6693135-1962_46_09.jpg
Digital In Arbeit

Der Umwelt entfremdet

Werbung
Werbung
Werbung

Nach einer Pause setzte Mr. Hartley fort: „Der von der Regierung be-schrittene Weg, neue Universitäten zu gründen, die alten zu vergrößern, dürfte doch nützlicher sein, als das Studium radikal zu verändern. Allerdings genügen fünf neue Universitäten (unter anderem in York, Brighton und Lancaster) kaum, den Bedarf zu befriedigen. Und wir wollen uns nichts vormachen: Die Regierung hat viel zu lange gezögert.“ Das Erziehungsinstitut der Universität London schätzt, daß im Jahr 1970 rund 40.000 Gymnasiasten wegen zu geringer Zahl an Lehrkräften und Unterrichtsraum nicht studieren werden können. Wie immer man die Probleme lösen wird, die Briten werden in den nächsten acht Jahren 25 Milliarden Schilling an Steuern für die höhere Erziehung zahlen müssen.

Die höhere Erziehung in England kämpft noch mit anderen Schwierigkeiten, nämlich mit den Nachteilen einer zu frühen Spezialisierung und mit der Entfremdung von der gewohnten sozialen Umwelt. Eine Mathematikprofessorin an einem der größten Mädchengymnasien von Manchester beklagte dem Verfasser gegenüber, daß der von den Universitäten verlangte Standard in den Spezialfächern zu hoch sei, um in der Mittelschule wirklich noch eine Allgemeinbildung vermitteln zu können. Wer Naturwissenschaften auf der Universität studieren wolle, habe in den letzten beiden Jahren im Gymnasium keinen Englischunterricht mehr; das führe manchmal dazu, daß diese Mädchen unfähig seien, sich richtig auszudrücken. „Natürlich würden wir es gern ändern“, sagt die erfahrene ältere Lehrerin, „aber solange sie nicht das Studium an der Universität um ein oder zwei Jahre verlängern, die Anforderungen im Spezialgebiet herabsetzen, sehe ich dafür kaum eine Möglichkeit.“ Dagegen soll das Niveau der „elf-plus“-Prüfung gehoben werden, erzählt sie, weil die Gymnasien gegenwärtig mit einer Reihe von Schülern .belastet werden, die sich intellektuell für ein Studium einfach nicht eignen.

In Großbritannien leben ungefähr 80 Prozent der Studenten nicht zu Hause; die Hälfte wohnt in Untermietzimmern und der Rest in Colleges oder Studentenheimen. In der Regel verbringen daher diese jungen Leute drei bis fünf Jahre in einem Milieu, das ihnen zunächst völlig fremd ist. Aber mit der Zeit entwachsen sie dem kleinbürgerlichen Leben der englischen Vorstädte oder dem der Arbeiterwohnviertel. Die sozialen Werte der Eltern sagen ihnen nichts mehr. Obgleich ein großer Teil später wieder zu einem konventionellen Leben zurückkehrt und die Akademiker in England eine eigene soziale Gruppe formen, erzeugt die gegenwärtige Lage eine Reihe von Spannungen. „Die zornigen jungen Männer“ eines John Osborn, Kingsley Amis und Shelagh Delaney sind nur die Folge einer sozialen Revolution, die in England seit dem „Butler-Gesetz“, dem Beginn des Zustroms der Töchter und Söhne der unteren Mittelklasse und der Arbeiterklasse zur Hochschule, im Gange ist.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung