Die Aufgabe der furche: Leuchtturm im Nebel sein.
Feste sind nicht nur Ausdruck der Freude und Dankbarkeit. Unverzichtbar stehen sie auch für Momente des Innehaltens und Nachdenkens. Mehr noch: Sie bekräftigen Bindungen: zu Menschen, Ideen und Werten. Sie schaffen Gemeinsamkeit.
All das wird auch am Beispiel des 60-Jahr-Jubiläums der Furche offenkundig:
* Freude und Dankbarkeit über eine Zeitung, die es nie leicht gehabt hat, von allem Anfang an. "Ein hohes geistiges Forum zu sein", dieser Gründungsauftrag Friedrich Funders ist über die Jahrzehnte hinweg im Sturm des Zeitgeistes mehrmals ins Wanken geraten. Heute ist offenkundig: Am Wunder ihres Lebens und Überlebens ist die Furche gewachsen und gereift.
Aber in Zukunft: Ist Geist und Sinngebung überhaupt noch gefragt? Ist uns Lesen noch eine Lust? Sind Sprache und Schrift noch konkurrenzfähig?
Hat die Zeitung verloren?
* Innehalten und Nachdenken auch - über den Weg der letzten klassischen Wochenzeitung dieses Landes vom Gestern ins Morgen. Nicht ohne Stolz darüber, wer aller sich hier zu Wort gemeldet und gar nicht selten auch Furchen gezogen hat.
Nur: Wozu werden wir künftig noch Zeitungen brauchen? Was müssen, was wollen wir noch wissen? Auf Papier gedruckt wissen - im Zeichen der Internet-Flut und der bald nicht mehr zählbaren tv-Kanäle? Hat die gute alte Zeitung - die Wochenzeitung zumal - nicht schon zu vieles von dem verloren, was sie über vier Jahrhunderte unverzichtbar gemacht hat: den raschen Zugang zur Nachricht vor allem?
* Bindungen bekräftigen - zu Menschen, Ideen und Werten. Ein Rückblick auf die vergangenen 60 Jahre macht deutlich: Unbeeindruckt von allen Trends zur Oberflächlichkeit, Kurzlebigkeit und Beliebigkeit - zum Banalen, Privaten, auch Obszönen - hat die Furche ihren Kurs gehalten.
"Ein katholisches Blatt für die Weltleute und nicht ein religiöses Blatt im Sinne eines Kirchenblattes", so hatte Friedrich Funder die Furche konzipiert - ausgestattet mit der "Fähigkeit, unbehindert durch Parteischranken, der Gerechtigkeit und der christlichen Liebe zu dienen". Nichts davon ist heute falsch oder unaktuell.
Tiefe braucht Weite
Vielleicht aber haben wir am Vorbild des großen Kardinals Franz König dazugelernt, dass Tiefe und Weite einander bedingen. Dass es kein Christsein gibt ohne Respekt und Interesse für andere Prägungen und Überzeugungen, andere Konfessionen und Religionen. Und kein Überleben ohne Geschwisterlichkeit unter einem offenen Himmel.
Aber auch das ist noch nicht abzusehen: Wie groß ist heute die Schar derer, die in der Sintflut der heraufdämmernden virtuellen Welten (mit ihren verführerischen Ersatzformen des Unsichtbaren und Magischen) noch eine Arche suchen werden, um Reste der "alten Welt" in eine neue hinüberzuretten?
Medienpropheten haben uns ja nicht ohne Zynismus eine Zukunft verkündet, "in der die eine Hälfte der Menschheit davon leben wird, jene Info-Fluten zu erzeugen, in denen die andere ersäuft - was dann ja wieder sehr schöne Fernsehbilder ergeben würde".
Angesichts solcher und anderer bitterer Prognosen scheint heute jedes Zeitungsjubiläum im Schatten eines Wortes von Friedrich Nietzsche zu stehen: "Feste veranstalten ist kein Kunststück. Aber Leute finden, die sich darüber freuen können - das ist ein Kunststück!"
Wohin die Reise geht
Wird also Bill Gates - und mit ihm so viele Mediengurus - recht behalten, die uns seit langem den Tod der Zeitungen suggerieren?
