"Sterben lassen wäre zu einfach"

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Nach jahrelanger Realitätsverweigerung haben Universitäts- und Fakultätsleitung die prekäre Lage am Wiener Publizistik-Institut wahrgenommen. Nun wird ein "Überlastprogramm" verhandelt.

In seiner 9. Symphonie gab Gustav Mahler dem 3. Satz die Vortragsbezeichnung: ,Sehr trotzig'. Das scheint mir eine treffende Zustandsbeschreibung für die Stimmung an unserem Institut." Trotz war das einzige, was Vorstand Wolfgang Langenbucher vergangenen August in einem zornigen Schreiben "Zur Lage des Instituts" ausreichend vorhanden wähnte. Ansonsten fehle es bei den Publizistik- und Kommunikations-wissenschaftern in Wien-Währing an allen Ecken und Enden.

Heute, fünf Monate später, ist der von chronischer Überlastung genährte Zorn nur ansatzweise verraucht. Zwar habe die Universitätsleitung nach seinem Aufschrei eine zweijährige Gastprofessur geschaffen und zusätzliche Lehrauftragsstunden sowie Hörsaalkapazitäten zugewiesen, erklärt Langenbucher. Doch Sofortmaßnahmen reichten angesichts der momentanen Zustände schon lange nicht mehr aus. Tatsächlich standen im vergangenen Wintersemester 14 wissenschaftliche Mitarbeiter insgesamt 6.947 inskribierten Studierenden gegenüber. Trotz trister Be-treuungssituation wagten im vergangenen Herbst 1.258 Interessierte den Beginn des Publizistikstudiums - und ließen mit 12,57 Prozent der Erstzulassungen an der Uni Wien sogar die Mediziner hinter sich. So üppig der Studierendenstrom auch fließt, so kärglich tröpfeln die Mittel: Nur 0,44 Prozent ihres Personalbudgets lässt die Wiener Alma Mater den Publizisten zu Gute kommen. Entsprechend hartnäckig hält sich in der Schopenhauerstraße der Frust: "Noch nie war die Situation im Hörsaal so schlimm wie heuer", lässt Langenbucher das soeben zu Ende gegangene Semester Revue passieren.

Das Ressourcenproblem treibt indes seltsame Blüten: Manche Vortragende greifen zum Los und lassen Fortuna über die Zulassung der Studierenden zu Proseminaren oder gar Vorlesungen entscheiden. Einer jener Pechvögel, die von der Schicksalsgöttin im Stich gelassen wurden, ist Christoph. "Sie übertreiben schon ein bisschen", befindet der 22-Jährige und erzählt von einem Vorlesungs-Rausschmiss im vergangenen Herbst, während er einen Stapel verknitterter Papiere nach seinem Zeugnis durchforstet - vergeblich. Bereits am 5. Dezember habe er seine Prüfung abgelegt, erklärt der Student mit Hauptfach Politikwissenschaft. "Versprochen haben sie das Zeugnis in zwei Wochen. Ich brauche es aber, sonst schaffe ich den ersten Abschnitt nicht mehr."

Ein halbes Jahr und länger auf die Zensuren zu warten sei keine Seltenheit, bestätigt auch Fritz Hausjell, Assistenzprofessor am Publizistik-Institut. Nicht nur für die Studierenden hat die prekäre Lage schwerwiegende Folgen: Nach geltender Regelung müssen Prüfungsergebnisse spätestens nach 42 Tagen vorliegen. Ist dies nicht der Fall, wird den Prüfern die Leistungsprämie gestrichen, so Hausjell. "Zumindest für das vergangene Semester haben wir eine Ausnahme von dieser Regelung erreicht. Aber ab kommendem Semester wird es das nicht mehr geben." Vermehrte Beschränkungen der Studierendenzahl seien die unausweichliche Folge - wenngleich man sich bemühe, den Schaden für den Einzelnen so gering wie möglich zu halten. Dass das Losglück nicht die ideale Zulassungshürde zum Besuch von Vorlesungen und Proseminaren ist, gibt Hausjell zu. Ein absolut gerechtes System der Zugangsbeschränkung hält er jedoch für illusorisch. "Wenn man die individuellen Gründe berücksichtigen wollte, würde das eine unglaubliche Bürokratie nach sich ziehen."

Und so steht den Wiener Publizisten bereits der nächste Selektionsprozess ins Haus. Ein gutes Drittel der 951 Studierenden, die im vergangenen Semester das Proseminar "Grundprobleme der journalistischen Vermittlung" besuchten, kann sich schon jetzt im Geiste von der Fortsetzungsveranstaltung im kommenden Sommersemester verabschieden. Nicht wenige ihrer Kolleginnen und Kollegen tun es ihnen im Lauf ihres Publizistikstudiums gleich: Den über 1.000 jährlichen Erstinskribenten stehen durchschnittlich rund 250 Absolventen gegenüber. Wo und warum sich der große Rest auf dem Weg zum Diplom verliert, ist bis dato ungeklärt geblieben. Drop-Out-Studien gibt es bislang nicht.

Die Mängelliste ist also lang. Stieß man bisher bei den Geldgebern auf taube Ohren, so ortet man jetzt zumindest die Wahrnehmung der Misere. "Wir werden die Publizistik nicht sterben lassen, das wäre zu einfach", gibt Wolfgang Greisenegger, Dekan der human- und sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien, Entwarnung. Nachdem mit zusätzlichen Mitteln nicht zu rechnen sei, müsse man eben fakultätsintern umschichten. Verhandelt werde auch an einem fünfjährigen "Überlastprogramm", erklärt Wolfgang Langenbucher: Nach langer Zeit des "wechselseitigen Nichtverstehens" werde am 20. Februar mit dem Rektorat über die Raumnot und eine mögliche Übersiedlung diskutiert - ebenso wie über Änderungen in der Verwaltung und Lehre. Schließlich steht auch die Einführung eines Bakkalaureatsstudiums sowie einer Studieneingangsphase zur Diskussion, um die Eignung und richtige Erwartungshaltung der Interessierten vorab festzustellen.

Im Bildungsministerium hält man vor allem letzteres bisher für mangelhaft abgeklärt. "Das Problem der Publizistik liegt vor allem in der Tatsache, dass viele Leute dieses Studium mit falschen Erwartungen beginnen", meint der für Universitäten zuständige Sektionschef Sigurd Höllinger. "Viele verwechseln es mit einer Schule für Medienberufe." Eine Fachhochschule würde diesem Wunsch viel eher gerecht.

Für derlei Visionen hat man in der Schopenhauerstraße freilich wenig Verständnis: "Wer glaubt, unser Problem durch Einführung einer FH zu lösen, hat keine Ahnung", kontert Wolfgang Langenbucher. Zum einen wären die 80 bis 100 FH-Studierenden nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Viel wesentlicher sei die Tatsache, dass das Hauptinteresse der Publizistik-Studierenden längst nicht mehr der Journalismus sei: Werbung, Öffentlichkeitsarbeit oder Verlags-management hätten der schreibenden Zunft längst den Rang abgelaufen.

Ein Befund, den Langenbuchers Fachkollege in Klagenfurt, Matthias Karmasin, bestätigt: "Journalismus ist nicht unser Hauptbereich", erklärt der Vorstand des Instituts für Medien- und Kommunikationswissenschaft. "Die Schwerpunkte liegen im Corporate Publishing, in der Medieninformatik und in der Telekommunikation." Die jährlichen Zuwachsraten von 110 Prozent würden das Fach keineswegs als bloßes Modestudium qualifizieren. Vielmehr sei die wissenschaftliche Reflexion von Kommunikationsprozessen eine "Schlüsseldisziplin der Mediengesellschaft". Über regen Zuspruch kann man sich auch an der Universität Salzburg freuen. Mussten alle anderen Institute im vergangenen Herbst Einbrüche verzeichnen, so registrierte man am Institut für Kommunikationswissenschaft gegenüber dem Vorjahr einen Erstsemestrigenzuwachs von acht Prozent.

Ein Szenario, das Maximilian Gottschlich, Professor am Wiener Publizistik-Institut, wohl am liebsten ins Reich der Albträume verbannt. Ihm dürften schon die 500 mündlichen Prüfungen in dieser Woche reichen.

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