensivkurse — auch das Argument anführen, daß Österreich durch die Aufnahme ausländischer Studenten in einem international vorbildlichen Ausmaß einigen Staaten ein beträchtliches Ausmaß an Entwicklungshilfe zukommen läßt, daß der Wert dieser Hilfe aber mit ihrer Effizienz,, sprich dem Prozentsatz auch wirklich mit der Graduierung endender akademischer Ausbildungen steht und fällt. Man könnte das Recht des Steuerzahlers anführen, daß seiine Mittel so zweckmäßig wie möglich eingesetzt werden, das Recht inländischer Hörer, daß die Hoch-schuilüberfüllung nicht dadurch gesteigert wird, daß Sprachschwierigkeiten die Studiendauer der ausländischen Kollegen ungebührlich in die Länge ziehen. Im wohlverstandenen Interesse zumindest der österreichischen Hörer, aber wohl auch der ausländischen, ist der ÖAD, reformbedürftig oder nicht, auch in seiner heutigen Form besser als nichts.

Doch das alles zählt nicht in der Diskussion mit den ihre ideologischen Leerformeln vorbetenden Radikalen vom Kommunistischen Studentenverband, von der Gruppe revolutionärer Marxisten, von der Marxistäsch-Leninistischen Studentengruppe — und jenen in der österreichischen Hochschülerschaft, die vielleicht nicht verbal, aber in der Sache und in der Taktik in deren Sog geraten Bind.

Ihre Alternative zum ÖAD heißt: Aufnahme neu nach Wien kommender ausländischer Studenten mit geringen Deutschkenintnissen in die hüllende, bergende, schützende, Mutterschoßgeborgenheit vortäuschende Gemeinschaft pseudorevolutionärer Kleinzirkel, deren Kader auf diese Weise aufgestockt, deren Einfluß verstärkt würde. Das Schicksal der Betroffenen stünde zur Disposition: Garantie wird nur auf die endzeitliche Übernahme aller Macht durch die Arbeiterklasse, nicht aber auf den persönlichen Universitätsabschluß gegeben.

Die Position der linksradikalen Gruppen auf dem österreichischen Hochschulboden hat einige Ähnlichkeit mit dem Vorgehen der Linken innerhalb der SPD. Hier wie dort wird von der Zukunft gesprochen und um eigene Machtpositionen innerhalb der vom Rest der Gesellschaft isolierten Gruppe gerungen, hier wie dort mag dabei die Gesamtpartei respektive Universität respektive Gesellschaft zum Teufel gehen. Wirklichkeit hat ausgespielt. Linke Zeugen Jehovas ...

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