Dass die Furche ihr 60-Jahr-Jubiläum in einer atemberaubenden Umbruchzeit der Medienwelt feiert, ist eine recht triviale Erkenntnis. Weit weniger trivial dagegen ist, dass auch die Medienforschung auf dem Sprung zu neuen Prognosen zu sein scheint. Oder besser: Dass jene, deren allzu schrille Kassandra-Rufe zuletzt den (us-)Markt beherrschten, inzwischen leiser geworden sind.
Neue "Megatrends" gewinnen an Bedeutung - genährt aus einem stärker werdenden Gefühl medialer Überreizung; aus zunehmender Ratlosigkeit und Ohnmacht, ja Depression der Medienkonsumenten. Und aus unerfüllten Sehnsüchten, das Leben wieder mit Sinn zu erfüllen.
Wohin also geht die Reise? Inmitten unzähliger, einander auch widersprechender Prognosen heißt der kleinste gemeinsame Nenner heute offenbar: Die Zeitung lebt! Abgespeckt zwar um vieles, was ihr bisher wichtig war. Aber mit enormen Chancen und Aufgaben, die künftig weder vom gigantischen Rührteig des Internets noch von der Springflut elektronischer Bilder erfüllt werden können.
Schneisen ins Dickicht
Was sind die wichtigsten Aufgaben - und Chancen - der Zeitung von Morgen?
* Zunächst: Orientierung vermitteln. Das heißt, in einer zunehmend undurchschaubaren Welt Schneisen durch das Informationsdickicht schlagen. Auswählen, was wirklich wichtig ist und was nicht. Also: Selektion, Einordnung, Ausdeutung. Vor allem aber Hintergründe - die Geschichte hinter der "Geschichte". Dafür auch Mut zur Lücke - dem Wichtigen zuliebe.
* Dann: Um Glaubwürdigkeit und Relevanz bemüht sein. Menschen spüren: In der Spezialisierung unserer Arbeitswelt ist jenes Allgemeinwissen massiv bedroht, das uns in der sozialen Welt weiterbringt. Aus der Beliebigkeit vieler Medienprodukte wächst für sie kein Mehrwert. Gefragt sind also Berichte, nicht Gerüchte; Verlässliches, nicht Vermutetes. Gefragt sind Medien, deren Beiträge mit weniger Fragezeichen und weniger Rufzeichen auskommen. Die Prognose der Fachleute: Neben Trivialität und Medienramsch bleibt auch in Zukunft viel Platz für Zuverlässigkeit, Wahrhaftigkeit und Tiefgang.
Witwer des Zeitgeists
* Schließlich: Sinn und Werte anbieten. Immer mehr Medienkonsumenten halten es mit Soeren Kierkegaard: "Wer sich mit dem Zeitgeist vermählt, wird bald Witwer sein". Rasant zunehmende Unsicherheit weckt die Sehnsucht nach Ernsthaftigkeit. Viele spüren: "The party is over" - existenzielle Fragen drängen ins Leben zurück. Und mit ihnen Werte - auch die traditionellen, etwa Familie, Treue, Kinder, auch Spiritualität. Überraschend ist dabei: Was bisher der "50plus"-Generation wichtig war, beschäftigt mehr und mehr auch die Jungen.
Wer aber werden die "Sinn-Agenturen" von Morgen sein: Die Kirchen? Die Medien? Wer sonst? Leser wollen nicht mehr indoktriniert werden, sondern an der Meinungsbildung teilhaben. Sie suchen in Medien den offenen Dialog - auch weit über die Grenzen einer Redaktion, eines Weltbilds hinaus.
"Leuchtturm im Nebel", so umschrieb der deutsche Publizist Herbert Riehl-Heyse die große Aufgabe der "Zeitung der Zukunft". Was das heißt: Weiter Blick, Dienst an den Menschen, Zuverlässigkeit, Symbol der Hoffnung - und ein festes Fundament.
"Leuchtturm im Nebel" - es gibt wohl keine präzisere Beschreibung für das, was die Furche in den vergangenen 60 Jahren sein wollte. Und was Sie Ihnen - unseren Lesern - auch in Zukunft bleiben möchte. Woche für Woche.
Der Autor ist Herausgeber der Furche.
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