Letzte Chance, vorbei

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Die neue Studieneingangsphase für Erstsemestrige ist eine große Hürde. Wer nicht besteht, ist auf Lebenszeit für das Studium gesperrt.

Gestern ist Robert 24 geworden, aber gefeiert hat er nicht. Zu groß war die Aufregung, zu angespannt die Stimmung. Früh ins Bett zu gehen war ihm wichtiger als eine Party. Heute geht es für Robert um alles.

Es ist Freitag, acht Uhr früh und am Wiener Juridicum herrscht nervöse Unruhe. Vor der Tür soll eine letzte Zigarette die Nerven beruhigen, vor den Toiletten will die Schlange nicht kürzer werden. Junge Mädchen liegen einander im Arm, Burschen gehen meditativ auf und ab. Robert isst eine Mandarine. Er tritt bereits zum zweiten Mal zur Prüfung an. Ein Punkt hat ihm das letzte Mal für eine positive Beurteilung gefehlt. "Das ist meine letzte Chance“, sagt Robert.

ÖH sammelt Erfahrungsberichte

Seit Herbst gibt es an allen Unis, die keine generellen Zugangsbeschränkungen haben, eine neue Studieneingangs- und Orientierungsphase. StEOP heißt sie flott im akademischen Kürzelwahn. Sie umfasst das erste Semes ter - und macht es zu einer enormen Einstiegshürde. Denn nur wer alle Prüfungen besteht, darf weiterstudieren. Das Gesetz sieht nur eine Möglichkeit vor, um eine negative Note auszubessern. Die Unis können autonom einen dritten Prüfungsantritt erlauben. Der Großteil der Hochschulen tut das auch. Nicht so die Uni Linz und die Uni Wien.

Deshalb ist Robert heute besonders nervös. Ein Versagen hat dramatische Konsequenzen: Wer in der StEOP durchfällt, ist für das belegte Fach an der jeweiligen Uni gesperrt. Und zwar das ganze Leben lang. Wenn Robert heute wieder einen Punkt zu wenig erreicht, darf er in Wien nicht mehr Jus studieren.

Mit diesem Druck müssen heute knapp 1000 Rechtsstudenten im ersten Semester zurechtkommen, die zur Prüfung antreten. Das große Audimax der Wiener Uni ist dafür reserviert, dazu noch acht Hörsäle am Juridicum. Tee aus Thermoskannen und Energydrinks aus Dosen sind zur Versorgung dabei. Studentenvertreter spendieren Traubenzucker. Pünktlich um 8:15 werden die Türen geschlossen, blaue und gelbe Prüfungsbögen verteilt. Jetzt beginnt die Zeit zu laufen.

Zwei Stöcke über dem Hörsaal, der Robert zugeteilt wurde, werden zeitgleich idente Prüfungsbögen verteilt. Wer hier sitzt, war zum Studium angemeldet, bevor die StEOP eingeführt wurde. Die Prüflinge im Lesesaal dürfen deshalb vier Mal antreten. Dass das gerecht sein soll, verstehen viele Studienanfänger nicht.

"Unfaire Knock-Out-Prüfungen und ein solcher enormer Druck auf die Studierenden, wie er momentan besteht, können nicht der Start in ein Hochschulstudium sein“, meint Peter Grabuschnig, Generalsekretär der Österreichischen Hochschülerschaft (ÖH). Die Studentenvertreter sammeln deshalb Erfahrungen von Studierenden, um die neue Eingangsphase zu evaluieren. "Die bisherigen Rückmeldungen sind ernüchternd“, sagt Janine Wulz vom ÖH-Vorsitzteam. "Es wird von Zukunftsraub, Knock-Out-Verfahren und enormem psychischen Druck gesprochen.“ Man stehe vor den "Trümmern des eigenen Lebenstraums“, steht in einer Email. Ein anderer Betroffener schreibt: "Ich habe das Gefühl, dass die Studenten durchgesiebt werden, schon bevor das Studium begonnen hat.“ Viele Prüfungen fanden schon Mitte Dezember statt - gerade einmal acht Wochen nach Semesterstart. "Mit Orientierung und Überblick hat die StEOP leider oft gar nichts zu tun. Sie erschwert jungen, motivierten Menschen den Einstieg in einen wichtigen Lebensabschnitt“, meint Wulz.

Überproportional viele Rückmeldungen kamen übrigens von Lehramtsstudenten, will die ÖH bemerkt haben. Wer an der Uni Wien ein Lehramt-Studium macht, muss zusätzlich zu seinen Fachprüfungen auch eine Pädagogikprüfung ablegen. Wenn die zweimal negativ ist, ist man lebenslänglich für alle Lehramtsstudien in Wien gesperrt.

Schlag in die Magengrube

So wie Jennifer. Die 20-Jährige wollte Deutsch- und Geografielehrerin werden. In diesen beiden Fächern war sie positiv, Pädagogik vergeigte sie. "Das System ist vollkommen irrsinnig“, meint sie. "Ich wollte mit Jugendlichen arbeiten, hab auch Erfahrung darin. Aber wegen einer Frage über Homer ist mein Traum geplatzt.“ Stefan, 22, ist in der selben Situation: "Das Ergebnis war wie ein Schlag in die Magengrube.“ Nach einer Woche, in der er unter Schock stand, beschloss er, auf Sprachwissenschaften umzusatteln. Lehrer will er nicht mehr werden: "Das ist mir gründlich vergangen.“

Dabei wird in den nächsten 13 Jahren die Hälfte der Lehrer in Österreich in Ruhestand gehen. Viele davon werden AHS-Lehrer sein. Dort liegt das Durchschnittsalter bei 47,4 Jahren. Die Widersprüchlichkeit von Arbeitsmarktsituation und Studentenreduktion bekrittelt auch Barbara Schneider-Taylor, die Prüfungsdesignerin des umstrittenen Pädagogik-Tests (siehe Interview links).

Denn auch die Lehrenden scheinen unzufrieden mit dem Zustand. Laut Kuriensprecher Karl Ille von der Universität Wien sehen sie ihre Arbeit missbraucht: "Die StEOP darf kein untaugliches Selektionsinstrument sein und muss tatsächliche Studienorientierung ermöglichen.“

In Hörsaal 15 des Juridicums nähert sich der dicke Kreidebalken an der Tafel der 3-Stunden-Marke. Die ersten Studenten verlassen erschöpft den Hörsaal. Manche schütteln unzufrieden den Kopf, andere seufzen erleichtert. "Ur schwer“ klagt ein Mädchen in ihr Handy. Robert ist einer der letzten, der seinen Prüfungsbogen abgibt. Die Anspannung ist weg, aber zufrieden ist er nicht. Ob er die Prüfung diesmal geschafft hat, weiß er in drei bis vier Wochen. Heute wird er erstmal Geburtstag feiern. Und dann, nach drei Monaten Dauerlernen, Urlaub machen: "Wenn ich zurückkomm’, weiß ich, ob es losgeht. Oder ob alles aus ist.“

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