Bleistifte auf Holztisch  - © Pexels

Numerus clausus: Wenn die Deutschen kommen

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Diesen Donnerstag wird entschieden, ob deutsche "Numerus-clausus-Flüchtlinge" in Österreich studieren dürfen. ÖVP-Wissenschaftssprecherin Gertrude Brinek und die neue ÖH-Vorsitzende Rosa Nentwich-Bouchal debattieren über die Folgen - und Anton Zeilingers "University of Excellence".

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Diesen Donnerstag wird entschieden, ob deutsche "Numerus-clausus-Flüchtlinge" in Österreich studieren dürfen. ÖVP-Wissenschaftssprecherin Gertrude Brinek und die neue ÖH-Vorsitzende Rosa Nentwich-Bouchal debattieren über die Folgen - und Anton Zeilingers "University of Excellence".

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Knapp 63.000 Abiturienten wurden im Herbst 2004 von den deutschen Universitäten abgewiesen. Ihre Noten waren nicht gut genug, um einen Platz in den sieben Numerus-clausus-Fächern Medizin, Zahnmedizin, Veterinärmedizin, Biologie, Pharmazie, Psychologie oder Betriebswirtschaft zu ergattern. Bisher durften sie auch nicht auf eine österreichische Uni ausweichen. Damit ist voraussichtlich ab Donnerstag dieser Woche Schluss: Dann wird der Europäische Gerichtshof Österreich wahrscheinlich dazu zwingen, diese Diskriminierung zu beenden und die Unis für deutsche "Numerus-clausus-Flüchtlinge" zu öffnen. Um das zu verhindern, will der Nationalrat gegebenenfalls am Freitag die Rektoren ermächtigen, autonom Zugangsbeschränkungen einzuführen. Zugleich stürmen seit Montag dieser Woche hunderte Inskriptionswillige die Medizin-Universität Wien, um einen der 1.560 Studienplätze zu erhaschen - bevor "die Deutschen" kommen.

Die Furche: Wer ist Ihrer Meinung nach schuld am derzeitigen Zulassungs-Chaos?
Gertrude Brinek: Mit der derzeitigen Situation mussten wir rechnen, weil wir gewusst haben, dass das eugh-Urteil auf der Agenda steht - aber nicht, wie es lauten wird. Die Vorsorge, die am Freitag getroffen wird, ist aber meiner Ansicht nach ok. Und dann muss man sehen, wie man das Urteil ausjudizieren kann. Den Begriff "Chaos" weise ich aber zurück. Staus bei der Anmeldung - etwa an der Wirtschaftsuni oder in der Anglistik - hat man bisher immer ganz gut bewältigt.
Rosa Nentwich-Bouchal: Die Zulassungs-Problematik ist schon seit fast vier Jahren bekannt. Natürlich hätte man schon viel früher über Regelungen nachdenken können. Wir hoffen natürlich, dass die bisherigen Inskriptionen an der Wiener Medizin-Universität gültig sind. Insgesamt zeigt sich, dass Handlungsbedarf besteht und dass die Universitäten unterfinanziert sind. In den letzten zehn Jahren haben sich die Studierendenzahlen ja vervierfacht und die Betreuungszahlen nur verdoppelt.
Brinek: Es stimmt nicht, dass sich die Studierendenzahl vervierfacht hat. Dass sie gestiegen ist, ist klar. Ebenso klar ist, dass in den vergangenen Jahren viel Geld und Knowhow in ein faires, vereinfachtes Anmelde-System investiert wurde.

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Die Furche: Trotzdem haben die Rektoren vom Ministerium schon lange die Möglichkeit von Zugangsbeschränkungen gefordert - gegen den Willen der Hochschülerschaft.
Nentwich-Bouchal: Die Politik sagt zumindest, dass sie den freien Hochschulzugang beibehalten möchte. Dass sie nun die Zulassungsbeschränkungen an die Universitäten auslagert, ist eine bequeme Lösung, weil man sich aus der Verantwortung stiehlt.
Brinek: Mir sagen die Rektoren, dass es schon bisher nur einen sukzessiven Hochschulzugang gab, weil die Bedingungen die Motivation der Studierenden gehemmt haben. Außerdem gibt es an den Kunstuniversitäten längst einen definitiv geregelten Zugang mit einem Aufnahmeverfahren.
Nentwich-Bouchal: Natürlich haben wir schon jetzt Zugangsbeschränkungen. Die Frage ist aber, ob das auch wünschenswert ist. Ein Professor am Salzburger Mozarteum hat gemeint, dass er nur mehr die reichen statt der begabten Studierenden bekommt.
Brinek: Warum kommen die Reichsten ans Mozarteum? Weil Österreich ein beliebtes Ausbildungsland für Musik ist - und weil manche sich im Ausland schon weit vorgebildet haben. Wenn die Uni sagt "Ich will die Besten", dann muss man das zulassen. Ich kann ja nicht sagen: Du darfst keinen Vorbereitungskurs in Japan machen!

Die Furche: Von der Musik zurück zur Medizin: Wie soll Österreich Ihrer Meinung nach auf ein negatives EUGH-Urteil reagieren?
Nentwich-Bouchal: Nachdem hauptsächlich deutschsprachige Hochschulregionen betroffen sind, sollte man mit Deutschland verhandeln, ob es möglich ist, Kapazitäten auszuweiten. Deutschland hat selbst ja zu wenig Medizinerinnen. Längerfristig geht es darum, dieses Thema auf europäischer Ebene anzusprechen. Österreich hat nächstes Jahr während der eu-Ratspräsidentschaft dazu die Möglichkeit.
Brinek: Bisher galt es als "politisch unsittlich", dass ein Land, das den eu-Vorsitz führt, die eigenen Probleme ganz oben auf die Agenda stellt. Es ist eben ein Problem, das 23 Länder nicht haben, weil sie längst über Zugangsregulierungen verfügen. Wir als Schwanz dürfen nicht glauben, wir könnten mit dem Hund wedeln. Und wenn wir mit der Akademikerzahl argumentieren, sagen die meisten Länder: Wir haben eine höhere Akademikerquote - trotz regulierten Studienzugangs.
Nentwich-Bouchal: Aber der Bologna-Prozess ist das beste Beispiel dafür, dass sich die Länder an einen Tisch setzen und Lösungen für einen gemeinsamen europäischen Hochschulraum entwickeln können. Genauso könnte man die Frage des Hochschulzugangs diskutieren.
Brinek: Vielleicht kann man über einen europäischen "Ausbildungslastenausgleich" diskutieren. Aber noch einmal: 24 von 25 eu-Ländern haben ihre Regelung gefunden. Schauen wir lieber, wie viele der abgewiesenen deutschen Studierenden tatsächlich kommen. Dazu wird auch eine begleitende Evaluation nötig sein, um die Motive anzuschauen. Die österreichischen Mediziner wollen jedenfalls nicht, dass die Zahl der Studienplätze stark angehoben wird, weil sie schon jetzt bis zu sechs Jahre auf den Turnus warten.

Die Furche: Tatsache ist, dass 25.000 potenziellen deutschen Numerus-clausus-Flüchtlingen 2.500 Studienplätze in Österreich gegenüberstehen.
Nentwich-Bouchal: Allerdings ist die Mobilität der Studierenden begrenzt. Wir wissen aus Deutschland, dass Studierende, die in ihrem Bundesland abgewiesen werden, nicht so leicht in ein anderes Bundesland wechseln.
Brinek: Österreich ist aber besonders attraktiv, weil wir einen "Dr. med" haben, obwohl er eigentlich ein "Mag. med." sein sollte. Unser Doktor ist also viel wert. Wenn einer aus München keinen Studienplatz in Kassel bekommt, dann geht er nach Innsbruck.
Nentwich-Bouchal: Das stimmt, aber 80 Millionen Deutsche wohnen nicht in München. Davon abgesehen sind die Universitäten schon jetzt unterfinanziert.

Die Furche: Umso größer ist die Kritik mancher Professoren an Anton Zeilingers "University of Excellence", die nun "Austrian Institute of Advanced Science and Technology" heißen soll, am 1. Oktober 2006 startet und Sondermittel erhält.
Brinek: Natürlich darf man nicht einen großen Palast auf die grüne Wiese bauen, sondern soll aus bestehenden Exzellenzzentren eine Cluster-Bildung anregen. Es geht nicht darum, dass den Universitäten etwas weggenommen wird. Sondern diese Institution hat ein anderes Ziel. Das ist eine postgraduale Bildungs- und Forschungseinheit, um auch die Zahl der Forschenden gemäß den Lissabon-Zielen bis 2010 zu erhöhen.
Nentwich-Bouchal: Aber warum baut man dann tatsächlich - wie Sie selber gesagt haben - einen Palast auf die grüne Wiese? Das ist ja ein neues Gebäude samt Infrastruktur - eine Infrastruktur, die an 21 Universitäten in Österreich vorhanden wäre. Außerdem frage ich mich, wie es plötzlich möglich ist, "frisches Geld" herbeizuzaubern. Im ersten Jahr sind das 70 bis 80 Millionen Euro. Die könnte man dafür einsetzen, dass die bestehenden Unis mehr Forschung betreiben können.
Brinek: Noch einmal: Es wird den Unis nichts weggenommen, sondern dieses Exzellenz-Zentrum soll mit ihnen kooperieren. Die Promotoren - Anton Zeilinger und Peter Schuster - sind ja selbst Universitätslehrer, die aus ihrer Erfahrung sagen: Ich brauche als Ergänzung zur universitären Top-Ausbildung noch ein weiteres Institut.
Nentwich-Bouchal: Es gibt aber andere Professoren, die aus ihrer Erfahrung heraus sagen, dass es notwendig ist, die Universitäten selbst zu stärken. Da gibt es keinen Konsens - im Gegenteil.

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