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Wo sie bei endlosen Knockout-Tests ihre Kreuzchen machen, können Österreichs Studierende frei wählen. Entscheidungshoheit über ihre Zukunft haben sie längst nicht mehr.

Der junge Mann überlässt nichts dem Zufall: 750 Euro hat er (oder vielmehr seine Eltern) investiert, um für den Tag X gerüstet zu sein. Sechs Stunden wird er Mitte Jänner gemeinsam mit 3050 Kollegen - davon 65,2 Prozent aus Deutschland - in der Grazer Stadthalle über einem Intelligenztest für Mediziner brüten. Um diesen und die beiden fachlichen Monsterprüfungen gut zu passieren, ist dem Oberösterreicher fast jedes Mittel Recht - auch der überteuerte Vorbereitungskurs eines deutschen Instituts, dem eine Studie Wirkungslosigkeit attestiert. Doch was tut man nicht alles, um nach einem Semester Online-Studium zu den 100 Glücklichen zu zählen, die einen Hörsaal erstmals von innen sehen - und dem Traum vom Arztberuf ein Stückchen näher kommen?

Wären die skandalösen Zustände an der Medizin-Universität Graz nicht verbrieft - man müsste sie für einen schlechten Scherz halten. Kaum weniger grotesk ist die Lage in Tirol und Wien: Während man an der Innsbrucker Medizin-Uni das Datum des Poststempels und das Los zu Hilfe nahm, um die Studierendenflut einzudämmen, tricksten die Wiener die deutschen Numerus-clausus-Flüchtlinge mit einer Finte aus: Die Zulassungsfrist begann einfach schon am 4. Juli - drei Tage, bevor der Europäische Gerichtshof die Pforten der österreichischen Hochschulen auch für ausländische Studierende öffnete, die in ihrem Heimatland über keinen Studienplatz verfügen. Spätestens im nächsten Jahr muss man freilich auch in Wien über Selektionsverfahren grübeln - und sie mit den Innsbrucker und Grazer Kollegen akkordieren.

Dass in solchen Verfahren Fairness obsiegen wird, erscheint schon jetzt illusorisch: Mangels Personal für umfangreiche Eignungstests und der Effizienz von Multiple-Choice-Kolonnen werden wohl jene gewinnen, die am schnellsten große Datenmengen speichern können - und nicht jene, bei denen sich ein Patient vertrauensvoll unters Messer legt. Ebenso illusorisch ist das Warten auf rasche Hilfe aus Brüssel: Ob es die von Bildungsministerin Elisabeth Gehrer erhoffte "Safeguard-Klausel" mit Obergrenzen für ausländische Studierende geben wird - oder sogar eine europaweite Änderung der Zulassungsmodalitäten -, steht in den Sternen. Das Schlamassel im Fach Medizin und den anderen betroffenen Fächern Zahnmedizin, Veterinärmedizin, Pharmazie, Biologie, Psychologie, Betriebswirtschaft und Publizistik scheint also prolongiert.

Bleibt die Frage, wer für das Chaos verantwortlich ist. Bevorzugtes Feindbild: der EuGH. Tatsächlich scheint das Gericht "die nötige Balance zwischen nationaler Gestaltungssouveränität und Realisierung der eu-rechtlichen Einheitlichkeit" verloren zu haben, wie der Präsident des Verfassungsgerichtshofs, Karl Korinek, beklagte. Doch war dieses einäugige Urteil lange abzusehen. Bereits im Jänner dieses Jahres - kurz nach der entsprechenden Empfehlung von Generalanwalt Francis Jacobs - hatte die Rektorenkonferenz von der Bildungsministerin Maßnahmen gefordert. Ohne Erfolg. Dass Gehrer nun beteuert, man habe einfach nicht plausibel machen können, welche Folgen das Urteil haben würde, ist tragisch - für Österreichs Studierende und Gehrers Hochschulpolitik.

Kein Wunder, dass die ins Schussfeld geratene Bildungsministerin umso hartnäckiger die "sehr guten" Umstände betont, die in den anderen 162 Studienfächern existieren würden. Ein Befund, der für viele Institute oder Departements sicher zutreffen mag. Andere bekommen die "Kollateralschäden" der Hochschul-Autonomie mit ihrer Machtfülle für Rektor und Unirat freilich deutlich zu spüren - etwa an der Universität Innsbruck, wo die renommierte Vergleichende Literaturwissenschaft im vorgesehenen Entwicklungsplan keinen Platz mehr findet. Und mit chronischem Ressourcenmangel haben zweifellos alle Universitätslehrenden zu kämpfen (siehe auch Interview Seite 7).

Trübe Aussichten also für Österreichs Hochschulen - und jene jungen Menschen, bei denen punkto Wagemut und Neugier eigentlich die Bäume in den Himmel wachsen sollten. Sie haben derzeit nur bei Auslese-Tests freie Wahl - aber keine "multiple choice" bezüglich ihrer Zukunft.

doris.helmberger@furche.at

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